Bundesaußenministerin Annalena Baerbock war die jüngste deutsche Politikerin, die es in einem Interview mit dem gab Frankfurter Allgemeine diesen Monat. Eine Entscheidung zum Leopard 2 Hauptkampfpanzer, ein von der Ukraine heiß begehrtes deutsches Waffensystem, das auf dem Schlachtfeld den Ausschlag geben könnte, muss von einer internationalen Koalition aufgegriffen werden. Aber, fügte sie hinzu: Was sie betrifft, wird diese Entscheidung so bald wie möglich kommen. „Der Druck auf die Kanzlerin wächst“, titelte die ARD am Tag darauf auf ihrer Homepage.
Zuvor hatte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht, die diesen Sommer dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil folgte, bereits offen das Tabu beseitigt, um das Baerbock und Scholz immer noch kreisen: Es sei Zeit für Deutschland, ein Militär zu haben Führungsrolle in Europa gespielt. Kaum war sie fertig, schien jeder deutsche Meinungsmacher wie wild ins Gehege zu klettern.
Seit Beginn des Ukraine-Krieges ringt Deutschland mit der Führungsrolle, die es als wirtschaftliche Supermacht, Waffenhersteller und Importeur von russischem Gas für Westeuropa unweigerlich einnehmen muss. Aber in den letzten Wochen scheint die zunehmende Einsicht die politischen Entscheidungsträger in Berlin vorsichtig zu ergreifen, angeheizt durch europäischen Druck, russische Fehlkalkulationen und deutsche Politiker einer weniger zurückhaltenden Generation.
Die Erfolge der Ukraine auf den Schlachtfeldern, teilweise dank westlicher Waffen, haben weiter zu „einer Öffnung in den Köpfen deutscher Politiker“ beigetragen, sagte Rafael Loss vom European Council on Foreign Relations. „Einige Regierungsmitglieder beginnen, zuvor ausgeschlossene Themen wie die Lieferung von Panzern zu überdenken.“
Zehn Milliarden
Doch die deutsche Gewissensprüfung dauert den Ukrainern zu lange und wird bislang vor allem kritisiert. Versprochene Waffen seien laut Ukraine oft zu spät, zu wenig oder mit unzureichender Munition eingetroffen. Andrij Melnyk, der ukrainische Botschafter in Berlin, der sich seit Kriegsbeginn mit immer lauteren und zynischeren Aufrufen zu mehr Taten als Peiniger der deutschen Politik erweist, twitterte nach Lambrechts Aussage, dass Deutschland vor allem „an einer Führungsrolle zweifelt und sie hinauszögert. „‘ spielt.
Melnyk wird bald von einem vermeintlich konstruktiveren Kollegen abgelöst. Denn die Ukraine scheint zu begreifen: Wir haben Deutschland in Bewegung gebracht, jetzt heißt es Gas geben. Die Ukraine und die große Schar westlicher Länder, die Deutschland seit Monaten zum Handeln drängen, sind von russischen Fehlkalkulationen verblüfft. Mit jeder neuen Eskalation des Energiekrieges scheint Deutschland entschlossener zu werden.
Auch in diesem Monat hat die Bundesregierung konsequent gehandelt, um Deutschlands Öl- und Gasversorgung zu sichern. Berlin hat vergangene Woche die deutsche Tochtergesellschaft des staatlichen russischen Ölkonzerns Rosneft unter Zwangsverwaltung gestellt und damit die Kontrolle über drei große (teilweise) russische Raffinerien auf deutschem Boden erlangt. Donnerstag berichtet Wochenzeitung des Spiegels dass Berlin auch die deutsche Tochtergesellschaft des staatlichen russischen Gaskonzerns Gazprom verstaatlichen will.
Die Bundesregierung hat dies bereits Anfang dieser Woche beim Gasimporteur Uniper beschlossen. Dieses Unternehmen steht seit Monaten vor dem Aus, weil Russland weiterhin den Hahn zudreht und Uniper deshalb immer mehr Gas auf dem extrem teuren Tagesmarkt einkaufen muss. Mit der Übernahme von Uniper erreichten die gesamten deutschen staatlichen Beihilfen für den Energiesektor satte 40 Milliarden Euro. Tage, nachdem die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula van der Leyen, die Mitgliedsstaaten aufgefordert hat, den Bürgern zu helfen und die Energiesicherheit zu schützen, ist dies ein starkes Beispiel für die Präsentation deutscher Leitplanken.
starke Kraft
Die Diskussion um die deutsche Führung scheint fast zu ignorieren, dass Deutschland bereits eine Führungsposition einnimmt. Scholz‘ Vorgängerin Merkel wurde von ihren Bewunderern mehr als einmal zur Führerin der freien Welt proklamiert. Während der zähen Verhandlungen während der Eurokrise, nach Deutschlands großzügiger „Wir kaufen das“-Flüchtlingspolitik, als Gegenstück zum undemokratischen Donald Trump. Es war die Art leichte Kraft wo sich Deutschland wohlfühlt.
Aber die Ukraine-Krise wirft schwierige Fragen zur Ausübung auf starke Kraft, und das macht die deutsche Politik nervös. Deutschland sei „ein Land, das von einem katastrophalen ‚Führer‘ so schwer beschädigt wurde, dass das Wort ‚Führung‘ nie wieder harmlos ins Deutsche übersetzt werden kann“, schreibt der deutsche Spitzendiplomat Thomas Bagger 2019 in einem Essay über den Kampf der Bundesregierung mit der Übung der Macht.
Die deutsche Debatte um den Leopard-2-Panzer, die in den kommenden Wochen weiter aufflammen dürfte, sei daher eigentlich eine Diskussion über die Rolle, die Deutschland in Europa spielen wolle, argumentiert der Süddeutsche Zeitung in dieser Woche. Die Zeitung fragt sich, was das Land mit dem Ruf nach deutscher Führung anfangen soll.
‚Deutsche militärische Führung auf dem Kontinent, wo die Wehrmacht und die SS ihre Verbrechen nun begangen hat, scheint nicht nur denkbar, sondern sogar wünschenswert. Aber jedes Mal, wenn Polen oder die baltischen Staaten Deutschland um mehr militärisches Engagement bitten, stellt sich die Frage: Ist das ein Kompliment an ein historisch rehabilitiertes und demokratisches Deutschland, oder ist vor allem die grenzenlose Wut auf Russland ausschlaggebend?“