In einem Vierteljahrhundert scheint sich nichts geändert zu haben: Auch das Kabinett Kok war mit einer Asylaufnahmekrise konfrontiert

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Asylsuchende im Registrierungszentrum in Rijsbergen im Jahr 1998.Bild Broek, Joost van den

Am 3. April 1998 ärgerte sich Innenminister Hans Dijkstal über einen Kommentar seines Kollegen Gerrit Zalm. Der Finanzminister hatte zuvor angedeutet, dass die Kommunen nicht genügend Anstrengungen unternahmen, um Asylbewerber aufzunehmen, was dazu führte, dass sich die Asylbewerberzentren füllten. Dijkstal entgegnet, dass die Kommunen in diesem Bereich „viel Arbeit geleistet“ hätten. „Kommunen stehen ständig unter Druck. Sie stehen nun erneut vor einer großen Aufgabe. Dabei stoßen sie auf Akzeptanzgrenzen.“ Derselbe Dijkstal sagte sechs Wochen zuvor, dass das Problem der Asylaufnahme „in Gefahr ist, nahezu unlösbar zu werden“.

Ein Vierteljahrhundert Asylpolitik hat tatsächlich nichts gebracht, wie ein aufschlussreicher Blick auf das politische Gipfeltreffen von 1998 zeigt. Jedes Jahr am 2. Januar veröffentlicht das Nationalarchiv die bis dahin „streng geheimen“ Sitzungsprotokolle der Ministerräte von vor 25 Jahren (genau wie viele andere versiegelte Regierungsdokumente, die ein Vierteljahrhundert zurückreichen). Letztes Jahr scheiterte das letzte Rutte-Kabinett wegen der Migrationsfrage, aber genau die gleiche Diskussion und die gleichen politischen Differenzen kam es auch unter Premierminister Wim Kok.

„Unkontrollierbarer Asylstrom“

1998 nahm das erste Kok-Kabinett (PvdA, VVD, D66) nach den Wahlen zum Repräsentantenhaus im Mai einen schnellen Neustart mit derselben Zusammensetzung vor. Die Minister dieser lila Kabinette sprechen bemerkenswert oft über die niederländische Asylpolitik, fast ausnahmslos in einem besorgniserregenden Ton.

Ab Frühjahr 1998 zeichnete sich ab, dass die Zahl der Asylanträge voraussichtlich deutlich höher ausfallen wird als erwartet. Im September erhielt der Ministerrat eine Prognose, dass im Jahr 1999 zwischen 60.000 und 70.000 Asylanträge eingehen werden – eine Rekordzahl und ungefähr so ​​hoch wie die für 2023 prognostizierte Zahl.

Vizepremierministerin Annemarie Jorritsma nennt diese Zahlen „alarmierend“. Sie befürchtet, dass ein „unkontrollierbarer Zustrom von Asylbewerbern“ die gesellschaftliche Unterstützung der Asylpolitik beeinträchtigen wird. „Die Lage ist unbestreitbar ernst“, stimmte der für Einwanderungspolitik zuständige Staatssekretär Job Cohen am 25. September zu. Eine Woche später stellte Premierminister Kok fest, dass es „enormer Anstrengung“ bedürfe, um in den Asylbewerberzentren ausreichende Kapazitäten zu schaffen.

Die Minister führen den erhöhten Zustrom auf die relativ freundliche niederländische Asylpolitik zurück. Der Ministerrat stellte 1998 mehrfach fest, dass Deutschland deutlich häufiger Asylanträge von Afghanen, Bosniern und Iranern ablehnte als die Niederlande. Beispielsweise hält Deutschland den Iran für ein sicheres Land, doch das Repräsentantenhaus verabschiedete 1997 einen Antrag, iranische Asylbewerber vorerst nicht zurückzuschicken.

Saugeffekt

„Die Niederlande sind das einzige (europäische – Hrsg.) Land, das diesbezüglich eine andere Politik verfolgt“, stellte Staatssekretär für europäische Angelegenheiten Michiel Patijn (VVD) am 3. April fest. Die VVD-Mitglieder im Kabinett warnen immer wieder vor der „Anziehungswirkung“ einer relativ milden Asylpolitik. Bildungsminister Loek Hermans wies im Oktober darauf hin, dass die Zahl der Asylanträge in den Niederlanden um 34 Prozent gestiegen sei, während sie in Deutschland im gleichen Zeitraum um 19 Prozent gesunken sei. Weil Deutschland Afghanen zurückschickt, melden sich plötzlich viel mehr afghanische Asylbewerber in den Niederlanden.

Die meisten Asylanträge wurden Ende der 1990er Jahre von Afghanen und Irakern gestellt. Zum hohen Anteil an Irakern sagt Justizministerin Winnie Sorgdrager, dass es sich relativ oft um kurdische Flüchtlinge handele, die auch aus dem Iran, Syrien oder der Türkei kommen könnten. „Angesichts der besseren Chancen auf einen dauerhaften Aufenthalt in den Niederlanden präsentieren sie sich jedoch lieber als irakische Kurden.“

Die Regierung weiß nicht, wie sie solch berechnendes Verhalten bekämpfen kann. Beispielsweise konvertieren auffallend viele Iraner, deren erster Asylantrag abgelehnt wurde, in den Niederlanden zum Christentum und können anschließend aus religiösen Gründen einen neuen Asylantrag stellen.

