Was soll man als Politiker tun, wenn man von wütenden Bürgern mit brennenden Fackeln angegriffen wird?

Was soll man als Politiker tun wenn man von wuetenden


Als D66-Chefin Sigrid Kaag am Sonntag an ihrem ersten Wahlkampftag in Diepenheim eintraf, traf sie auf eine Menschenmenge mit brennenden Fackeln. Was ist Weisheit, wenn man als Politiker im Wahlkampf auf solche einschüchternden Wähler trifft?

Iva Vennemann

Noch auf dem Weg zum politischen Abend in Diepenheim, Twente, hörte D66-Chefin Sigrid Kaag, dass Demonstranten mit Traktoren und Fackeln auf sie warteten. „Am Anfang war das Feedback noch: Es ist eine freundschaftliche Atmosphäre“, sagte sie am Montag in der Talkshow Khalid und Sophia. „Gut“, dachte sie. „Wir gehen gerade ins Land, um mit den Leuten zu sprechen.“

Aber es wurde kaum geredet. Kaag stand einer wütenden Menge gegenüber, die sie mit einer Hecke aus brennenden Fackeln und rollenden Kameras „Willkommen“ rief. „Mein eigener Cousin“, sagte eine Frau, „musste in den 1970er Jahren seine Farm an einen Entwickler verkaufen, nur weil er wegen dir mit dem Rücken zur Wand stand.“ „Ich weiß nicht genau, was in den 1970er Jahren passiert ist, aber womit wir es jetzt zu tun haben, sind die Folgen des Klimawandels“, antwortete Kaag. „Du bist ein dreckiger Lügner“, riefen Passanten. Nach zehn Minuten schnitt Kaag ab und ging.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Politiker zum Zeitpunkt der Wahl Wut erntet, wenn diese Wähler versuchen, für sich zu gewinnen. Mark Rutte ist es passiert, als er 2017 Gast einer Wahltalkshow war und im Publikum eine wütende Gruppe Groninger war, die sich durch den Umgang mit den Erdbebenschäden beleidigt fühlten. Auch Diederik Samsom musste sich manchmal entscheiden, als er im Vorfeld der Parlamentswahlen 2012 an Türen klopfte, um „die Klagen und Wünsche“ der Niederländer anzuhören.

Doch Vergleiche mit solchen Momenten sind eigentlich falsch, sagt Rens Vliegenthart, Professor für strategische Kommunikation an der Universität Wageningen. Schon deshalb, weil es im Fall von Kaag wegen der Fackeln viel bedrohlicher war.

Professionelle Demonstranten

Politiker der „verantwortlichen Parteien“, die für die Landtagswahlen am 15. März kandidieren, werden in den kommenden Wochen sicherlich häufiger auf „Berufsdemonstranten“ treffen, meint Kommunikationsstratege Jan Driessen. „Es ist schwierig, ein sinnvolles Gespräch mit ihnen zu führen. Sie wurden durch die Belästigung des Forums für Demokratie und Wilders aufgehetzt. Und sie glauben nicht an einen normalen Rahmen, in dem wir uns über die Fakten einig sind, sondern an Fake News und Verschwörungen. Dennoch verdienen auch sie die aufrichtige Aufmerksamkeit ihrer Vertreter.“

Demonstranten in Arnheim beschuldigen am Samstag politische Parteien des „Omvolking“, einer rechtsextremen Verschwörungstheorie.Bild Arie Kievit / de Volkskrant

Ob es ähnlich bedrohlich wird wie in Diepenheim, ist laut Vliegenthart schwer vorherzusagen. Aber die Konfrontation mit Kaag bestätigt, worum es bei diesen Wahlen geht: um Stickstoff. Es gebe viel Ärger über dieses Thema, sagt er, was eine kleine Gruppe Niederländer polarisiere. „Es ist gut zu wissen, dass es nur wenige sind, aber mit dieser Art von Aktionen bestimmen sie stark unser Image.“

Eine herzliche, einfühlsame Öffnung sei entscheidend, um mit verärgerten Wählern in Kontakt zu treten, sagt Driessen, der 2006 und 2007 an den Kampagnen von Mark Rutte beteiligt war. Darin sei der VVD-Chef gut gewesen, erinnert er sich. „Sein fröhliches ‚Hey hallo‘ gab ihm oft den guten Willensfaktor. Dann war es einfacher zu sagen: Sag mal, warum bist du so wütend? Und dann war im Anschluss ein inhaltliches Gespräch möglich. Aber so etwas geht nur, wenn es nicht bedrohlich wird, wie bei Kaag. Da ist die Grenze. Im Nachhinein wäre sie vielleicht besser durch den Hintereingang gegangen.«

Darin liegt ein großer Teil der Schwierigkeit für Politiker: Wie schätzt man ein, ob etwas bedrohlich wird und ob ein Gespräch überhaupt sinnvoll ist? Das erfordert laut Aggressionstrainer Fenno Moes zwar Präzision, ist aber ein entscheidender Unterschied. Spontane Wut entsteht, wenn jemand einen schlechten Tag hat und unerwartet einen Politiker auf dem Markt sieht. In solchen Situationen kann sich jemand schnell beruhigen, wenn man einfach mitspringt, zuhört und Verständnis zeigt.“ Bedrohlicher wird es laut Moes, wenn die Einschüchterung im Voraus geplant ist.

Grenzen definieren

Bei einer vorgefassten Form wie in Diepenheim sei es wichtig, Kontakt aufzunehmen, Ruhe zu bewahren und sofort Grenzen zu setzen, sagt Moes. „Lass jemandem die Wahl: Entweder du machst das durch und ich gehe weg, oder du nimmst die Kamera aus meinem Gesicht und wir reden eine Weile leise. Wenn dann jemand weiter schreit, ist es offensichtlich. Dann gehst du.‘

Aus den Fugen zu geraten, ist in solchen Situationen eine große Falle, sagt Moes. „Das ist genau das, was sie sehen wollen, und diese Bilder gehen sofort viral.“ Um dies zu verhindern, kann es laut Moes helfen, jemanden mit Autorität in der Gruppe für ein Gespräch beiseite zu nehmen.

Auch die Erwähnung, dass man sich bedroht fühlt, wirkt deeskalierend. Das fühlt sich kontraintuitiv an. Aber es gibt kein schöneres Machtgefühl, als zu sehen, dass jemand etwas tut, während diese Person darauf besteht, keine Angst zu haben.‘

Insofern habe VVD-Ministerin für Stickstoff Christianne van de Wal geradezu mustergültig auf eine bedrohliche Situation reagiert, sagt Moes, als sie von wütenden Landwirten zu Hause besucht wurde. „Sie hat ihnen kurz zugehört, dann klare Grenzen gesetzt und gesagt: Das wird meinen Kindern Angst machen, raus jetzt.“ Obwohl das leichter gesagt als getan ist, stimmt Moes zu. „Als Politiker sind dutzende Kameras auf dich gerichtet und du weißt: Alles, was ich falsch sage, wird bald auf 24 Kanälen zu sehen sein.“

Genau das sei Kaag letzte Woche passiert, sagt Professor Vliegenthart. „Es gab eine typische Diskussion darüber, wie sie es getan hat, wie bedrohlich und einzigartig das war und ob sie es nicht für ihre Kampagne nutzte“, sagt er. „Aber wenn man in eine solche Situation kommt, ist man letztlich nur ein Mensch und reagiert intuitiv. Also selbst wenn jemand ganz anders reagiert, nicht so ruhig bleibt wie Kaag, kann man dieser Person keinen Vorwurf machen.‘



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