Country-Sänger stürmt mit klagendem Lied die Charts und wird zum politischen Spielzeug

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Christopher Anthony Lunsford alias Oliver Anthony.Bild Getty Images

Nach eigenen Angaben ist Oliver Anthony ein gewöhnlicher, aber auch etwas elender Junge, mit drei Hunden und einer Gitarre, aber leider ohne Zukunft. Er arbeitete in einer Fabrik, konnte es dort aber nicht schaffen. Er leidet an Depressionen und verschiedenen Süchten. Sein einziger Kritikpunkt: das kleine Stück Land, das er in der Nähe der Stadt Farmville im US-Bundesstaat Virginia besitzt. Dort versucht er, eine bescheidene Farm zu gründen, bisher erfolglos.

In düsterer Stimmung, auf diesem Stück Land herumlungernd, schrieb er das Country-Lied Reiche Männer nördlich von Richmond, über die beklagenswerte wirtschaftliche Situation, in der sich seiner Meinung nach viele Amerikaner aus den Südstaaten befinden. „Ich habe meine Seele verkauft, jeden Tag gearbeitet“, singt er in dem Lied, das letzten Monat veröffentlicht wurde. „Ich habe Überstunden für ein beschissenes Gehalt gemacht. Jetzt sitze ich hier draußen und verschwende mein Leben. Und dann schleppe ich mich wieder nach Hause, um meine Sorgen auszutrinken.‘

Nicht viel Neues unter der Sonne, könnte man sagen. Die Popmusik hat ihren Ursprung weitgehend in Liedern über Elend und soziale Missstände: Blues, Folk und Country kommen ohne sie nicht aus. Aber in den Vereinigten Staaten von heute scheint nichts normal und alles politisch zu sein. Reiche Männer nördlich von Richmond ist zu einer kontroversen und polarisierenden Hymne geworden, die Amerika erneut in zwei Lager spaltet.

Einzigartig

Oliver Anthony (richtiger Name: Christopher Anthony Lunsford) lebt jetzt in einer anderen Welt, mit einer Zukunftsperspektive. Sein Song ist seit Wochen die Nummer eins der US-Billboard-Charts und schlägt Künstler wie Taylor Swift, Olivia Rodrigo und Dua Lipa. Laut der Hitlisten-Organisation Billboard ist das einzigartig: Noch nie war ein Song eines bisher völlig unbekannten Künstlers so erfolgreich.

Über den Autor
Robert van Gijssel ist seit 2012 Musikredakteur de Volkskrantmit besonderem Interesse an elektronischer Musik und Tanz sowie den härteren Musikgenres.

Wann Reiche Männer nördlich von Richmond Als das Lied Anfang August auf YouTube erschien, ging es fast sofort viral. Der Text sprach zunächst vor allem konservative Meinungsmacher wie Podcast-Moderator Joe Rogan und rechte politische Kommentatoren wie Matt Walsh von der Nachrichtenseite an Der DailyWire. Sie zitierten Oliver Anthonys treffende Sätze über die „reichen Männer nördlich von Richmond“, die keine Rücksicht auf den einfachen Mann haben. Anthony meinte natürlich die politische Elite in Washington, der politischen Hauptstadt nördlich der Stadt Richmond in Virginia. „Sie wollen wissen, was du denkst, sie wollen wissen, was du tust“, singt Anthony.

Das Lied wurde daraufhin millionenfach auf YouTube angeschaut. Anschließend landete der Song auf Platz eins der Streaming-Dienste. Und es wurde von vielen Amerikanern im digitalen Songstore iTunes gekauft, wohl auch aus idealistischen Motiven. Denn auch dank diesem Verkaufserfolg Reiche Männer nördlich von Richmond bis hin zu dieser wichtigen Billboard-Liste, und die traurige Geschichte von Oliver Anthony stand im Rampenlicht.

