Tiefer als der Mount Everest ist hoch. Weiter unten als der Marianengraben, der tiefste Ort im Ozean. Das ist die atemberaubende Entfernung unter der Erdoberfläche, in der sich ultratiefe Löcher befinden, wie das, an dem China arbeitet.
Obwohl es für einen Erwachsenen praktisch unmöglich ist, physisch in solche Löcher abzusteigen – der Schacht ist normalerweise nicht breiter als einen halben Meter –, üben sie doch eine geheimnisvolle Anziehungskraft aus. Was kann man so tief in der Erde finden? Kann man jemals in den flüssigen Kern der Erde bohren? Oder wie sich die niederländische Künstlerin Lotte Geeven fragte: Wie klingt es da unten eigentlich?
Geeven hat dies vor ein paar Jahren im Rahmen eines ihrer Kunstprojekte gemacht eine Audioaufnahme in einem 9 Kilometer tiefen Loch in Windischeschenbach, Deutschland. Hören Sie mit geschlossenen Augen zu und es kommt Ihnen fast so vor, als stünden Sie neben einem brüllenden Monster, das leise knurrt. „Einige Leute dachten, es klang höllisch. Andere dachten, sie hätten den Planeten atmen hören“, sagte Geeven im Jahr 2019 an die BBC über ihr Projekt. Für sie war die Begegnung mit den dunklen Tiefen vergleichbar mit dem, was andere empfinden, wenn sie an einem klaren Abend in den Sternenhimmel schauen. „Dadurch komme ich mir klein vor“, sagte sie.
Über den Autor
George van Hal verschreibt de Volkskrant über Wissenschaft. Er veröffentlichte Bücher über alles, vom Universum bis zu den kleinsten Bausteinen der Realität.
Nationale Energiesicherheit
Es ist daher nicht verwunderlich, dass China parallel zu seinen immer beeindruckenderen Erfolgen im Weltraum nun auch die Konfrontation mit den lockenden Tiefen unter unseren Füßen sucht. Im vergangenen Mai begann im Tarim-Becken die Bohrung des größten Lochs in der Geschichte des Landes. Nach einer geplanten Bohrzeit von 457 Tagen soll es 11.100 Meter lang sein.
Laut China wird dies zu einer wissenschaftlichen Leistung führen, die die innere Struktur und Entwicklung der Erde aufdeckt und der Geologie wertvolle neue Informationen liefert, heißt es. in den nationalen Medien. Zudem müsse die Lücke „Chinas nationale Energiesicherheit“ gewährleisten, schreibt unter anderem die englischsprachige Nachrichtenseite der Regierung ChinaDaily.
Man kann Öl und Gas auch mit ultratiefen Bohrungen finden, was China seit einiger Zeit im Tarim-Becken durchführt. „Ich bin nicht beteiligt, aber ich denke, das ist eher ein wirtschaftliches als ein wissenschaftliches Projekt“, sagte Ulrich Harms, Leiter der wissenschaftlichen Bohrungen am Helmholtz-Zentrum, dem Deutschen Forschungszentrum für Geowissenschaften.
Harms selbst sieht in supertiefen Bohrlöchern lieber eine Quelle für nachhaltigere Energie. In „seinem“ Bohrloch in Windischeschenbach beispielsweise erreichte das Thermometer an der tiefsten Stelle rund 500 Grad Celsius. Und bei vielen Tiefbohrungen wird es in größeren Tiefen immer wärmer. „Das macht solche Bohrlöcher für die Geothermie interessant“, sagt er. „Das ist wirklich der heilige Gral für mich.“
In der Hölle gefoltert
Es ist nicht zu erwarten, dass der neue Rückstand auf China Weltrekorde brechen wird. „Mit 11.100 Metern meinen wir die Länge des Bohrlochs, das teilweise auch horizontal verlaufen wird“, sagt Harms.
Das Loch mit der größten vertikalen Tiefe wird daher auch nach der Fertigstellung Chinas bestehen bleiben, das „supertiefe Kola-Bohrloch“ in Russland, das 1979 eine vertikale Tiefe von 12.262 Metern erreichte. Ein Loch, das so tief ist, dass die lokale Legende behauptet, dass man unter der rostigen Metallkappe noch immer die Schreie von Seelen hören kann, die in der Hölle gefoltert werden.
Wie beim Wettlauf zum Mond war auch das Graben dieses supertiefen Bohrlochs von einem technologischen Prestigekampf zwischen dem Westen und der Sowjetunion geprägt. Während Neil Armstrong mit seinem berühmten „One Small Step“ den Kampf endgültig zu Gunsten der Amerikaner entschied, besiegte die Sowjetunion dank „Kola“ den kapitalistischen Gegner im Untergrund mühelos. Der amerikanische Konkurrent Project Mohole wurde 1966 vom amerikanischen Kongress gestoppt, als nur 183 Meter in die Erde gebohrt worden waren.
Doch auch der russische Versuch war kein voller Erfolg. Sowohl bei Mohole als auch bei Kola bestand das eigentliche Ziel darin, den Erdmantel zu erreichen, die unterirdische Grenze zwischen Kruste und Kern, wo Wissenschaftler neue Einblicke in die geologische Geschichte der Erde gewinnen wollten.
Obwohl es dazu nicht kam, erwies sich Kola wissenschaftlich dennoch als besonders interessant. „Ich war selbst vor langer Zeit, im Jahr 2000, dort“, sagt Harms. „Ich habe dann mit einem russischen Forscher zusammengearbeitet und die geförderten Bohrkerne untersucht“ – die Gesteinsbrocken, die der Bohrer aus dem Tunnel freisetzt.
