Der Verteidigungsminister entwickelte sich im Laufe seiner Karriere zu einem hartgesottenen Nationalisten
In einem früheren Leben hätte Sergej Schoigu (66) Katastrophen erleiden müssen, wie er sie jetzt mit dem Militäreinsatz in der Ukraine anrichtet. Anfang der 1990er Jahre machte sich Shoygu, der in der Republik Tuwa an der Grenze zur Mongolei aufwuchs, als Minister für Notsituationen im Kabinett von Präsident Boris Jelzin einen Namen.
Seine tatkräftige Leistung als Chef des russischen Katastrophenschutzes (MTsjS) brachte ihm große Popularität ein. Zu dieser Zeit galt der Minister als einer der frischen, reformistischen Persönlichkeiten, die das neue Russland aufbauten. Er stand fest hinter Jelzin, als dieser 1993 im Machtkampf mit den Konservativen das Parlament stürmte.
Als Wladimir Putin Ende 1999 die Nachfolge Jelzins antrat, durfte Schoigu seinen Posten behalten. Putins Berater sahen in Schoigu sogar jemanden, an dem sich der neue Präsident in der Öffentlichkeit orientieren konnte: als Retter Russlands.
Schoigu war damals einer der Anführer der Partei „Einiges Russland“ von Präsident Putin, hielt sich aber sorgfältig zurück. Gleichzeitig entwickelte er eine enge Freundschaft mit dem Präsidenten: Die beiden unternahmen regelmäßig abenteuerliche Ausflüge in die Wildnis der Tajga, der russischen Wälder.
Putin belohnte ihn 2012 für seine Treue, indem er ihn zum Verteidigungsminister ernannte, obwohl er wenig Erfahrung in militärischen Angelegenheiten hatte. Aber er war energisch: Er startete sofort eine Kampagne zur Modernisierung der Streitkräfte. Er erhöhte die Gehälter des Militärs und zog die Strippen in der Militärspitze.
Nach und nach schüttelte er seine letzten liberalen Federn ab und trat als gepanzerter Nationalist hervor, der dem Beispiel seines Chefs im Kreml folgte. Als Verteidigungsminister koordinierte er die Eroberung der Halbinsel Krim im Jahr 2014. Sein Ministerium spielte eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung der pro-russischen Separatisten, die nach dem Sturz des pro-Moskau-Präsidenten Janukowitsch in der Ostukraine randalierten. Er nutzte auch seine Erfahrung als Minister für Notsituationen: Unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe lieferte Moskau den Separatisten alle Arten von Waffen.
Großen Respekt bei Putin erlangte Schoigu auch mit der Militäroperation in Syrien, um den bedrängten Präsidenten Assad an der Macht zu halten. Dank des russischen Vorgehens gelang es den Truppen Assads, die Kontrolle über weite Teile des Landes zurückzugewinnen.
Putin beauftragte Shoygu mit den Vorbereitungen für die Invasion in der Ukraine, ein noch ehrgeizigeres Projekt, das der Verteidigungsminister sofort mit Begeisterung annahm. Im Februar 2022 marschierte Russland in die Ukraine ein, eine Militäraktion, die Experten zufolge enttäuschend war. Prigoschins Vorgehen in Rostow ist der jüngste Rückschlag für den Verteidigungsminister.
Bert Lanting ist Auslandsredakteur von de Volkskrant. Er war Korrespondent in Russland, den USA und Brüssel und Chef der Auslandsredaktion.
Militärisch im Herzen führt er russische Truppen in der Ukraine an und musste sich mit Wagner auseinandersetzen
„Ein Soldat bis zum Äußersten“. Mit diesen Worten nominierte der neu ernannte Verteidigungsminister Sergej Schoigu Ende 2012 den russischen Präsidenten Wladimir Putin, Waleri Gerassimow, zum geplanten neuen Generalstabschef Russlands. Putin kannte Gerasimov natürlich schon seit einiger Zeit, als Kommandeur des Moskauer Militärbezirks und als stellvertretender Generalstabschef. „Ein geeigneter Kandidat“, schloss der Präsident.
Von diesem Moment an, mittlerweile mehr als zehn Jahre, werden die russischen Streitkräfte vom Tandem Schoigu-Gerasimow angeführt. Gerasimov ist auch Shoygus erster Stellvertreter und vertritt den Minister im Krankheits- oder Abwesenheitsfall. Dass jemand seines Kalibers nun mit der direkten Führung der russischen Truppen in der Ukraine betraut ist, ist bemerkenswert. Dies geschah zuletzt im Jahr 1999, als General Anatoli Kvashnin persönlich den Einsatz gegen radikalislamische Aufständische im Kaukasus befehligte.
