Wie ukrainischen Flüchtlingen mit einer provisorischen Adresse geholfen wird: „Hurra, ein Streichholz!“

Wie ukrainischen Fluchtlingen mit einer provisorischen Adresse geholfen wird „Hurra


Natalia Pak, ihr Mann Khaled und ihr Sohn Ramsay schliefen in den Jaarbeurs in Utrecht.Statue Marcel van den Bergh / de Volkskrant

Natalia Pak (31) sitzt hinter zwei abgepackten Sandwiches an einem Tisch in Halle 7 der Jaarbeurs in Utrecht. Es ist Freitagmorgen, Viertel nach zehn, ihr Gemütszustand: „50 Prozent Angst, 50 Prozent Freude“.

Sie hat letzte Nacht hier geschlafen, auf einem der Hunderte von Feldbetten, die hier in vielen Reihen aufgereiht sind. Ihr Mann Khaled (35) ist ebenso dabei wie ihr 11-jähriger Sohn Ramsay, der in Kiew beim FC Lokomotyv Fußball spielte.

Sie seien am Donnerstagabend hier angekommen, sagt sie, nach einer einwöchigen Reise. Natalia, deren Großeltern aus Korea in die Sowjetunion kamen, zeigt Fotos ihrer Arbeit in einem koreanischen Kulturzentrum in der ukrainischen Hauptstadt. Und von den Pflanzen, die sie so sehr liebt, Pflanzen, die sie zu Hause zurücklassen musste. Der gebürtige Ägypter Khaled sagt, er habe Holzbriketts unter anderem in die Niederlande exportiert.

Und jetzt sind sie selbst hier. Zu warten, bis ihnen ein Ort zugewiesen wird, an dem sie vorübergehend leben können.

Mit fliegender Geschwindigkeit eingearbeitet

Solche Verteilungsfragen – welcher Flüchtling kommt wohin? – werden hier im Verborgenen gehandhabt. Hinter einer schwarzen Wand in der Ecke von Halle 7 sind vier Tische zusammengeschoben. Mitarbeiter der Gemeinde Utrecht telefonieren dort den ganzen Tag herum und überbringen den wartenden Flüchtlingen dann gute Nachrichten.

Yvette Lanting (29) schaut sich gegen halb zwölf die Registrierungsnummer 9881670 an, die anonymisierte Akte, hinter der sich Natalia und ihre Familie verbergen. Lanting, Angestellter des Projektbüros der Gemeinde Utrecht, arbeitet heute zum ersten Mal hier, da viele Menschen mit fliegender Geschwindigkeit trainiert werden. Dies ist ihr erster Fall.

Bei der Wohnungssuche haben die Mitarbeiter zwei Möglichkeiten. Sie können versuchen, eine Familie über die Sicherheitsregion Utrecht (VRU) unterzubringen, die einen Überblick über die etwa tausend Plätze hat, die die Gemeinden in der Region in Hotels, Ferienparks und renovierten Bürogebäuden eingerichtet haben. Oder sie suchen sich über die Diakonie – die Evangelischen Kirchengemeinden – eine Gastfamilie in der Region.

Weil die Plätze der VRU fast alle besetzt sind, versucht Lanting es über die Diakonie. Sie scrollt durch eine Liste mit den Merkmalen der Gastfamilien: Standort, Familienzusammensetzung, Anzahl der Betten, gesprochene Sprachen und mehr. Bald trifft sie auf eine Familie mit Platz für drei Personen. Sie beschließt, dies mit der Registrierungsnummer 9881670 zu verknüpfen.

Eine Mutter probiert im Give-Away-Laden in den Jaarbeurs Second-Hand-Kleidung für ihren Sohn an.  Statue Marcel van den Bergh / de Volkskrant

Eine Mutter probiert im Give-Away-Laden in den Jaarbeurs Second-Hand-Kleidung für ihren Sohn an.Statue Marcel van den Bergh / de Volkskrant

Dazu sucht sie die mit der Nummer verbundenen personenbezogenen Daten in einem anderen System – alles im Einklang mit den Datenschutzbestimmungen der DSGVO – und trägt diese Daten dann manuell in ein von der Gemeinde bereitgestelltes Formular ein.

„Ich habe einen Vorschlag gemacht“, sagt sie einen Moment später zu einem Kollegen neben ihr. ‚Und dann rufen sie mich später an?‘

„Richtig“, sagt der Kollege. „Wenn innerhalb von anderthalb Stunden alles gut geht. Und dann organisieren wir ein Taxi. Es sei denn, diese Leute wollen kommen und sie selbst abholen.“

„Bürgermeister“ des Dorfes in den Jaarbeurs

Mitten am Vormittag beginnt die Halle 7 der Jaarbeurs mit der Ankunft weiterer Flüchtlinge zu summen wie ein kleines Dorf.

