Ein stöhnender Redner: Debatte um Amsterdams Erotikzentrum nimmt eine unerwartete Wendung

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Eindruck vom Erotikzentrum Amsterdam.Bild Gemeinde Amsterdam

Kurz bevor die lang erwartete Debatte um das Erotikzentrum beginnt, wirkt Bürgermeisterin Femke Halsema überrascht. „Schnarcht hier jemand?“ Im Sitzungssaal des Amsterdamer Rathauses sind an diesem Donnerstagnachmittag seltsame Geräusche zu hören. „Sie klingen wie Sexgeräusche.“ Aber woher kommt das Stöhnen?

Der Bürgermeister, Mitarbeiter der Einrichtung und Ratsmitglieder beginnen mit der Suche. Sie schauen hinter die Vorhänge, spähen durch das Fenster, lauschen dem großen Lautsprecher, der in der hinteren Ecke hängt. Und nicht viel später wird die Quelle gefunden. Ein verdächtiger Lautsprecher scheint mit Klebeband an das Fenster draußen geklebt worden zu sein.

„Aber jetzt ist es wieder ruhig“, bemerkt PvdA-Ratsmitglied Fatihya Abdi. Sie ging mit einer Gruppe nach draußen, um sich das kleine schwarze Gerät anzusehen, das mit Klebeband umwickelt war und aus dem Drähte herausragten. „Es sieht so aus, als ob jemand es aus der Ferne bedient.“

Über den Autor
Elsbeth Stoker berichtet als Regionalreporterin de Volkskrant Entwicklungen in Amsterdam und Umgebung. Sie hat zuvor viel über Polizei, Justiz und Kriminalität geschrieben. Sie hat unter anderem den preisgekrönten Podcast Grijs Gebied über eine umstrittene Undercover-Methode erstellt.

Ein paar Meter entfernt sitzt eine Gruppe Frauen gebeugt über ihren Laptops. Eine Person hat ein Buch in der Hand. „Nein, wir wissen nichts darüber“, antworten sie, als Abdi sie fragt, ob sie den stöhnenden Sprecher vielleicht mit Klebeband abgeklebt hätten. „Wir gründen einen Buchclub und jede Woche lesen wir gemeinsam irgendwo in der Stadt ein Buch“, erklärt eine der Frauen. Abdi sieht zweifelnd aus. Zugegeben, es ist ein wunderschöner Frühlingstag im Februar. Aber ein Buchclub, draußen, mitten in der geschäftigen Stadt? Das PvdA-Mitglied hält es für eine besondere Geschichte.

Spaltungist

Nicht viel später wird die Debatte beginnen. Der Redner schweigt, und ein wichtiges Streitthema für Amsterdam steht auf der Tagesordnung. An diesem Donnerstag dürfte sich herausstellen, ob Bürgermeisterin Halsema vom Stadtrat ausreichend Unterstützung erhalten wird, um ihren Plan zum Bau eines Erotikzentrums auf dem Europaboulevard in Amsterdam Süd fortzusetzen.

Nach Angaben des Bürgermeisters ist der Bau des neuen Sexzentrums notwendig, um „ein äußerst kompliziertes Problem“ in der Altstadt zu lösen. Die Lebensqualität im Amsterdamer Rotlichtviertel steht aufgrund des stetig wachsenden Touristenstroms seit Jahren unter Druck. Durch die Verlegung von einhundert der über zweihundert Fenster in ein neu errichtetes Sexcenter hofft sie, dass das Rotlichtviertel für Partytouristen weniger attraktiv wird.

Im Dezember gab Halsema bekannt, dass der Europaboulevard der beste Standort für ein solches Erotikzentrum sei. Ihrer Meinung nach ist dieser Ort an der Schleife der A10-Ausfahrt zum Amstelpark sowohl mit dem Auto als auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar. Darüber hinaus liegt es laut Halsema in einer starken, sozial belastbaren Nachbarschaft.

Aber es gibt viel Widerstand. Anwohner, Unternehmer und der Bezirksrat sind gegen die Ansiedlung des „größten Bordells Europas“ in ihrem Viertel. Und gleich nach Beginn der Debatte listet ein Kreisverwalter noch einmal alle Einwände auf. Der Bezirk befürchtet unter anderem, dass die erwarteten 1,5 Millionen Besucher pro Jahr zu Belästigungen führen und das Sexcenter die Kriminalität befeuern wird. Darüber hinaus fragt sich der Bezirksleiter immer noch, ob das Rotlichtviertel davon wirklich etwas gewinnen wird: Schließlich gibt es in der Altstadt noch immer über hundert Fenster, die noch Partytouristen anlocken können.

Dick-Pack-Verhältnis

Und der VVD macht auch gleich klar, dass er dagegen ist. Ja, ein Erotikzentrum könnte eine Lösung für die Menschenmassen im Rotlichtviertel sein, sagt Stadtrat Daan Wijnants. Doch den vom Bürgermeister gewählten Standort findet er ungeeignet. Der VVD würde ein solches Sexcenter am liebsten in einem neu errichteten Wohngebiet sehen. Und er fürchtet auch die finanziellen Folgen der Pläne. „Das ist eine potenzielle finanzielle Katastrophe“, argumentiert er, als er unterbrochen wird.

Diesmal ist es nicht der stöhnende Redner, sondern die Polizei. Der Sitzungsraum muss geräumt werden, da der Redner untersucht werden muss. Draußen ist der Bereich um den Lautsprecher mittlerweile mit Klebeband abgesperrt. Ein Mitarbeiter der Kampfmittelbeseitigung kommt mit hoher Geschwindigkeit und heulenden Sirenen an und zerstört dabei fast einen Mast. Doch als er am Redner ankam, kam der Sprengstoffspezialist schnell zu dem Schluss: ein Fehlalarm.

Zwei Stunden später geht die „hitzige“ Debatte weiter. Ein Teil der Opposition, wie auch der Südbezirk, glaubt nicht, dass Halsemas Plan das Problem im Rotlichtviertel lösen wird. „Wenn es zwei Orte für Prostitution gibt, dann gibt es mehr als einen“, bemerkt Denk-Stadtrat Sheher Khan. Er befürchtet wie sein CDA-Kollege, dass Amsterdam mit einem Erotikzentrum nur noch attraktiver für Partytouristen wird.

Die Koalitionsparteien PvdA und GroenLinks sehen das anders, ebenso wie D66. Diese Parteien – die die Mehrheit bilden – sind der Meinung, dass Halsema die Möglichkeit haben sollte, ihre Pläne weiterzuentwickeln. Obwohl D66 die Dinge genau im Auge behält. „Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass es den perfekten Standort gibt, jeder Ort hat Nachteile“, sagte D66-Stadträtin Elise Moeskops. Die Partei hat noch viele Fragen, auf die sie in den kommenden Jahren Antworten will. Ein detaillierterer Plan wird voraussichtlich noch in diesem Jahr vorliegen und eine Investitionsentscheidung wird im Jahr 2025 getroffen. Kurz gesagt, es wird weitere Momente geben, in denen sich der Gemeinderat an der Diskussion beteiligen kann. Letztlich, sagt Moeskops, werde sich D66 auf das „Piepelpak-Verhältnis“ konzentrieren. Mit anderen Worten: Welche Kosten wollen Sie auf sich nehmen und welche Risiken wollen Sie eingehen, um die Zahl der in Penisanzügen gekleideten Partytouristen im Rotlichtviertel zu reduzieren?



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