Warum der portugiesische Korruptionsskandal ganz Europa betrifft

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Der portugiesische Präsident Marcelo Rebelo de Sousa ruft nach dem Rücktritt von Premierminister António Costa Neuwahlen für März 2024 aus.Bild Carlos M. Almeida / EPA

Was ist in Portugal los?

Portugal befindet sich in einer politischen Krise, wie das Land sie noch selten erlebt hat. Es begann damit, dass mehrere Vertraute von Premierminister António Costa aus ihren Betten geholt und wegen Korruptionsverdachts inhaftiert wurden. Ihnen wird vorgeworfen, rechtswidrig Genehmigungen für die Ausbeutung von Lithiumminen sowie den Bau eines Wasserstoffkraftwerks und eines Datenzentrums erteilt zu haben.

Costa kündigte umgehend seinen Rücktritt an, betonte jedoch, dass er ein gutes Gewissen habe. In der Zwischenzeit kamen die pikanten Details ans Licht: So wurden beispielsweise im Büro von Costas Stabschef Umschläge mit einem Inhalt von mehr als 75.000 Euro gefunden, versteckt in Büchern und Weinkisten. „Illegales Geld“, so die Staatsanwaltschaft.

Ist schon etwas über Costas Rolle bekannt?

Zunächst schien es für Costa angesichts seiner persönlichen Verbindungen zu den Verdächtigen sehr eng zu sein. Das Bild wurde nun gekippt. Der Staatsanwaltschaft ist ein schmerzlicher Fehler unterlaufen: Obwohl in einem abgehörten Telefongespräch der Name António Costa genannt wurde, war damit der Wirtschaftsminister António Costa Silva gemeint.

Darüber hinaus schwächte der Ermittlungsrichter die Vorwürfe gegen die anderen Verdächtigen ab: Es gebe keine Hinweise auf Korruption oder Bestechung, sondern nur auf „unzulässige Einflussnahme“. Die Verdächtigen sind derzeit wieder auf freiem Fuß.

Alles in allem fragen sich sozialistische Parteimitglieder in den portugiesischen Medien laut: War es wirklich notwendig, dass Costa zurücktritt? Und vorgezogene Neuwahlen auszurufen? Die Sozialisten regierten mit absoluter Mehrheit, und die Frage ist, ob sie diese nach den Wahlen vom 10. März behalten können.

Welche Auswirkungen hat das auf den Rest Europas?

Was in Portugal passiert ist, ist für ganz Europa relevant. Nehmen wir die Lithiumminen. Eine Anfang dieses Jahres erarbeitete EU-Verordnung sieht vor, dass bis 2030 in der EU 10 Prozent der kritischen Rohstoffe gefördert werden müssen. Einer dieser Rohstoffe ist Lithium, das für Batterien in Elektroautos verwendet wird. Innerhalb Europas liegt ein großer Teil davon in Portugal im Boden. Es liegt daher auch im europäischen Interesse, dass diese Bestände auf rechtmäßige Weise genutzt werden.

Wasserstoff gilt auch als entscheidend für die Wirtschaft der Zukunft. Ein weiteres zweifelhaftes Projekt ist ein „grünes“ Wasserstoffkraftwerk in der portugiesischen Hafenstadt Sines. In einer solchen Anlage werden Wassermoleküle mithilfe von Sonnenenergie in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Wasserstoff kann dann als flüssiger Kraftstoff dienen. Da Portugal zu den sonnenreichsten Ländern Europas gehört, will man sich auf die Produktion von Wasserstoff konzentrieren. Die Niederlande planen, diesen flüssigen Wasserstoff nach Rotterdam und dann weiter nach Europa zu transportieren.

Übrigens scheint es berechnet zu sein Ein niederländisches Unternehmen wurde benachteiligt durch die Einmischung portugiesischer Politiker. Die Initiative für das Wasserstoffkraftwerk lag zunächst bei der niederländischen Resilient Group. Der Eigentümer dieser Firma teilte den portugiesischen Medien mit, dass er mehr oder weniger gezwungen sei, mit einigen portugiesischen Unternehmen zusammenzuarbeiten. Die Resilient Group verließ diese Zusammenarbeit später und reichte einen eigenen Projektvorschlag ein, doch Portugal reagierte nicht.

Was bedeutet das alles für den „nachhaltigen“ Übergang Europas?

Unternehmen, die in neue Energiequellen investieren, sind manchmal nicht in allen Belangen nachhaltig, wie dieser portugiesische Fall zeigt. So scheint beispielsweise die Umweltgenehmigung für die Eröffnung der Lithiummine sehr problemlos erteilt worden zu sein. Nicht umsonst ist der Leiter der portugiesischen Umweltbehörde einer der Verdächtigen der „Operation Influencer“.

Anwohner und Aktivisten schlagen seit einiger Zeit Alarm. „Wie ist es möglich, kohlenstofffrei zu werden, aber weiterhin die Umwelt zu verschmutzen?“, fragte Nelson Gomes, Leiter einer lokalen Aktionsgruppe. Oder um es mit den Worten des UN-Berichterstatters für Menschenrechte und Umwelt, David Boyd, zu sagen: „Diese Unternehmer versuchen ihr Projekt damit zu rechtfertigen, dass Lithium für die grüne Energiewende in Europa notwendig sei.“ Das mag ja sein, aber […] „Die Verletzung der Menschenrechte, auch im Namen des grünen Wandels, steht im Widerspruch zu einer nachhaltigen Entwicklung.“

Korruption und Machtmissbrauch – alte Bekannte aus der Ära der fossilen Industrie – scheinen auch jetzt noch vorhanden zu sein, wo Europa auf erneuerbare Energien setzt. Das zeigt dieses portugiesische Beispiel.



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