Hinten in der hohlen Halle stehen einige hundert Feldbetten, die paarweise aufgestellt sind. Außerdem ein paar Duschen, eine Arztstation, eine Teststraße und eine Impftheke. Es gibt eine Theke mit Kaffee, Suppe und Sandwiches. Tische, an denen alles verzehrt werden kann. Eine Spielecke voller Spielzeug. Ein leerer Bereich, auf dem Freiwillige mit den Kindern Fußball spielen. Ein Giveaway-Shop mit Second-Hand-Kleidung. Ein ukrainisch-orthodoxer Altar mit Klappstühlen davor. Und eine Ladestation für Telefone und Tablets.

Eine Ladestation für Telefone und Tablets, überfüllt von ukrainischen Kindern.  Statue Marcel van den Bergh / de Volkskrant

Eine Ladestation für Telefone und Tablets, überfüllt von ukrainischen Kindern.Statue Marcel van den Bergh / de Volkskrant

Der „Bürgermeister“ dieses Dorfes ist Henri van Maanen, obwohl er sich Projektmanager Registrierung und Empfang nennt. Van Maanen (51) wurde vor zwei Wochen von der Sicherheitsregion eingeflogen, um bei der Vorbereitung dieser Halle für die Ankunft von 130 Ukrainern zu helfen. Sie saßen bereits im Zug. „Hier war noch nichts“, sagt Van Maanen. „Keine Betten, keine Laptops, kein Strom. Nur das WLAN der Jaarbeurs.‘

Die Gemeinde Utrecht organisierte mit Hilfe des Roten Kreuzes und der Sicherheitsregion in einer Nacht Betten, sanitäre Einrichtungen und Essen. Flüchtlinge konnten sich mit einem Laptop an einem Tisch anmelden. Ein dortiger Mitarbeiter rief daraufhin Hotels und Taxis an. Sie erfassten auch Daten von Privatpersonen mit Schlafgelegenheiten. Sie banden Angebot und Nachfrage vorläufig zusammen. „Zum Glück kamen nicht alle 130“, sagt Van Maanen. „Die meisten blieben im Zug. Sie zogen es vor, nach Amsterdam zu gehen.‘

„Wir bauen eine Brücke, aber wir stecken drüber“

Das gab den Leuten in Utrecht etwas Zeit, sich zu vergrößern. Mehr Check-in-Schalter, mehr Laptops, mehr Mitarbeiter. Später bestellten sie auch Windeln, Babynahrung und Hundefutter. Und einen Tierarzt, der Haustiere auf Tollwut untersucht. So funktioniert es in einer Krise, stimmt Van Maanen zu. Erst Chaos, dann Struktur.

Oder wie Jaap Donker es ausdrückt: „Wir bauen eine Brücke, aber wir stecken drüber.“ Denn es gebe noch viel zu tun, sagt der Direktor der Sicherheitsregion Utrecht, von der am Dienstag bekannt gegeben wurde, dass rund 2.500 Aufnahmeplätze realisiert worden seien, von denen etwa die Hälfte belegt sei. Es gibt mehr Plätze als die zweitausend, die die Zentralregierung jeder Sicherheitsregion zugeteilt hat.

„Aber wir müssen uns auch auf die nächste Phase vorbereiten“, sagt Donker. „Was machen wir, wenn Gastfamilien uns bitten, die Flüchtlinge in ein paar Wochen wieder aufzunehmen? Was tun, wenn Menschen nicht ein paar Monate, sondern ein paar Jahre gepflegt werden müssen? Es ist ein Schachspiel. Während wir diesen Schritt machen, müssen wir uns auch auf die nächsten Schritte vorbereiten.“

„Hier ist es kalt und dunkel“

Viertel nach zwölf, Telefon bei Yvette Lanting. Es entpuppt sich als Heiratsvermittlerin der Gemeinde, die den Kontakt zu den Gastfamilien pflegt. Es stellte sich heraus, dass die Familie Lanting einige Zeit brauchte, um die Dinge in Ordnung zu bringen. Sie können Natalia und ihre Familie erst am nächsten Morgen empfangen.

„Okay“, sagt Lanting. „Das muss ich besprechen. Diese Leute haben hier schon übernachtet. Ich rufe Sie gleich zurück.« Sie dreht sich zu der Kollegin neben ihr um.

„Ich würde es vorziehen, wenn sie nicht länger als eine Nacht in den Jaarbeurs schlafen“, sagt er. „Es ist kalt und dunkel hier drin.“

Lanting ruft den Matchmaker zurück und beginnt dann, das System nach einer anderen Gastfamilie zu durchsuchen. Und ja, um halb zwei trifft sie in De Meern auf zwei ältere Menschen. Wieder einmal überträgt sie die Daten von Natalia und ihrer Familie von einem System auf ein anderes.

