Wieder einmal muss Georgia über die Zukunft von ganz Amerika abstimmen. „Und hier war es schon so intensiv“

Wieder einmal muss Georgia ueber die Zukunft von ganz Amerika


Amerikanische Wähler geben ihre Stimme in der Joan P. Garner Library in Atlanta, Georgia, ab.Bild Rory Doyle für de Volkskrant

Ryshan Bagwell (43) drehte durch: SMS, E-Mails, Anrufe. Er wurde in den letzten Wochen den ganzen Tag belästigt. „Wirst du wählen gehen? Ja? Wer dann? Nein! Stimmen Sie dafür!‘ Noch nie hatte er als Wähler einen so intensiven Wahlkampf erlebt wie diesen Zwischenklausuren, hier, im Bundesstaat Georgia. „So dreckig auch. Verdammt.‘

Sein Telefon fühlte sich kontaminiert an. Also das erste, was er nach seiner Stimmabgabe am Dienstag in und um die Hauptstadt Atlanta tat: „Lösche jede politische Botschaft der letzten Monate.“ Doch dann kam die Nachricht: Noch eine Runde. Er stöhnt. „Alles beginnt von vorne.“

Noch ist unklar, welche Partei die Macht im US-Senat übernehmen wird. In zwei Wüstenstaaten wird noch gezählt. Nach aktuellem Stand würde Arizona an die Demokraten und Nevada an die Republikaner gehen. Damit wäre Georgien der entscheidende Sitz.

Der Republikaner Herschel Walker und der Demokrat Raphael Warnock landeten hier nach einer polarisierenden Kampagne, beide mit etwa 49 Prozent der Stimmen. Ein dritter, unabhängiger Kandidat gewann 2 Prozent. In Georgien ist eine absolute Mehrheit erforderlich, um zu gewinnen. Also am 6.12 Stichwahlgenau wie nach den Wahlen 2020.

Georgier fürchten es. Die beiden Seiten werden die volle Kraft ihrer landesweiten Wahlkampfmaschinen auf diesen einen Südstaat entfesseln. Georgien entscheidet dann über die Zukunft des gesamten Landes. Ein wochenlanger politischer Blitzkrieg droht auszubrechen, der mit mehreren zehn Millionen Dollar finanziert wird. „Und hier war es schon so intensiv“, seufzt Bagwell.

Schlammwerfen

Auf dem Stimmzettel stehen bald zwei in Georgia geborene christliche Schwarze – und da enden die Gemeinsamkeiten zwischen Herschel Walker (60) und Raphael Warnock (53). Der demokratische Pastor Warnock wurde 2021 sogar nach einem Mord getötet abfließenGeorgiens erster schwarzer Senator. Während der Kampagne erhielt er Unterstützung von den ehemaligen Präsidenten Barack Obama und Jimmy Carter.

Herschel Walker ist ein ehemaliger American-Football-Star, für den Donald Trump geworben hat. Der Konservative stellt sich entschieden gegen die Abtreibung und wiederholt die Wahllügen des ehemaligen Präsidenten.

Walkers Kampagne wurde von einem Skandal überschattet. Es stellt sich heraus, dass er unerkannte Kinder hat. Ihm werden häusliche Gewalt, Drohungen und Stalking vorgeworfen. Und dann stellt sich heraus, dass der Konservative in der Vergangenheit für eine Abtreibung bezahlt hat. Ein Wahlkampfspot der Demokraten nach dem anderen hämmert das den Wählern ein.

