Erst ignoriert, dann bekämpft, weiß Klimaaktivistin Carla Hinrichs: „Das gehört dazu“

Erst ignoriert dann bekaempft weiss Klimaaktivistin Carla Hinrichs „Das gehoert


Carla Hinrichs, Sprecherin von Letzte Generation, im Februar 2023 in einem Berliner Gerichtssaal.Image DPA über Getty

Am frühen Morgen des 13. Dezember 2022 stehen acht Polizisten vor der Tür des Elternhauses von Carla Hinrichs bei Bremen. In kugelsicheren Westen und Taschenlampen in der Hand durchsuchen sie das Zimmer von Hinrichs, der selbst nicht zu Hause ist. Ihre Mutter ruft sie an und beschreibt den Tatort als „wie in einem Tatort“. Die Polizei beschlagnahmt einen Laptop, ein Telefon, Festplatten, Aufkleber, Transparente und ein Buch. Hinrichs nennt es „beängstigend“ und „ein reiner Einschüchterungsversuch“aber sie ist nicht überrascht.

Als Sprecher der Klimaschutzgruppe Letzte Generation ist Hinrichs (26) das Gesicht einer Bewegung, die für ihre Taktik sowohl in der öffentlichen Debatte als auch von Behörden kritisiert wird.

Seit Montagmorgen kleben sich Hinrichs und ihre Anhänger wieder auf den Berliner Asphalt, um dort wochenlang für Verkehrschaos zu sorgen, wenn es nach ihnen ginge. Auf diese Weise hoffen sie, die Bundesregierung dazu zu bewegen, eine Bürgerkonsultation zu organisieren, in der ein zufällig ausgewählter Teil der deutschen Bevölkerung über „gerechte Antworten auf die Klimakrise“ nachdenkt.

Über den Autor
Maarten Albers ist Generalberichterstatter von de Volkskrant.

Auch im vergangenen Jahr klebten Mitglieder der Letzten Generation wochenlang auf den Straßen Berlins und anderer deutscher Städte, was zu langen Staus führte. Außerdem traten sie in einen Hungerstreik, blockierten Autobahnen und Passagierflugzeuge, sägten die Spitze des großen Weihnachtsbaums vor dem Brandenburger Tor ab und warfen Kartoffelpüree über die Glasplatte vor einem Monet-Gemälde.

All dies tun sie unter dem Deckmantel des friedlichen zivilen Ungehorsams, der vorsätzlichen Rechtsverletzung oder der Missachtung staatlicher Anordnungen aus politischen Gründen.

An diesem hehren Ziel hat die deutsche Rechtsordnung kein Interesse. Mehrere Aktivisten der Letzten Generation wurden bereits mit Geldbußen in Höhe von Hunderten von Euro belegt. Dreizehn weitere befanden sich in Bayern in Sicherungsverwahrung – einige davon nicht weniger als dreißig Tage. Drei Aktivisten wurden kürzlich zu drei, vier und fünf Monaten Haft verurteilt.

Mindestens Dutzende weitere Klagen gegen Klimaaktivisten sind vor deutschen Gerichten anhängig. Und dann ist da noch der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, ein Verdacht, der dazu führte, dass die Polizei im Dezember die Eltern von Hinrichs und 10 weitere Orte durchsuchte.

Im vergangenen Monat wurde Hinrichs wegen „Nötigung“ zu einer Geldstrafe von 600 Euro verurteilt, weil sie Autofahrer mit einer Straßensperre behindert hatte. „Ich finde mein Verhalten nicht strafbar“, sagte sie dazu. „Wenn ich mir die Gesetze anschaue, erfordert Zwang verwerfliches Verhalten. Was ich verwerflich finde, ist, dass unsere Regierung uns über die Klippe schickt. Deshalb sitze ich friedlich auf einer Autobahn. Ich finde das nicht verwerflich. Wenn die Richter das glauben, müssen sie mich dafür einsperren.«

Es war schon immer Hinrichs‘ Ehrgeiz, vor Gericht zu landen, aber nicht auf der Anklagebank. Sie sagt, sie sei damit aufgewachsen „ein großer Drang nach Gerechtigkeit“. Sie trat in jungen Jahren Amnesty International bei und verbrachte ihre Schulzeit mit Demonstrationen und Petitionen. Sie hatte den Ehrgeiz, Richterin zu werden, brach aber ihr Jurastudium ab, als sie nur noch das Abitur machen musste, um sich hauptberuflich dem Klimawandel zu widmen. Seitdem lebt sie von Spenden und der Unterstützung ihrer Eltern.

Als Sprachrohr von Letzte Generation hämmert Hinrichs immer wieder ihre Kernpunkte ein: Die Erde steuert auf zweieinhalb Grad Erwärmung zu, mit weltweit desaströsen und zerstörerischen Folgen. Wir haben nur zwei oder drei Jahre Zeit, um das Schlimmste zu vermeiden, bevor das Klima den Wendepunkt erreicht. Und die Bundesregierung hat noch keinen Plan gestartet, um am Ziel von maximal anderthalb Grad Erwärmung festzuhalten.

Das rechtfertigt nach Ansicht der meisten Deutschen das Vorgehen von Letzte Generation nicht: 83 Prozent der Befragten finden, dass dieses Vorgehen zu weit geht.

Laut Hinrichs ist nach vielen sauberen Demonstrationen die Methode Letzte Generation die einzige verbleibende Option. Außerdem: „Es gehört zum Job, ignoriert und dann auf dem Weg zum Ziel ausgebremst zu werden. Wir können nicht länger ignoriert werden, weshalb wir ausgebremst werden.‘ Die soziale Aversion ist ihrer Meinung nach ein Garant dafür, dass das Thema weiter oben auf der Agenda bleibt.

Kritiker werfen den Aktivisten von Letzte Generation vor, durch strukturelle Rechtsbrüche eine demokratie- und verfassungsfeindliche Haltung einzunehmen. Aber auch das Klimapaket der Bundesregierung, betonte Hinrichs vergangene Woche auf einer Pressekonferenz, sei für verfassungswidrig erklärt worden, weil es zu wenig zum Schutz der deutschen Bürger tue.

Bis es ein Paket gibt, das ausreicht, um Deutschland auf maximal anderthalb Grad Erwärmung auf Kurs zu bringen, werde Letzte Generation weitermachen, sagt Hinrichs. „Wenn sich nichts ändert, bleiben wir auf der Straße. Dabei werden wir friedlich bleiben und die Grenze der Gewaltlosigkeit nicht verlassen. Das heißt nicht, dass wir keine Grenzen mehr überschreiten“, warnte sie.

„Ich kann nur hoffen, dass ich Ende 2023 nicht im Gefängnis bin. Und hoffen, dass mein Widerstand nicht mehr nötig ist und ich wieder Träume und Ziele haben kann.

3x Carla Hinrichs

„Nach vier Jahren Jurastudium begann ich zu zweifeln und fragte mich: ‚Wird die Welt dadurch gerechter?‘ Nicht wirklich. Im Gegenteil: Es wird von Tag zu Tag schlimmer.“

„Wir sind friedlich, wir protestieren für das Überleben zukünftiger Generationen und für unser eigenes Leben. Deshalb stellt sich die Frage, ob es nicht nur verhältnismäßig oder sogar gerechtfertigt ist, dass Menschen wegen uns im Stau stehen.“

„Ich frage mich, wer hier die wahren Verbrecher sind. Diejenigen, die die Klimakrise täglich anheizen, wie unsere Politiker und großen Unternehmen, oder diejenigen, die Alarm schlagen?‘



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