Thomas verspricht, ein Kinderbuch zu schreiben, und was dann geschah, sahen wir schon von weitem kommen

Fuer den ahnungslosen Zuhoerer mag ich wie ein geschnueffelter Psychiatriepatient
Thomas van Luyn

Glauben Sie mir, wenn ich sage, Sie haben keine Ahnung, wie spät diese Kolumne abgegeben wurde. Wenn ich Ihnen sage, dass ich gerade mit dem Zeitungszusteller unterwegs bin, um die letzten Korrekturen in diesen Satz zu kritzeln, übertreibe ich kaum. Meine eigene Schuld. Als mich ein Verleger völlig ohne Realitätssinn fragte, ob ich ein Kinderbuch schreiben wolle, hätte ich darauf hinweisen sollen, dass ich es in meinem ganzen Leben noch nicht geschafft habe, etwas zu schaffen, das wie ein Arbeitsrhythmus aussieht. Wenn ich einen Tag zu spät eine Seite für diese Zeitung einbringe, kann sie von den außerordentlich flexiblen Redakteuren, die für dieses Medium arbeiten, noch angepasst werden. Aber die Mathematiker unter Ihnen werden schon ausgerechnet haben, dass ein Buch von etwa 150 Seiten mit 150 Tagen Verspätung abgegeben wird.

Der große Stock hinter dieser Tür sieht so aus: Der Verlag hat das nicht vorhandene Buch auf das Cover seiner Saisonbroschüre geklebt. Es steht hier vor mir, um mich daran zu erinnern, dass die Buchpressen schon aufgewärmt sind, die Drucker neben ihren Maschinen warten, dass im AKO schon ein Platz für einen Stapel neben der Kasse frei ist, dass die Schlange für die Signierstunde fängt schon an zu murren, und dass Humberto Tan schon seine Fragekarten durchgeht. Sie fangen alle an, ungeduldig zu schlurfen und Dinge zu sagen wie: „Sag! Ist es noch für heute, Mr. Van Luyn, oder äh…?«

Schon vor einem Jahr wusste ich, wenn ich mich jeden Tag eine Stunde hinsetzen würde, hätte ich das Auto schon längst in den Leerlauf stellen und ausrollen lassen können. Aber jetzt, wo die Kacke auf dem Weg zum Beatmungsgerät ist, sind alle Gesetze der Physik außer Kraft gesetzt. Ich wusste nicht, dass es möglich ist, aber es stellt sich heraus, dass, wenn Sie einfach nicht essen, nicht trinken und nicht schlafen, nicht auf die Toilette gehen, sich nicht waschen, rasieren oder anziehen, man hat nachts vom Kaffee zitternde gefrorene Füße und Red Bull arbeitet bis etwa halb vier, macht einen Mittagsschlaf bis 7 Uhr und geht wieder an die Arbeit, dass man sich erstaunlich gut konzentrieren kann. Während dieser Nickerchen passieren viele Dinge. Farben und Formen tanzen vor meinen Augen, mein Körper wird flüssig, ich höre Stimmen und erlebe Momente religiöser Ekstase. All jene Kulturen, die hin und wieder eine Woche Fasten und Nachtwachen haben, tun dies anscheinend nicht nur, weil es der Schlumpf angeordnet hat, sondern auch, weil der Große Geist Türen der Wahrnehmung dann weit öffnen.

Auch meine Kinder lernen viel dabei, gerade im Bereich der Selbständigkeit. Ich habe gerade meinen Jüngsten in ganz anderen Klamotten vorbeischlurfen sehen als vor fünf oder sechs Tagen, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Zumindest denke ich, dass es mein Kind war, ich muss gestehen, dass ich mich nicht sehr gut daran erinnern kann, wie er heutzutage aussieht. Und ich glaube mich zu erinnern, dass plötzlich eine Frau in meinem Haus herumlief, aber es könnte natürlich auch eine fieberhafte Fantasie gewesen sein.

Ich rief den Herausgeber dieser Zeitschrift an, um ihm zu erklären, dass ich wegen eines Buches so spektakulär spät dran war. „Ah“, sagte er, „ist das für das lang Erwartete Fristen sind wirklich mein Ding?‘



ttn-de-23

Schreibe einen Kommentar