Der Schlamm fliegt hin und her. Walker wirft seiner Gegnerin zudem häusliche Gewalt vor. Er soll nach einem Streit seine Frau geschlagen haben – der Pfarrer bestreitet. ‚Was verbirgt Warnock sonst noch?‘, wundert sich Walker in einem Wahlwerbespot. Die Parteien haben bereits 258 Millionen Dollar für Fernsehwerbung ausgegeben, mehr als in jedem anderen Bundesstaat. Sie werden ununterbrochen ausgestrahlt. Die Bedeutung von Georgia geht niemandem in Washington DC verloren

Die Landschaft

Dass diese beiden diametral gegensätzlichen Kandidaten am Dienstag gleich agierten, zeigt, wie tief gespalten dieser Staat ist. Georgia ist ein Agrarstaat mit fruchtbarem Sumpfland, Baumwollfeldern, Pfirsichfarmen und vor allem einer Metropole: Atlanta. Von den elf Millionen Einwohnern lebt die Hälfte rund um die Hauptstadt. Auch die Wähler sind gespalten. Die Wahlkarte von Georgia ist ein roter Fleck mit einem blauen Herzen.

In Coffee County, 3,5 Stunden außerhalb von Atlanta, raucht Karina Bielke (51) auf der Bank vor dem Supermarkt, in dem sie arbeitet, eine Zigarette. „Ich wähle Walker“, sagt sie, wie drei Viertel der Wähler in ihrem Landkreis. „Ah, diese Skandale“, sagt Bielke. „Da ist er ehrlich, nicht wahr?“

Die Partei geht für viele Wähler in Georgien über den Kandidaten hinaus. Trotzdem ist Walker beschädigt. Er erging es deutlich schlechter als der Republikaner Brian Kemp, gewählter Gouverneur. Und er erhielt 50.000 Stimmen weniger als Warnock.

Die 50-Prozent-Regel

Dass es trotz der höheren Stimmenzahl für den Demokraten zu einer neuen Runde kommen wird, führt vor allem bei schwarzen Wählern zu Frustration. Beide Kandidaten sind schwarz – ihre Unterstützer aber auch nicht. Laut einer Umfrage von NBC News stimmten 70 Prozent der weißen Wähler für Walker. 90 Prozent der Afroamerikaner entschieden sich für Warnock.

Das abfließen stammt aus den segregierten 1960er Jahren. Die Regel sollte unter anderem die Wahl schwarzer Kandidaten erschweren. Die Befürchtung war, dass sich schwarze Wähler hinter einem Kandidaten vereinen würden. Eine 50-Prozent-Hürde ist für die Minderheit schwer zu überwinden.

„Willkommen in Georgia“, sagt Ablemable Thomas (65). „Warnock hätte in jedem anderen Bundesstaat gewonnen.“ Ihr Garten in Atlanta hat mehr Warnock-Schilder als Pflanzen. „Ich wollte sie mitnehmen. Aber das ist noch nicht möglich.‘

Hollywood, nicht Washington

Georgien wird also erneut zum Schlachtfeld der nationalen Politik. Am Donnerstag läuft der erste politische Werbespot im Fernsehen: „Raphael Warnock gehört nach Hollywood, nicht nach Washington.“ So unfair wäre er: ein Schauspieler.

Die Demokraten haben bereits 7 Millionen Dollar für ihren Wahlkampf vorgesehen. Und auch die Republikaner füllen die Kriegskasse. Donnerstagabend bittet Senatorin Lindsay Graham die Zuschauer von Fox News, „zu geben, zu geben, zu geben“. „Sie zerstören Herschel“, sagt er, „weil sie nicht wollen, dass Schwarze Republikaner werden.“

Der fähige Thomas fürchtet die kommende Wahlkampfzeit, aber sie ist bereit. Sie hat Dutzende von „Warnock“-Platten bestellt. Sie passen nicht mehr in ihren eigenen Garten. Gut mit den Nachbarn. „Das ist nicht mehr nur eine Abstimmung für Georgien“, sagt sie, „sondern für das ganze Land“.

In Coffee County geht Karina Bielke einen anderen Weg. ‚Schwarze Stimmen sind wichtig“ stand auf einem Schild vor dem Wahllokal. Sie hat hinzugefügt: ‚und weiß‚.



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