Wahldebatte

Die Kampagne hat funktioniert. Das Lied wurde von der organisierten Politik zunächst bei einer Wahldebatte im Bundesstaat Wisconsin aufgegriffen. Der republikanische Gouverneur und Präsidentschaftskandidat Ron DeSantis reagierte auf das schrille Gitarrenlied, das während der Debatte gespielt wurde. „Unser Land befindet sich im Niedergang“, sagte er. Und das ist eine Wahl. Wir müssen Joe Biden in seinen Keller zurückschicken und das Blatt wenden.“ Anschließend erhielt er Unterstützung von republikanischen Kollegen, die das Lied als „eine Hymne der vergessenen Amerikaner“ bezeichneten.

Der Gegner reagierte zunächst vorhersehbar. Viele Demokraten sehen in dem Lied eine Verschwörungstheorie: eine Anklage gegen eine angeblich hochgebildete Elite, die Zivilisten aussaugt und kontrolliert. Doch in den letzten Tagen haben sich demokratische Politiker hinter dem Lied versammelt. Der demokratische Senator von Connecticut, Chris Murphy, teilte das Lied in seinen sozialen Medien und forderte „alle progressiven Amerikaner“ auf, es anzuhören. Seiner Meinung nach zeigt Oliver Anthony den Weg aus der Misere. „Und die Linke hat bessere Lösungen als die Rechte.“

Es ist in den USA auch nicht neu, dass die Politik mit Popmusik davonkommt. Im Wahlkampf werden oft kämpferische Lieder gespielt, teilweise zum großen Leidwesen der Macher. Der Rapper Eminem beispielsweise beklagte sich letzten Monat über den Missbrauch seines Liedes Verliere dich selbst vom republikanischen Trump-Anhänger Vivek Ramaswamy.

Fühlt sich missbraucht

Auch Oliver Anthony fühle sich missbraucht und missverstanden, sagte er letzte Woche in einem YouTube-Video, das von seinem Auto aus gefilmt wurde. Politisch sei er in der Mitte, sagte er. In seinem Lied geht es nicht um Joe Biden, sondern um das gesamte politische System und all seine Opfer. „Viele Leute versuchen, sich mit meiner Nummer wichtiger zu machen als sie sind, und das nervt mich wirklich“, sagte er. „Aber sonst geht es mir gut.“

Seine Erfolgsgeschichte ist noch lange nicht zu Ende. US-Medien zufolge ist unter den Plattenfirmen, die Oliver Anthony rekrutieren wollen, ein Kampf ausgebrochen. Dem Sänger selbst zufolge widersetzt er sich mutig und Er lehnt ein Millionenangebot nach dem anderen ab, weil er später keine Lust mehr hat, mit sechs Trucks auf Tour zu gehen. „Ich mag es einfach nicht, im Rampenlicht zu stehen.“

DREI MAL wurden Popsongs missbraucht und missverstanden

Neil Young – Rockin‘ in the Free World

Neil Youngs heftiger, gesellschaftskritischer Song wurde von unzähligen Politikern missverstanden. Sie kamen nicht über den patriotischen Titel hinaus und spielten das Lied ständig, in endlosen Wahlkämpfen.

Creedence Clearwater Revival – Glücklicher Sohn

Der ikonische Song von John Fogerty, einem rockenden Vietnam-Veteranen, war eine Anklage gegen die Klassenunterschiede und den Krieg, der vor allem unter einfachen Amerikanern Opfer forderte. Auf Kampagnen wurde die Nummer oft vor den schmerzhaftesten Textzeilen abgewiesen. Ja, ja, manche Leute erben das SternenaugeS.‘

Bruce Springsteen – Geboren in den USA

Es klingt patriotisch, aber der Wahlkampfhit „Born in the USA“ ist es nicht. Springsteens Texte sind ironisch und handeln davon, wie Amerika Kriegsveteranen und Menschen behandelte, die bereit waren, ihr Leben für ihr Land zu geben. „Ich werde zehn Jahre lang die Straße hinunterbrennen.“ Nirgendwohin, wo man hinlaufen kann, es gibt keinen Ort, wo man hingehen kann.‘





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