In diesem Jahr ging es auch um das Problem unbegleiteter minderjähriger Asylsuchender (AMAs) aus Afrika, die wie Erwachsene aussehen, aber behaupten, 16 Jahre alt zu sein, weil sie als AMAs mit größerer Wahrscheinlichkeit einen Asylstatus erhalten. Etwa 70 Prozent der Asylbewerber haben keine Ausweispapiere, sodass das IND ihre Herkunft und ihr Alter nicht ordnungsgemäß überprüfen kann.

Auch die EU war 1998 gespalten

Wie schon 2023 gibt es im Ministerrat viele Bedenken hinsichtlich der mangelnden Einhaltung der Dublin-Verordnung, die verhindern soll, dass Asylbewerber über andere europäische Länder in die Niederlande reisen, um hier einen Asylantrag zu stellen. Genau wie im Jahr 2023 kam es auch 1998 aufgrund der politischen Spaltungen in der Europäischen Union nicht zu einer wirksamen Politik.

Zielländer wie die Niederlande und Deutschland haben ein Interesse an der Durchsetzung der Dublin-Abkommen, Transit- und Ankunftsländer wie Italien, Ungarn, Polen und Griechenland jedoch nicht. An einer Stelle erzählt Patijn seinen Ministerkollegen, dass Menschenschmuggler Zollbeamte an der polnischen und tschechischen Grenze in großem Stil bestechen, um Asylsuchende nach Deutschland und Österreich weiterzuschmuggeln. Auch die Überwachung der italienischen und griechischen Küsten ist ein Problem – genau wie 25 Jahre später.

Ende 1998 sah sich die Regierung schließlich gezwungen, in Ermelo ein großes Zeltlager zu errichten, um das Registrierungszentrum in Rijsbergen zu entlasten. Auch in anderen Gemeinden sollen Zelte vorübergehend die Not an Unterkünften lindern. Im Januar 1999 trat Cohen zurück Freie Niederlande dass das Asylsystem kurz davor steht, zu „explodieren“. Doch im Laufe des Jahres kehrt Ruhe ein, denn die „alarmierende“ Prognose von mehr als 60.000 Asylanträgen tritt nicht ein. Es werden „nur“ 39.000 sein. Das bedeutet, dass die Asylkrise für eine Weile abklingen wird, um dann mehrmals mit voller Wucht wiederzukommen.

Entschädigung für die Rückführung jüdischer Bürger

Nach dem Krieg forderte die NS vom Staat die Erstattung der Kosten für den Transport jüdischer Aussiedler aus Konzentrationslagern. Die Eisenbahngesellschaft, die während des Krieges im Auftrag der deutschen Besatzer auch zahlreiche Juden an die Landesgrenzen transportierte, verwies in dem Brief auf einen Beschluss aus dem Jahr 1944, in dem es hieß, die Rückführung werde vom Staat finanziert.

Der Leiter des sogenannten „Handelsdienstes“ der NS gab bekannt, dass am 25. Juli 1945 395 Juden mit einem Extrazug aus Basel in der Schweiz angekommen seien, wo sie zuvor empfangen worden waren. Der Brief der NS ist an das Sozialdezernat gerichtet. „Wir würden gerne von Ihnen hören, ob wir Ihnen den oben genannten Transport in Rechnung stellen können“, schrieb der NS-Chef. Der zuständige Sozialminister leitete das Schreiben daraufhin an den Leiter der Militärbehörde weiter, da dieser den Betrag vermutlich zahlen musste.

Die NS blieb während des Zweiten Weltkriegs ein Eisenbahnunternehmen in den Niederlanden. Im Auftrag der deutschen Besatzer transportierte das Unternehmen mehr als 100.000 Juden an die Landesgrenzen, deren Endziel Konzentrations- und Vernichtungslager waren. Auch die NS verdiente damit Geld. Das Unternehmen entschuldigte sich 2005.

Abhörpraktiken

Im Schloss Soestdijk gab es zu Zeiten von Königin Juliana und Prinz Bernhard Befürchtungen, belauscht zu werden. Dies geht aus einer handschriftlichen Notiz an Marie Anne Tellegen hervor, die nach der Befreiung Direktorin des Büros der Königin war.

Unter dem Brief befindet sich eine Initiale, die der damaligen Königin Juliana zugeschrieben wird. Der Briefschreiber berichtet, dass ein gewisser Sesink, wahrscheinlich der Polizeikommissar, der eng mit dem königlichen Haushalt verbunden war, sagt, dass ein gewisser Posthumus oder Posthuma „unzuverlässig“ sei und „lauschen kann, wenn er will“.

Der Autor mahnt zu härteren Maßnahmen: „Nur wenn man P. fördert und seine Komplizen in dieser Affäre unschuldig macht, kann die Linie wieder verlässlich werden.“ Viel Liebe‘



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