Gerasimov ist zweifellos ein Soldat mit Herz und Seele, obwohl er aus einem Arbeitermilieu stammt. 1955 in Kasan geboren, absolvierte er dort ab seinem 16. Lebensjahr eine Militärausbildung, die erste einer Reihe, die er normalerweise mit Auszeichnung abschloss. Seine Dienstzeit verbrachte er bei einer Panzerbrigade der Sowjetarmee in Polen. Als Berufssoldat diente er im russischen Fernen Osten, im Nordkaukasus, in St. Petersburg und Moskau. Obwohl er meist im Schatten seiner Vorgesetzten steht und selten Interviews gibt, trat Gerassimow mehrfach als Kommandeur des Moskauer Bezirks bei der Militärparade auf dem Roten Platz auf.
Größere Bekanntheit, auch international, erlangte der General 2013 als Autor – oder zumindest als Interpret – der sogenannten „Gerasimov-Doktrin“: der Idee, dass die moderne Kriegsführung nicht auf die Ereignisse auf dem Schlachtfeld beschränkt, sondern zahlreich ist andere Ausdrucksformen kennt. Wie etwa der „Arabische Frühling“ und die sogenannten „Farbrevolutionen“, die beispielsweise in Georgien und der Ukraine zu Machtwechseln führten. Gerasimov stellte seine Thesen in einer Rede vor der Akademie der Militärwissenschaften in Moskau vor. Sie wurden später in einer Zeitschrift der russischen Verteidigungsindustrie veröffentlicht.
„Natürlich ist es leicht zu sagen, dass die Ereignisse des ‚Arabischen Frühlings‘ kein Krieg sind und daher für uns Militärs kein Interesse haben“, argumentierte Gerasimov. „Aber vielleicht ist es auch umgekehrt und sind diese Ereignisse typisch für den Krieg des 21. Jahrhunderts?“ Ihm zufolge hätten sich die „Regeln der Kriegsführung“ tiefgreifend verändert und die Bedeutung nichtmilitärischer Mittel zur Erreichung politischer und strategischer Ziele sei gestiegen. „In einigen Fällen sind sie viel effektiver als Waffen.“
Die turbulenten Ereignisse in Moskau in den Jahren 2011 und 2012 waren damals noch in frischer Erinnerung. Zehntausende Russen gingen daraufhin auf die Straße, um gegen Wahlbetrug und eine neue Amtszeit Wladimir Putins zu protestieren. Die Proteste wurden durch harte Polizeieinsätze und schwere Strafen für Demonstranten niedergeschlagen. Als die ukrainische Hauptstadt Kiew Ende 2013 zum Schauplatz massiver Demonstrationen wurde, schaute auch der Kreml mit Argwohn zu. Der weitere Verlauf der Ereignisse und die russische Reaktion darauf – die Annexion der Krim und der Einsatz russischer Truppen im Donbass – fügen sich nahtlos in die Argumentation Gerassimows ein.
Im Jahr 2019 präsentierte Gerasimov in einer Rede vor derselben Akademie der Militärwissenschaften eine Fortsetzung, die von Militärexperten als „Gerasimov-Doktrin 2.0“ bezeichnet wurde. Der Stabschef sprach von einer neuen US-Militärstrategie, die er das „Trojanische Pferd“ nannte. Laut Gerasimov wollen die Amerikaner militärische Macht mit der internen Destabilisierung des Gegners durch inländische Proteste verbinden, angeheizt von der „fünften Kolonne“ im Land. Als Beispiele nannte er die Ukraine, den Irak, Libyen und Venezuela. „Ihr Ziel ist es, die Souveränität unwillkommener Länder zu untergraben und rechtmäßig gewählte Autoritäten zu ersetzen.“ Aber, versicherte Gerasimov, „die Russische Föderation ist in der Lage, jede dieser Strategien abzuwehren.“
In den vergangenen Monaten erntete Gerasimov zunehmend Kritik von kremlnahen Bloggern und auch Mitgliedern der Söldnergruppe Wagner, die ihn in einer Videobotschaft vom Schlachtfeld in der Ukraine wegen Munitionsmangels beschimpften: „Wir kämpfen hier unter Bachmut gegen die.“ gesamte ukrainische Armee. Wo bist du? Bitte helfen Sie uns endlich.
Dass Gerassimow endlich das Kommando über den russischen Einsatz in der Ukraine erhalten hat, wurde von manchen Kommentatoren als Signal des Kremls interpretiert, dass der Einfluss solcher Gruppen beschnitten werden müsse und die militärisch-strategischen Linien nur vom Ministerium vorgegeben würden. der Verteidigung.
Geert Groot Koerkamp ichs Russland-Korrespondent für de Volkskrant. Er lebt seit 1992 in Moskau.
Sjojgoes Profil wurde im März 2022 in de Volkskrant veröffentlicht. Das Profil von Gerasimov im Januar 2023. Die Dokumente wurden bei Bedarf aktualisiert.