Das Übel der Banalität


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Sie treffen jemanden, steigen ein, nehmen eine Einladung zu ihm nach Hause an und stöbern in seinen Bücherregalen, während im Nebenzimmer Erfrischungen zubereitet werden – hören Sie das gedämpfte Klirren von Eis auf Glas. Und da ist es. Nicht ganz so vorhersehbar wie Tod und Steuern, nein. Aber mindestens genauso herzzerreißend.

Sapiens.

Das Problem ist nicht das Buch selbst, dessen angebliche Leichtfertigkeit und historische Ungenauigkeit ich nicht beurteilen kann. Das Problem ist die Offensichtlichkeit. So wie man „Guernica“ als sein Lieblingsgemälde nennt oder den Oscar-Gewinner für den besten internationalen Spielfilm als jährliche Weltkinoration anschaut, hat es etwas Pro-forma, den Yuval Noah Harari-Titel ins Regal zu stellen. Es ist nachdenklich genug.

Der Ausbau der Hochschulbildung begann vor einem Menschenleben. Menschen unter 40 sind mit dem Internet aufgewachsen und haben daher Zugang zum gesamten menschlichen Wissen ohne Grenzkosten. Seit dem Niedergang der Kirche gab es nur wenige formelle Beschränkungen des Denkens und Sprechens. Mittlerweile sollte sich das bürgerliche Leben wie ein Londoner Kaffeehaus um 1690 anfühlen: gelehrte Symposien, intellektuelle Amateurexperimente und abweichende Subkulturen.

Was mir stattdessen auffällt, ist die Gleichheit da draußen. Wir studierten Städter in der gesamten westlichen Welt haben uns auf eine mehr oder weniger gemeinsame Basis von Geschmäckern und Empfindlichkeiten geeinigt. Ein Begriff für diese Art von Person ist „Hebamme“, aber das impliziert, dass das Kernproblem ein Mangel an Gehirnleistung ist, was so gut wie nie der Fall ist. Besser passt „Normie“.

Normie möchte darüber reden Nachfolge. Normie glaubt, dass Los Angeles eine Zersiedelung ist, die von Autos und oberflächlichen Menschen beherrscht wird. Normies Profilfoto ist ein Selfie, das auf diesen Stufen auf Santorini aufgenommen wurde. Können Sie sich die Art von Person vorstellen, die ich meine? NEIN? Dann lass mich weitermachen. Normie hat private Bedenken gegenüber neuen Geschlechterdoktrinen, genießt aber keine Konfrontation mit Freunden oder Junioren. Normie ist Engländerin und findet, dass Gareth Southgate großartige Arbeit dabei geleistet hat, die Fußballnationalmannschaft wieder mit den Menschen zu verbinden. Normies Politik tendiert zu einer Art Liberalismus mit dem geringsten Widerstand. Normie ging hin, um nachzusehen Hamilton.

Schauen Sie, ich verstehe die Falle hier. Definieren Sie sich einfach nur gegen die bürgerliche Konvention, und Sie können an dunklen Orten landen. Ziemlich oft wird mir irgendein Wiesel in der Weste, der zwischendurch den halben Klappentext eines Buches von John Mearsheimer gelesen hat, sagen, dass die Nato Osteuropa als „Pufferzone“ mit Russland hätte abtreten sollen. Gib mir tausend Normies über das konträre Recht.

Außerdem gibt es zweifellos in jeder Epoche Klischees und Gemeinplätze. Posthum von Gustave Flaubert Wörterbuch der empfangenen Ideen war ein Versuch, die Werke Frankreichs des späten 19. Jahrhunderts zu katalogisieren. Die Einträge unter „Tiere“ („Wenn sie nur sprechen könnten. Manche sind schlauer als Menschen!“) und „Beethoven“ („Beet-hoven nicht aussprechen. Loben Sie das Legato“) vermitteln einen Eindruck davon. Er parodiert längst verstorbene Pariser, beschwört aber auch die Atmosphäre einer dieser modernen Dinnerpartys herauf, bei denen von wirklicher Durchdringung nichts gesagt wird. Der Unterschied besteht darin, dass es jetzt viel weniger Ausreden gibt.

Das ist, um Hannah Arendt umzukehren, das Übel der Banalität. Vielleicht reagiere ich aufgrund meines Jobs empfindlicher darauf. Kolumnisten leben und sterben von Ideen. Das Freundlichste, was jemand für mich tun kann, ist, etwas Originelles zu sagen und damit eine Kolumne zu provozieren. Und der schlimmste Nachteil besteht darin, mich einem Abend voller Normie-Geschwätz auszusetzen („Aber was sagt Keir Starmer?“) stehen für?“), wenn die Frist näher rückt. Aus diesem Grund ähnele ich in meinem Umgang mit Menschen immer mehr einem jener mittelalterlichen Könige, die ihre Narren hinrichten, weil sie nicht ausreichend unterhaltsam waren.

Ich bin nach wie vor nicht davon überzeugt, dass das Internet den öffentlichen Raum vergiftet hat. (Hat Joe McCarthy Facebook genutzt?) Ich komme auch immer wieder auf die Theorie von Peter Turchin zurück, dass ein Überschuss an Absolventen – die in konzeptionellem Denken geschult sind, aber keine Karriereaussichten haben – den Extremismus antreibt. Nein, das beste Argument gegen den großen Wissens- und Kommunikationsboom der letzten Jahrzehnte ist letztlich nicht, dass es sich um eine bürgerliche oder soziale Katastrophe handelte. Es war einfach ein Flop. Was eine aufregende Massenkultur hätte sein sollen, ist zu einer Kultur geworden, für deren Verspottung kein Flaubert nötig ist.

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