Welche Risiken birgt ein russischer Angriff auf das Atomkraftwerk in Saporischschja?

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Die sechs Reaktoren des Kernkraftwerks in der Nähe von Saporischschja sind abgeschaltet. Dennoch ist ein möglicher Unfall – oder ein Anschlag – gefährlich für die Umwelt.Bildagentur Anadolu über Getty Images

Spätestens am 5. Juli muss das Personal das Kraftwerk verlassen haben, rundherum soll bereits Sprengstoff platziert worden sein: Über das Atomkraftwerk Saporischschja, eines der größten der Welt, kursieren derzeit viele besorgniserregende Gerüchte. Diese Gerüchte stammen vom ukrainischen Militärgeheimdienst und sind bislang unbestätigt. Beispielsweise hat die Internationale Atomenergiebehörde IAEA dies bisher getan keine Beweise gesehen wegen Sprengstoff im Atomkraftwerk. Und Russland bestritten Anfang dieses Monats gab es bekannt, dass es Pläne gibt, die Anlage zu beschädigen.

Über den Autor
George van Hal schreibt für de Volkskrant über Astronomie, Physik und Raumfahrt. Er veröffentlichte Bücher über alles, vom Universum bis zu den kleinsten Bausteinen der Realität.

„Vieles ist noch unklar, aber dieses Kraftwerk war aufgrund des Krieges bereits einem erhöhten Risiko ausgesetzt“, sagt Mark van Bourgondiën von der Behörde für nukleare Sicherheit und Strahlenschutz (ANVS). „Die internationale Gemeinschaft behält es genau im Auge.“

Kernschmelze

Alle sechs Reaktoren der Anlage sind derzeit abgeschaltet. Zwei sind leer; Dort wurden die Stäbe mit spaltbarem Material entfernt. Zwei sind seit über einem Jahr auf dem Markt, die letzten beiden seit September.

Allerdings bleiben die Kernbrennstoffstäbe aus dem Kern auch nach dem Abschalten eines Reaktors heiß. Damit sie nicht schmelzen, müssen sie weitere fünf Jahre mit (fließendem) Wasser gekühlt werden. Bei einer solchen sogenannten „Kernschmelze“ kann das radioaktive Material in die Umwelt gelangen. Ein Teil kann auch verdunsten und in die Luft gelangen.

Glücklicherweise lässt die Wärme solcher Stäbe nach dem Abschalten eines Reaktors schnell nach. „In den beiden Reaktoren, die zuletzt aktiv waren, beträgt die Wärmekapazität nur ein Tausendstel der Wärmekapazität, als sie noch in Betrieb waren“, sagt Van Bourgondiën. Fällt die Kühlung aus – beispielsweise weil bei einem Angriff Wasserleitungen beschädigt werden –, sind noch mehrere Tage lang Gegenmaßnahmen möglich.

Rettungskräfte und Polizisten führten Ende Juni Übungen für den Katastrophenfall im Atomkraftwerk durch.  Bild Reuters

Rettungskräfte und Polizisten führten Ende Juni Übungen für den Katastrophenfall im Atomkraftwerk durch.Bild Reuters

Keine Jodtabletten

Wenn es schief geht, ist die gute Nachricht, dass die Kraftwerke schon seit einiger Zeit abgeschaltet sind. „Radioaktives Jod ist zum Beispiel bereits abgelaufen“, sagt Lars Roobol von RIVM. „Sie müssen also keine Jodtabletten einnehmen.“ Allerdings befinden sich in den Stäben noch weitere gefährliche Stoffe. „Zum Beispiel radioaktives Cäsium, das zu Bodenverunreinigungen führen kann“, sagt Van Bourgondiën.

„Im Umkreis von etwa 10 bis 20 Kilometer rund um die Anlage „Es gibt potenziell direkte Folgen für die öffentliche Gesundheit“, sagt Van Bourgondiën. Die Menschen müssen dann 48 Stunden lang Schutz suchen und Fenster und Türen geschlossen halten. Wenn Sie dies nicht tun, werden Sie einer Strahlung ausgesetzt, die zu einem erhöhten Krebsrisiko führt. „Es geht höchstens um einen Prozentpunkt“, sagt Roobol.

Zum Vergleich: Nach der Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima in Japan haben die am stärksten betroffenen Bürger – mit Ausnahme der Helfer im Atomkraftwerk – auf einen Schlag etwa zehnmal so viel Strahlung abbekommen wie jemand im Atomkraftwerk Die Niederlande erhalten in einem Jahr. „Jeder hat ohnehin eine durchschnittliche Chance von 30 Prozent, an Krebs zu sterben“, sagt er. Bei einer zehnmal höheren Dosis als in Fukushima erhöht sich diese auf 31 Prozent. „Für die Anwohner waren es also nur Bruchteile dieser 30 Prozent“, sagt er.

Und-und Szenario

Das freigesetzte Material kann die Lebensmittelsicherheit bis zu einigen hundert Kilometern von der Anlage entfernt beeinträchtigen. „Strahlendes Material kann sich an Staubpartikeln und Rußpartikeln festsetzen und dann auf den Boden regnen.“ „Es kann über den Boden in die Feldfrüchte gelangen oder Kühe können es fressen“, sagt Roobol. In diesem Fall kann es in unsere Ernährung gelangen. „Dann landet das Material in unserem Körper und nicht draußen.“ Das ist ein größeres Risiko.“

Im schlimmsten Fall kommt es zu einem gezielten Angriff auf das Kraftwerk selbst. „Es ist fast unmöglich, solche Szenarien zu berechnen“, sagt Van Bourgondiën. Denkbar ist beispielsweise, dass die Schutzhüllen der Reaktoren beschädigt werden, sodass das Material leichter in die Umwelt gelangen kann. Sprengstoffe können auch einen Brand verursachen, der heißer ist, als man es sonst erwarten würde.

„Je feiner man das radioaktive Material zerkleinert, desto weiter kann es gelangen.“ Und je wärmer das Material ist, desto höher steigt es in die Luft“, sagt Roobol. Das heißt, wenn zusätzlich zum durch einen Angriff verursachten Schaden auch das Kühlsystem ausfällt. Andernfalls gelangt das Material gar nicht erst in die Umwelt.

In einem solchen Sowohl-als-auch-Szenario kann sich das radioaktive Material über eine größere Fläche ausbreiten. „Im Umkreis von 100 Kilometern kann es sogar notwendig sein, Fenster und Türen zu schließen“, sagt Van Bourgondiën. Möglicherweise müssen Kühe sogar in Nachbarländern eingestallt werden. „Aber in jedem Szenario wird es in den Niederlanden keine Konsequenzen geben.“

Der Fluss, der den See neben dem Kernkraftwerk speist (sechs rote Punkte, direkt neben dem See), ist weitgehend ausgetrocknet.  Zur Kühlung der Kraftwerke wird Wasser aus dem See genutzt.  Bild Planet Labs

Der Fluss, der den See neben dem Kernkraftwerk speist (sechs rote Punkte, direkt neben dem See), ist weitgehend ausgetrocknet. Zur Kühlung der Kraftwerke wird Wasser aus dem See genutzt.Bild Planet Labs



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