Ein ukrainisch-orthodoxer Altar mit Klappstühlen davor in der Ecke der Jaarbeurs-Halle.  Statue Marcel van den Bergh / de Volkskrant

Ein ukrainisch-orthodoxer Altar mit Klappstühlen davor in der Ecke der Jaarbeurs-Halle.Statue Marcel van den Bergh / de Volkskrant

Eine halbe Stunde später klingelt ihr Telefon. „Gut“, sagt Lanting. „Dann werde ich noch eine Weile suchen. Danke!‘ Und dann zum Kollegen neben ihr: „Das sieht nicht gut aus im System? Diese Leute haben Platz für drei Personen, aber das sind ein Erwachsener und zwei Kinder.“

Also weiter zum Versuch drei. Ein Ehepaar im Stadtteil Oog in Al, wo die Kinder bereits ausgezogen sind. „Dann versuchen wir es mal mit diesem hier“, sagt Lanting.

Und wieder tippt sie alle persönlichen Daten ein.

Mit einem Haustier ist es schwieriger

So geht das hier seit über einer Woche. Die Mitarbeiter hinter dem schwarzen Bildschirm in Halle 7 suchen Schlafplätze für alle Menschen, die sich an der Rezeption melden und nachweisen können, dass sie aus der Ukraine kommen. Eine Mutter mit zwei Töchtern. Zwei Schwestern mit drei Kindern. Zwei Mädchen mit zwei Katzen.

Es ist kein Läusejob. Es gibt hier Mitarbeiter, die haben acht bis zehn Tage am Stück gearbeitet, sagen sie, oft bis 21 Uhr abends. Manche schleifen nachts. Hat diese eine Familie noch einen Platz bekommen?

Sie essen Sandwiches hier hinter dem Laptop. Alle paar Minuten klingelt das Telefon. Und wenn es ruhig ist, steht immer eine neue Zeile in der bunten Excel-Tabelle bereit, eine Zeile, die eine Familie darstellt, die auf der anderen Seite des schwarzen Bildschirms wartet. Das Ziel ist, dass diese Akte am Ende des Tages sauber ist, damit niemand in der Jaarbeurs schlafen muss.

Dies ist nicht immer möglich, insbesondere wenn Flüchtlinge Haustiere dabei haben. „Ein Junge kam mit einem Pitbull hierher“, sagt Henri van Maanen. „Ein Schatz von einer Bestie, aber wir konnten sie nicht loswerden. Und so verbrachte er zwei Nächte hier auf einer Pritsche, mit dieser Bestie im Arm. Jetzt sitzt er allein mit einem Mann, der etwas Land um sein Haus herum hat.‘

„Ich wollte Leute mit einem ganz kleinen Hund bei einer Familie unterbringen, die nur Katzen haben wollte“, sagt ein Mitarbeiter hinter der schwarzen Leinwand. „Ich dachte, was ist der Unterschied? Aber am Ende hat es nicht geklappt.“

Erinnerungen an den Luftschutzbunker

Erschwerend kommt hinzu, dass einige Flüchtlinge nach einigen Tagen wieder in die Jaarbeurs zurückkehren, weil sie mit der Unterbringung unzufrieden sind. Sie wollen zum Beispiel in der Stadt oder näher bei der Familie wohnen. „Und dann müssen wir zum zweiten Mal etwas dagegen unternehmen“, sagt Van Maanen. „Unsere Organisation kann damit nicht umgehen.“

Also sind sie streng geworden. Personen können nur versetzt werden, wenn ein Arzt die medizinische Notwendigkeit bestätigt. „Wir hatten zum Beispiel ein Mädchen in einer Unterkunft untergebracht, wo sie draußen auf die Toilette musste. Das versetzte sie in Panik, weil es sie an den Luftschutzbunker erinnerte. Wir haben einen neuen Platz für sie gesucht.‘

Aber, so beeilt er sich zu sagen, im Allgemeinen seien die Ukrainer sehr dankbar. „Einige kommen am nächsten Tag hierher zurück, um zu helfen.“

„Wir haben ein Streichholz“

Um 14 Uhr klingelt das Telefon erneut. Lanting antwortet und bald erscheint ein Lächeln auf ihrem Gesicht.

‚Wie toll!‘ Sie sagt. „Wir sind in Halle 7 der Jaarbeurs. Sie können einfach hier reinkommen und nach mir fragen. Dann werde ich dafür sorgen, dass diese Leute da sind. Ich sage ihnen nur Bescheid, dass sie um 16 Uhr abgeholt werden. Danke, huh?‘

Als sie auflegt, hebt Lanting ihre Hände in die Luft. ‚Wir haben ein Streichholz!‘

„Schön, nicht wahr“, sagt ein Kollege.

Kurz darauf slalomiert Lanting zwischen den Tischen voller wartender Ukrainer hindurch zu dem Tisch, an dem Khaled sitzt. Er ruft Natalia zu sich, die Halle 7 weiter hinuntergeht.

Ich habe euch einen Platz gefundenSagt Lanting.

Dass sie am Ende „sehr verständnisvolle, kluge und gutmütige“ Menschen haben, wie später Natalia de Volkskrant Nachricht, sie weiß es noch nicht. Ramsay darf wenige Tage später auch nicht zum ersten Mal mit einer Utrechter Fußballmannschaft trainieren.

Ja wirklich?‘, Sie sagt. †Ich danke dir sehr!



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