Eine bessere Chance auf einen Neuanfang hatte der Binnenhof seit zwanzig Jahren nicht

Eine bessere Chance auf einen Neuanfang hatte der Binnenhof seit

Die politische Wende ist eine gute Nachricht für den Wahlkampf: Der Weg ist frei für neue Ideen, neue Moralvorstellungen.

Raoul du Pré

Drei wichtige Parteiführer gaben ihren Abschied innerhalb einer Woche bekannt: Für eine vergleichbare Atmosphäre aus Alt und Neu in Den Haag müssen wir in den Frühling 2002 zurückkehren. Damals drückten Sorgen nach einem politischen Attentat auf die Stimmung im Binnenhof. Diesmal sieht ein großer Teil des Unterhauses vor allem die Möglichkeit, dass die kampfmüden Protagonisten der letzten Jahre einen Schritt zurücktreten.

Allein der Abgang von Mark Rutte macht neugierig auf die neue Phase, die nun anbricht. Neue Ministerpräsidenten haben ihre erfolgreichsten Jahre in der Regel früh, wenn sie noch voller Beweise sind, wenn sie nicht bereits ein Erbe gebrochener Versprechen mit sich herumtragen und wenn selbst die Opposition im Vertrauen auf sie zugeht. Mark Rutte hat diese Phase schon längst hinter sich, sein Nachfolger kann sie nutzen, um etwas in Bewegung zu bringen.

Viel hängt davon ab, wie die Parteien die kommenden Monate nutzen. Der VVD begrüßt Dilan Yesilgöz als den Traumkandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, weiß aber auch, dass die Prüfung noch bevorsteht. Wahlkampferfahrung hat sie nicht und für alle anderen Parteien ist sie die Frau, die es zu schlagen gilt. Jedes Wort, das sie sagt, ist von nun an auf einem goldenen Teller.

Es wird sicherlich teilweise von der Entwicklung seiner engsten Konkurrenten, der BBB und Pieter Omtzigt an der Spitze, abhängen. Insbesondere sie verkörpern für viele Wähler das Versprechen einer neuen Ära mit neuen politischen Sitten. Die Messlatte liegt für sie hoch, gleichzeitig bestehen noch große Unsicherheiten.

Für die BBB beginnt nun die entscheidende Phase ihres noch jungen Bestehens. Die Suche nach ausreichend fähigen Kandidaten für die Wahlliste ist ohnehin schon kompliziert genug, außerdem muss nun schnell ein detailliertes nationales Wahlprogramm erstellt werden, das auch der Berechnung durch das Zentrale Planungsbüro standhält. Die Zeit der unverbindlichen Opposition ist vorbei.

Das gilt auch für Pieter Omtzigt, der mit Systemkritik allein im Wahlkampf nicht durchkommt. Von ihm wollen die Wähler nun auch wissen, wie er das Stickstoffproblem lösen wird, wie viele Asylbewerber er für erstrebenswert hält, ob und wie er die Klimaziele erreichen will und wie er der wachsenden Ungleichheit in der Gesellschaft begegnen will. Entscheidungen zu treffen ist auch eine Enttäuschung für die Menschen.

Für BBB und Omtzigt ist es gewissermaßen ein Handicap, dass Mark Rutte das Feld verlässt. Sie verlieren ihren Hauptzweck, den Widerstand, und müssen ihn alleine leisten. Das gilt auch für die neue Rood-Groene-Koalition, die nach 21 Jahren endlich darauf hofft, die Nachfolge von Wim Kok im Torentje zu liefern.

Der Wachwechsel ist wahrscheinlich eine gute Nachricht für den Wahlkampf. Der Abgang von Rutte, Kaag und Hoekstra bietet Raum, nicht mehr über sie und darüber zu sprechen, was sie richtig oder falsch gemacht haben, sondern über die Ideen aller für die nahe Zukunft des Landes. Eine bessere Chance auf einen Neuanfang hatte der Binnenhof seit zwanzig Jahren nicht.

Der Volkskrant Commentaar bringt die Position der Zeitung zum Ausdruck. Es kommt nach einer Diskussion zwischen den Kommentatoren und den Chefredakteuren zustande.



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