Trotz höllischer Temperaturen geht das römische Leben wie gewohnt weiter: „Morgen stehe ich noch früher auf“

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Ein älterer Mann kühlt sich am Brunnen auf der Piazza del Popolo in Rom ab.Bild Reuters

„Schreib einfach, dass wir vor der Hitze sterben“, sagt Maria Pia („Basta, kein Nachname“, 82) und stützt sich auf ihren dunkelblauen Einkaufswagen. Gegen 9 Uhr morgens ist der Markt von San Giovanni di Dio in Rom die Domäne älterer Frauen wie Maria Pia mit stilvollen kurzen grauen Haaren, Sonnenbräune und goldener Halskette.

Weil die römischen Thermometer am Dienstag über 40 Grad klettern, kommt die ältere Kundschaft besonders früh, um ihr frisches Gemüse, Obst und Fisch einzukaufen. Denn die Hitzewelle, die in diesen Tagen Italien heimsucht, ist für sie besonders hart. „Ich habe Herzprobleme“, sagt Maria Pia, eine Schneiderin im Ruhestand. „Gestern Nachmittag dachte ich wirklich, ich wäre tot.“

Diese Idee ist nicht aus dem Nichts gekommen. Letzte Woche, ein in Natur veröffentlichte Studie, dass der heiße Sommer 2022 in Italien mehr als achtzehntausend Todesopfer forderte. Damit hatte das Land absolut und relativ gesehen die höchste Zahl an Hitzetoten in Europa, vor allem aufgrund seiner alten Bevölkerung (295 Todesfälle pro Million Einwohner).

Antizyklon

Diese Nachricht war kaum angekommen, als die nächste Welle heißer Luft aus dem Süden nach Italien wehte. Italienische Meteorologen nannten den sogenannten Antizyklon „Charon“, nach dem Fährmann aus der griechischen Mythologie, der die Seelen der Toten in die Unterwelt bringt.

Passend, denn gerade in der Mitte und im Süden Italiens kann man die Temperaturen getrost als höllisch bezeichnen. Am Dienstag gilt in zwanzig italienischen Städten ein Hitzealarm. Die höchsten Ausreißer werden auf Sizilien erwartet, bis zu 46 Grad. Dass der Hitzerekord von vor zwei Jahren (48,8 Grad im August) gebrochen wird, erscheint zwar nicht wahrscheinlich, kann aber auch nicht gänzlich ausgeschlossen werden.

Das mag alles beunruhigend klingen, aber das römische Leben auf dem Markt geht ruhig weiter. Am Fischstand wartet Domenico D’Alisera (76) darauf, dass seine Forelle filetiert wird. Ja, es ist heiß, sagt der pensionierte Taxifahrer. Wie viele Römer flieht er den größten Teil des Sommers aus der Stadt und zieht in Familienhäuser in den Bergen oder ans Meer.

La Dolce Vita

Die Sommer seien anders als früher, räumt D’Alisera ein, aber er ist nicht davon überzeugt, dass die Hitzewelle mit dem Klimawandel zusammenhängt. „Weil ihr Journalisten ständig darüber redet, kommt Panik auf.“

Etwas weiter nickt Chiara Ceccarani (75) auf die Frage nach der Rolle des Klimawandels fest. „Ja, ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.“ Als sie 1967 von Umbrien nach Rom zog, um Literatur zu studieren, waren die Sommer anders, daran erinnert sie sich gut. „Ich könnte den ganzen Tag im Garten sitzen und für meine Prüfungen lernen.“

Nun, das ist undenkbar. Bei Temperaturen über 35 Grad wissen die Römer nur eines: drinnen zu bleiben, um sich vor der sengenden Sonne zu schützen. Im Zentrum greifen Touristen zunehmend auf Brunnen zurück, imitieren aber Anita Ekberg La Dolce Vita ist eine teure Strategie: Das Bußgeld beträgt 450 Euro.

Langsame Energiewende

Mittlerweile ist nicht jeder in der italienischen Politik von der Ernsthaftigkeit der Hitzeprobleme überzeugt. „Es ist heiß im Sommer“, schrieb der Lega-Abgeordnete Claudio Borghi in den sozialen Medien. „Es gibt keinen Grund für Alarmismus.“

Die rechte italienische Regierung hat es daher mit der Klimapolitik nicht eilig. Premierministerin Giorgia Meloni ist keine Leugnerin; Auf dem Klimagipfel COP27 im November erklärte sie, es sei „ein entscheidender Moment im Kampf gegen den Klimawandel“ und Italien werde „seinen Teil dazu beitragen“. Aber im Inland fügte Meloni hinzu, dass Klimamaßnahmen der Wirtschaft nicht schaden und nicht zu mehr Arbeitslosigkeit führen dürften.

Und während Bürokratie und Widerstand der Anwohner die Energiewende in Italien verzögern, muss sich die Politik bereits mit den Folgen des Klimawandels auseinandersetzen, wie etwa den Überschwemmungen in der Emilia-Romagna im Mai. Nach wie vor trifft das Land noch nicht viele Vorkehrungen für die aktuelle Hitzewelle.

„Engel der Erfrischung“

Im Zentrum Roms verteilt das Rote Kreuz Wasser an Orten, an denen es nur wenige Trinkbrunnen gibt. Achtzig schickt die Gemeinde am Dienstag ebenfalls angeli del fresco („Engel der Erfrischung“) unterwegs. An 28 Punkten in der Stadt müssen die Helfer unter anderem durch die Verteilung von Wasser verhindern, dass Menschen von der Hitze überwältigt werden.

Der Markt von San Giovanni di Dio ist einer dieser Orte, aber der angeli Gehen Sie erst um 11 Uhr raus. Bis dahin wird die am stärksten gefährdete Gruppe längst von der Straße verschwunden sein. Chiara Ceccarani hat ihren Einkauf erledigt und eilt nach Hause, möchte aber zunächst etwas sagen: „Wissen Sie, in den 1970er-Jahren hatte niemand eine Klimaanlage.“ Es war nicht nötig. Jetzt sieht man sie überall.‘

Dem Fisch des Taxifahrers Domenico D’Alisera sind inzwischen alle Gräten entgrätet, weshalb er ebenfalls in seine klimatisierte Wohnung flieht. Und obwohl er bezweifelt, dass diese Hitze auf den Klimawandel zurückzuführen ist, macht er sich manchmal auch Sorgen um die Zukunft seiner Enkelkinder, der 14-jährigen Zwillinge. „Aber ja, was können wir dagegen tun? „Wenn ich am Strand bin, sammle ich Plastik, aber es ist so viel.“

Darüber hinaus haben die alten Römer nun alle Hände voll zu tun, die Hitzewelle zu überstehen. Maria Pia hat einen klaren Plan: „Ich gehe rein und komme erst morgen früh wieder raus.“ Aber schon früher ist es jetzt schon zu heiß.‘



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