„Russland war damals ein völlig anderes Land als heute.“ Sie gaben beispielsweise offen zu, in den 1970er-Jahren bestimmte Messdaten aus der Supertiefbohrung Kola gefälscht zu haben. Im Material der Bohrlöcher entdeckten die Forscher Uran, das für Atombomben genutzt werden könnte. „Der KGB hatte den beteiligten Wissenschaftlern daher mitgeteilt, dass sie ihre Erkenntnisse nicht weitergeben dürften.“
Schade, denn die Bohrkerne könnten wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse liefern. Neben der Herstellung von Atombomben kann Uran auch zur Datierung von Material beitragen. Darüber hinaus enthüllen tiefe Gesteine alles über die Erdgeschichte, einschließlich Fragen zur Entwicklung des Lebens und wie sich der Klimawandel in der Vergangenheit auf dieses Leben ausgewirkt hat.
Da neues Gestein normalerweise auf altem Gestein entsteht, ist auch der Abstieg in den Boden eine Zeitreise in die Vergangenheit. Obwohl die Tiefe nicht alles über das Alter aussagt, kann man durch Graben dennoch die Geschichte aufdecken. „Tief unter der Erde findet man Hinweise darauf, wie die Erde vor Zehntausenden oder sogar Millionen Jahren aussah“, sagt Harms. „Zum Beispiel bin ich jetzt an einem Bohrprojekt in Brasilien beteiligt, bei dem wir Material untersuchen, das 550 Millionen Jahre alt ist, die Zeit, in der das erste vielzellige Leben auf unserem Planeten entstand.“
Auch für die Wissenschaft über das Hier und Jetzt kann das Bohren tiefer Löcher nützlich sein. Beispielsweise zur Vorhersage von Erdbeben oder Vulkanausbrüchen, sagt Harms. Durch die Beobachtung der Erdbeben in großen Tiefen können Geologen möglicherweise Erdbeben vorhersehen. „Solche Messungen sind auf der Erdoberfläche sehr schwierig. „Störungen durch den Verkehr und andere menschliche Aktivitäten überdecken oft die winzigen Signale und Änderungen, die Sie suchen.“
Brocken aus dem Erdmantel
Dass die supertiefe Kola-Bohrung bis heute den Weltrekord in der Tiefe hält, liegt unter anderem daran, dass die Russen den Standort seinerzeit gut gewählt haben. „Sie haben in einen sehr alten Teil des Kontinents gebohrt, wo die Temperatur selbst in einer Tiefe von 12 Kilometern nicht extrem hoch wird.“ Es war weniger als 200 Grad Celsius. Das kommt nicht nur der Stabilität des Brunnens zugute, sondern beispielsweise auch dem verwendeten Bohrer“, sagt Harms. In Mitteleuropa ist etwas Vergleichbares nahezu unmöglich. „Als wir uns 9 Kilometern in Deutschland näherten, war die Temperatur bereits auf 265 Grad gestiegen.“
Obwohl das Bohren bei hohen Temperaturen schwierig ist, ist es nicht unmöglich. „In Island war ich einmal an einem Bohrprojekt beteiligt, bei dem es im Bohrloch eine Temperatur von 950 Grad hatte“, sagt Harms. Dies geschah jedoch in einer Tiefe von 2 Kilometern, was das Bohren etwas erleichterte. „Es ist wirklich die Kombination aus Tiefe, Temperatur und Gesteinsart, die bestimmt, wie schwierig das Bohren ist.“
Harms sagt, er könne morgen damit beginnen, ein tieferes Loch als das in Kola zu bohren. „Mit der aktuellen Technik sollte man mindestens 15 Kilometer erreichen können.“ Aber dann brauche ich eine halbe Milliarde Euro. Mindestens.‘
Die Frage ist, ob es sich lohnt. Ob Sie 9, 12 oder 15 Kilometer tief graben: Letztendlich befinden Sie sich immer noch in der Erdkruste. An den meisten Stellen ist es etwa 35 Kilometer tief. Bis vor Kurzem ist dieses Ziel aus der Zeit von Mohole und Kola niemandem gelungen: das Bohren bis zum Erdmantel. Bis Forscher im Mai dieses Jahres behaupteten, sie hätten den ersten entdeckt Aus dem Erdmantel seien Proben gebohrt worden.
Sie haben übrigens ein bisschen geschummelt: An der Stelle, an der sie gebohrt haben, rund um den sogenannten Mittelatlantischen Rücken, waren bereits Teile des Erdmantels nach oben gedrückt worden und landeten in der Tiefe der Erdkruste. Manche Experten gehen sogar davon aus, dass es sich bei den Bohrungen dort nicht um den reinen Erdmantel handelt, sondern um eine Art Übergangszone zwischen Mantel und Kruste.
Dennoch sind viele Geologen begeistert. „Mit der Herstellung dieses Materials ist ein jahrzehntelanger Traum wahr geworden“, sagte beispielsweise die amerikanische Mantelforscherin Jessica Warren gegen Fachzeitschrift Wissenschaft. „Dies könnte einen großen Fortschritt in unserem Verständnis darüber darstellen, wie sich Magma durch die Erde bewegt“, fügte der Forscher Johan Lissenberg hinzu. Diese Strömungen im Erdmantel sind unter anderem ein wichtiger Mechanismus für Vulkanausbrüche.
In der Zwischenzeit sucht auch Harms, diesmal ohne zu schummeln, seinen Weg zum Erdmantel, um endlich das Versprechen der Rasse des Kalten Krieges einzulösen. Er tut dies in Italien, an einem Ort, „wo man den Mantel schon nach wenigen Kilometern erreichen kann“. „Schließlich ist das Interessanteste beim Bohren in die Erde nicht, wie tief man bohrt, sondern vor allem, wo man am Ende landet.“