Mit einer überzeugenden Ikea-Route sind das Gebäude und die Sammlung moderner geworden

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Das Centraal Museum in Utrecht hat eine neue Sammlungsstruktur. Von links nach rechts: Vagina-Hosen von Duran Lantink, Gemälde über Untergrundwiderstand von René Daniëls und zwei Gemälde von Miriam Cahn.Bild Gert Jan van Rooij

„Nur noch zwei und dann sind wir da“, sagt Bart Rutten in einem der letzten Räume des Centraal Museums in Utrecht. „Sie müssen müde sein.“ Nein, wir sind nicht müde. Etwas benommen von der Flut an Kunstwerken, ja. Der Regisseur selbst sieht überhaupt nicht müde aus. Andererseits. Die Begeisterung, mit der er der überregionalen und lokalen Presse einen Rundgang durch „sein“ Museum und die neugestaltete Sammlungsstruktur gibt, strahlt von ihm aus.

Verständlich. Die Arbeiten einer Innenrenovierung und Neupräsentation der Sammlung sind abgeschlossen. Und das war notwendig, gibt Rutten zu. „Besucher im Gebäude fragten sich regelmäßig: Wo bin ich?“ Die Lösung, die Direktor und Mitarbeiter für das drängende Problem fanden: eine überzeugende Ikea-Route mit sechzehn Sälen und Räumen, die der Besucher nur in eine Richtung beschreiten kann.

Über den Autor
Rutger Pontzen ist Kunstkritiker und Redakteur für bildende Kunst de Volkskrant und schreibt über antike, moderne und zeitgenössische Kunst.

Polyphon

Nicht nur das Gebäude, sondern auch die Sammlung wurde neu gestaltet. Und wie es der zeitgenössische Zeitgeist vorgibt, ist es jetzt polyphon, vielfältig, sowohl „inter-“ als auch „transhistorisch“; mit vielen Objekten außerhalb des früheren Kanons, hergestellt von „Männern und Nicht-Männern“, wie Rutten erklärt, und farbigen Künstlern. Das war auch notwendig, wie allein dieses eine Beispiel zeigt: die gemalte Hommage an Margareta Maria de Roodere, eine Künstlerin des 17. Jahrhunderts, die laut Rutten keinem männlichen Kollegen dieser Zeit in nichts nachstand, sondern wer war noch nie zuvor aufgefallen.

Im Vordergrund das Grabdenkmal eines Ritters aus der Familie Drakenborch aus dem späten 14. Jahrhundert.  Dahinter: das Gemälde „Die Neuankömmlinge“ von Jan van de Pavert.  Bild Gert Jan van Rooij

Im Vordergrund das Grabdenkmal eines Ritters aus der Familie Drakenborch aus dem späten 14. Jahrhundert. Dahinter: das Gemälde „Die Neuankömmlinge“ von Jan van de Pavert.Bild Gert Jan van Rooij

Es wimmelt von Anpassungen und Korrekturen. Die Abfolge der Räume mag noch den großen kunsthistorischen Linien folgen, von der Frührenaissance und dem 17. Jahrhundert über den Surrealismus, die Neue Sachlichkeit und De Stijl bis hin zur gemischten Gegenwartsperiode, aber es gibt keinen klaren roten Faden.

Es wäre auch schwierig, skizziert Rutten. Versuchen Sie, aus den mehr als 70.000 Stücken der Sammlung eine Auswahl zu treffen, die sowohl der Geschichte des Museums („das älteste Stadtmuseum der Niederlande“, so der Direktor) als auch den Wünschen des Besuchers an diese neue Zeit gerecht wird Erkenntnisse und andere gesellschaftliche Anforderungen.

Boxkampf

Das Ergebnis ist eine Auswahl von 430 Werken verteilt auf zwei Etagen. Wie ein „Boxkampf über 16 Runden“, erklärt Rutten und verweist auf die teilweise sehr große Menge an Blumenstillleben, Kleidern, alten Statuen, zeitgenössischem Design, Geschirr, Zeichnungen, Landschaften, Tischen, Gravuren, Schuhen, Unterwäsche, Stadtansichten, Licht Vorsprünge, Stühle usw. Bronzemasken, die tatsächlich, wie Rutten andeutet, miteinander um Aufmerksamkeit konkurrieren.

