Die vom spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez für den 23. Juli angekündigten vorgezogenen Neuwahlen – nach einer dramatischen Niederlage gegen den von ihm angeführten linken Block bei den Regionalwahlen Ende Mai – haben die spanische EU-Präsidentschaft in Frage gestellt. Sollte Sánchez mit seiner sozialdemokratischen PSOE die Wahlen gewinnen, kann sein Team ab September (nach der Sommerpause) noch die EU anführen und der Schaden wird begrenzt sein. Aber wenn er verliert, und es besteht eine echte Chance, wird die EU-Präsidentschaft in einem richtungslosen Abdriften festsitzen.
Dabei waren die Erwartungen in Brüssel an die spanische Präsidentschaft so hoch. Mit Sánchez hatte Spanien endlich einen an der EU interessierten Ministerpräsidenten. Seine Vorgänger José María Aznar (Premierminister 1996–2004), José Luis Zapatero (2004–2011) und Mariano Rajoy (2011–2018) beschäftigten sich hauptsächlich mit nationaler Politik. Darüber hinaus sprach Rajoy kein Wort Englisch oder Französisch, was ihn in Brüssel brach.
Sánchez hingegen präsentierte sich gleich nach seinem Amtsantritt als der Premierminister, der seinem Land an den Brüsseler Konferenztischen den Platz geben wollte, der ihm im Hinblick auf wirtschaftliches Gewicht und Bevölkerungszahl gebührt: Platz vier nach Deutschland, Frankreich und anderen Ländern Italien. Die EU-Präsidentschaft musste diesen Status bestätigen und – nicht unwichtig – Sánchez einen Wahlschub für die für Dezember geplanten Wahlen geben.
In seinem Tatendrang hat Spanien in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Allianz mit den Niederlanden geschlossen, die als Falke aus dem sparsamen Norden als das genaue Gegenteil galten. „Seit dem Brexit müssen wir uns häufiger gegenseitig besuchen“, sagt Roel Nieuwenkamp, der niederländische Botschafter in Madrid. „Aber es ist auch die Chemie.“ Die Minister Kaag und Calviño (Nadia Calviño, die spanische Wirtschaftsministerin, Hrsg.) sind Gleichgesinnte, zwei Menschen mit einem sehr internationalen Hintergrund. Und Sánchez und Rutte verstehen sich auch sehr gut.“
Dies führte unter anderem zu einem gemeinsamen Vorschlag für mehr Individualisierung bei der Rückzahlung europäischer Staatsschulden, was bis vor Kurzem undenkbar war. Nieuwenkamp: „Die Idee ist: Wenn die Niederländer mit Spanien einverstanden sind, sollte es irgendwo herauskommen, wo ein Konsens gefunden werden kann.“
Ambitionen auf Eis gelegt?
Das spanische Präsidentschaftsprogramm strahlt daher Ehrgeiz aus, sowohl inhaltlich (ein strategischeres, grüneres, sozialeres und geeinteres Europa) als auch gestalterisch. Zusätzlich zu den formellen Treffen in Brüssel lädt Spanien EU-Minister und Regierungschefs zu 23 informellen Treffen in 21 Städten ein, statt – wie üblich – nur in der Hauptstadt.
Die vorgezogenen Wahlen Ende Juli haben die spanischen Ambitionen zumindest für eine Weile auf Eis gelegt. „Das wird sehr schwierig“, sagt ein EU-Botschafter. Natürlich schwören Brüsseler Fußgänger, dass die EU nicht sinnlos, verzweifelt und hilflos ist, und das zu Recht. Jedes Land, das die Präsidentschaft übernimmt, wird von EU-Beamten und der Europäischen Kommission in Brüssel stark unterstützt. Ohne diese Stützräder wären viele Präsidentschaften im politisch-bürokratischen Schlamm der Spaltungen und Verfahren gestrandet.
Aber dennoch: Es warten rund zweihundert Rechnungen, von denen ein großer Teil vorzugsweise noch in diesem Jahr bearbeitet werden soll. Politisch heikle Vorschläge wie die Lockerung der europäischen Haushaltsdisziplin (der berühmte Stabilitätspakt) und die Aufforderung der Kommission an die Mitgliedstaaten, zusätzliche 66 Milliarden Euro in den EU-Haushalt zu pumpen. Bis Ende dieses Jahres müssen aber auch die letzten Bausteine für den Green Deal gesetzlich verankert werden. Und es ist äußerst wünschenswert, dass der aktuelle Schwung für eine neue europäische Asylpolitik nicht verloren geht.
Gummiente in unruhigem Wasser
Gerade in politisch sensiblen Fragen spielt der EU-Präsident eine wichtige Rolle. Es ist der spanische EU-Botschafter Marcos Alonso, der ab dem 1. Juli das einflussreiche Beratungsgremium der Botschafter leiten wird. Diese 27 erfahrenen Diplomaten erfinden alle Entscheidungen oder schälen die Probleme so ab, dass nur der politische harte Kern auf dem Teller der Politiker landet. Wenn Alonso nach dem 23. Juli durch eine neue Regierung ersetzt wird, wird dies zu unerwünschter Stille in diesem wichtigen Maschinenraum der EU führen.
Es sind die spanischen Fachminister (für Finanzen, Umwelt usw.), die den europäischen Ministerräten vorstehen, in denen Entscheidungen getroffen werden. Mit Minister Calviño, zuvor Spitzenbeamter der Kommission, hatte Madrid gute Chancen, die brisanten Diskussionen um Haushalt und Haushaltsdisziplin zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Ein unerfahrener Nachfolger planscht wie eine Plastikente in unruhigem Wasser.
Auch den Ministern kommt eine entscheidende Rolle zu, da sie im Namen der Mitgliedsstaaten mit dem Europäischen Parlament verhandeln müssen. Denn eine Einigung zwischen den Mitgliedsstaaten ist nur die halbe Miete, ein Gesetz gibt es erst nach Einigung mit dem Parlament. Ein frischgebackener Minister wird schnell zum Spielball der erfahrenen Parlamentarier und Kommissare.
Verständnis für die Entscheidung von Sánchez
„Was dieses Jahr nicht mehr möglich ist, landet in der Schublade“, sagt ein zweiter Botschafter. Nach Spanien übernimmt Belgien den Hammer, aber das wird eine verkürzte Präsidentschaft sein. Anfang Juni finden Europawahlen statt, das Parlament wird aufgrund der Wahlpause die Tür früher schließen. Was noch nicht abgeschlossen ist, muss auf ein neues Parlament und eine neue Kommission warten.
Dennoch gibt es Verständnis für die Entscheidung von Sánchez, vorgezogene Neuwahlen auszurufen. Hätte er dies nicht getan, wäre jedes Treffen als EU-Präsident zu einem Schlachtfeld der nationalen Politik geworden, bei dem spanische Parteien die Brüsseler Arena für ihren Wahlkampf genutzt hätten. „Jetzt wird es spätestens Ende Juli Klarheit geben“, sagt der Botschafter eines großen EU-Landes.
Letzteres ist nur dann der Fall, wenn Sánchez und seine PSOE überzeugend gewinnen und weiterhin regieren. Ein weniger deutliches Wahlergebnis kann zu einer langen Kabinettsbildung führen, bei der die Präsidentschaft nie aus den Startlöchern kommt. Ein klarer Sieg der konservativen Partido Popular wird eine neue Regierung mit Ministern bringen, denen es möglicherweise an EU-Erfahrung mangelt. Ein schlechtes Zeichen: Der Vorsitzende der Partido Popular, Alberto Núñez Feijóo, spricht kein Englisch.