Die große Frage ist: Was passiert, wenn man bei einer Sammlungsvereinbarung die bisherige, strenge historische Leitlinie aufgibt? Und schafft stattdessen ein viel verspielteres und zeitgemäßeres Layout. Werden die Besucher weiterhin nach den bekannten Publikumsmagneten Ausschau halten?

Denn sie sind immer noch da, die Meisterwerke der Utrechter Caravaggisten Gerard van Honthorst, Hendrick ter Brugghen und Dirck van Baburen. Das umstrittene Selbstporträt von Pyke Koch mit faschistischem Stirnband. Die üppigen Traumbilder von JH Moesman. Die Kircheninterieurs von Pieter Jansz. Saenredam. Das Flowerbomb-Kleid von Viktor & Rolf. Die weltberühmten Stühle und architektonischen Entwürfe von Mitbürger Gerrit Rietveld. Das sehr teure Puppenhaus. Die Charley Toorops und Marlene Dumassen.

Links: zwei Lichtobjekte „Remember Me“ von Steve McQueen.  Rechts das Porträt der amerikanischen Bürgerrechtlerin Sojourner Truth, gemalt von Iris Kensmil, neben dem einer anonymen weißen Frau aus dem 17. Jahrhundert.  Bild Gert Jan van Rooij

Links: zwei Lichtobjekte „Remember Me“ von Steve McQueen. Rechts das Porträt der amerikanischen Bürgerrechtlerin Sojourner Truth, gemalt von Iris Kensmil, neben dem einer anonymen weißen Frau aus dem 17. Jahrhundert.Bild Gert Jan van Rooij

Unerwartete Sidekicks

Was für eine reichhaltige Sammlung, kommt man nicht umhin zu denken. Und was für eine Vielfalt. Gerade wegen der überraschenden Kombinationen und dem Auftauchen unerwarteter Sidekicks. Trotz des überzeugenden Sprichworts, dass Museen sich heutzutage der Vielfalt von Kunst und Besuchern bewusster sein müssen, ist die Art und Weise, wie das Centraal Museum dies umsetzt, viel zurückhaltender als beispielsweise das Van Abbemuseum. Im Vergleich zur kompletten Umgestaltung des Eindhovener Museums werden in Utrecht Nadelstiche verteilt. Sie sind übrigens gleichermaßen wirksam.

Beispiel: Das zeitgenössische Porträt, das Iris Kensmil von der amerikanischen Bürgerrechtsaktivistin Sojourner Truth neben dem einer anonymen weißen Frau aus dem 17. Jahrhundert malte. Der Globus aus der Kolonialzeit, auf dem kurz die Seereise von den Niederlanden nach Batavia festgehalten ist, daneben ein Buch, in dem Patricia Kaersenhout diese Kolonialzeit kritisiert. Oder das Gemälde Schneewittchen und die nächste Generation der berühmtesten Malerin der Niederlande, Marlene Dumas, schräg gegenüber das Porträt ihrer vergessenen ehemaligen Kollegin Margareta Maria de Roodere.

„Für welchen Teil Ihres Publikums präsentieren Sie etwas?“, fragt sich Rutten nach der Hälfte der Führung. Die rhetorische Frage wird bereits im ersten Raum beantwortet, wie eine Grundsatzerklärung: Dieses Museum ist für alle da. Vorbildlich ist das gigantische Gruppenporträt, das Jan van de Pavert 2019 im Auftrag des Museums von den „Newcomers“ malte. Die abgebildeten Bewohner des Utrechter Stadtteils Kanaleneiland dienen eigentlich als Vorbild für alle Menschen mit Migrationshintergrund; Landsleute, die in keinem niederländischen Museum noch selten zu sehen sind und die man nun gerne in Utrecht willkommen heißen möchte.

Mit einer durchschnittlichen Anzahl von 26.875 Objekten pro Raum konkurriert das Centraal Museum in Utrecht um den Preis für die höchste Dichte an Kunstwerken unter den Sammlungen in den Niederlanden. Es ist auffällig, vor allem weil die Räume im neu gestalteten Museum (ehemaliges Kloster) nicht einmal so groß sind. Ergo: Für Ihren Besuch gibt es eine ordentliche Portion Kunstgenuss.



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