Natürlich regnete es am Dienstag auch Glückwünsche aus Schweden, als am Nato-Hauptquartier in Brüssel die finnische Flagge gehisst wurde. „Ein Grund zum Feiern“, tönte es in einer der Tageszeitungen. Gleichzeitig war es auch ein bisschen doppelt. Denn sollte dort nicht auch die schwedische Flagge wehen?
Vor weniger als einem Jahr beantragten Schweden und Finnland gemeinsam die NATO-Mitgliedschaft. Doch aufgrund anhaltender Einwände aus der Türkei und Ungarn muss Schweden vorerst warten. Wie lange, weiß niemand. „Ich bin sehr vorsichtig geworden“, sagt die schwedische Nordeuropa-Expertin Anna Wieslander vom Think Tank Atlantic Council. „Die Frage, die mich beschäftigt: Was genau will die Türkei erreichen?“
Über den Autor
Jeroen Visser ist Korrespondent in Skandinavien und Finnland für de Volkskrant. Er lebt in Stockholm. Zuvor war er Südostasien-Korrespondent. Er ist der Autor des Buches Nordkorea entschuldigt sich nie.
Laut Wieslander ist die schwedische Regierung nicht gekränkt, weil die Finnen vorgeprescht sind. Kein Wunder, dass sie ihre Chance ergriffen haben. Sie haben eine gemeinsame Grenze mit Russland und brauchen die abschreckende Wirkung der Nato. Außerdem hatten sie gerade Wahlen. Sie werden in der kommenden Zeit eine Übergangsregierung haben, die keine großen Entscheidungen treffen darf. Das NATO-Gesetz musste noch schnell verabschiedet werden.‘
Letztes Jahr sagten Sie, es sei undenkbar, dass Schweden und Finnland nicht zusammenkommen würden. Warum?
„Weil wir militärisch kooperieren und aufeinander angewiesen sind. Auch für die Nato ist es viel besser, wenn man Pläne mit Schweden machen kann. Um die baltischen Staaten zu verteidigen, wollen Sie Zugang zur Insel Gotland und zum schwedischen Luftraum. Zudem ist Schweden nun anfällig für russische Desinformationskampagnen, die aufhetzen sollen. Letzte Woche sagte zum Beispiel der russische Botschafter in Stockholm, Schweden werde ein legitimes Ziel, wenn es um die NATO gehe. So versuchen sie, Angst und Spaltung zu säen.“
Im Juli letzten Jahres unterzeichneten die Türkei und Schweden ein Abkommen. Ankara würde Schwedens Antrag nicht vereiteln, aber das würde erfordern, dass es die Waffenexporte in die Türkei wieder aufnimmt – die 2019 nach türkischen Bombenanschlägen in Syrien unterbrochen wurden –, die Unterstützung syrisch-kurdischer Milizen einstellen und Auslieferungsanträgen von türkischer Seite Vorrang einräumen. Schweden hat diese Bedingungen erfüllt, aber der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan lässt sich immer wieder neue Bedingungen einfallen. Er fordert nun auch die Auslieferung von Dutzenden Türken, denen in Schweden politisches Asyl gewährt wurde.
Nachdem der dänisch-schwedische rechtsextreme Politiker Rasmus Paludan im Januar einen Koran vor der türkischen Botschaft in Stockholm verbrannt hatte, brach Ankara die Gespräche ab. Die Gespräche wurden kürzlich wieder aufgenommen, aber die Türken sagen weiterhin, dass Schweden mehr Zugeständnisse machen muss. Wieslander findet, man sollte jetzt von einer Blockade sprechen. „Auf diese Weise ist es Schweden unmöglich, die Türken zufriedenzustellen.“
Die schwedische Regierung hat kürzlich angekündigt, für die Zeit bis zur Mitgliedschaft Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Was wird befürchtet?
„Ein gutes Beispiel ist die Koranverbrennung. Es ist klar, dass es hier russischen Einfluss gab. Die Person, die Paludan nach Stockholm eingeladen und die Genehmigung bezahlt hat, arbeitete zuvor für den russischen Sender Russia Today. Fast unmittelbar nach der Koranverbrennung griffen russische und türkische Hacker gemeinsam schwedische Unternehmen und Institutionen an. Es wirkt wie eine gut koordinierte Kampagne.“
Kürzlich warnte der schwedische Psychologische Verteidigungsdienst, der Desinformationskampagnen bekämpft, dass ausländische Akteure nach der Koranverbrennung damit begannen, Botschaften in sozialen Medien zu verbreiten. Diesen Berichten zufolge würde die Verbrennung des Korans von der schwedischen Regierung unterstützt. Das Land gilt auch als islamfeindlich. Die schwedische Niederlassung des Microsoft-Unternehmens, die Einflusskampagnen überwacht, kam zu dem Schluss, dass türkische und russische Netzwerke bei der Verbreitung dieser gefälschten Nachrichten über Schweden zusammengearbeitet haben. Nach Angaben des schwedischen Geheimdienstes besteht nun eine erhöhte Terrorgefahr. Am vergangenen Dienstag wurden fünf Verdächtige festgenommen, die angeblich einen Anschlag als Rache für die Koranverbrennung geplant haben sollen.
Schweden beschäftigt sich mit dem Problem. Nach Januar lehnte die Polizei wegen der erhöhten Bedrohung drei Genehmigungsanträge für weitere Koranaktionen ab. Allerdings urteilte der Richter diese Woche, dass die Polizei falsch liege, denn eine Demonstration dürfe nur abgelehnt werden, wenn eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung bestehe. Nach Ansicht des Gerichts geht es zu weit, die Bedrohungslage auf eine Demonstrationserlaubnis einwirken zu lassen.
Hätten die Schweden etwas besser machen können?
„Das ist eine interessante Frage. Wir hätten die Koranverbrennung verhindern können. Die Polizei hätte einfach sagen können: Es ist erlaubt, aber irgendwo auf dem Land in Mittelschweden. Es war dumm, es direkt vor der türkischen Botschaft zuzulassen.‘
Innerhalb der Nato herrscht nach wie vor die Überzeugung, dass Schweden noch vor dem Nato-Gipfel in Vilnius im Juli Mitglied wird. Dann sind auch die türkischen Wahlen vorbei. Wenn sich die Türkei bewegt, wird Ungarn folgen, wird erwartet. In Schweden sind sie nicht überzeugt. Außenminister Tobias Billström sagte vergangene Woche, er bezweifle, ob der Beitritt in diesem Sommer gelingen werde. Wieslander traut sich auch kein Glücksspiel mehr. „Es kann immer rutschen. Natürlich hat Erdogan gute Beziehungen zu Russland, aber auch westliche Verbündete sind für die Türkei wichtig.“
Wie lange kann das so weitergehen?
„Nun, der Beitritt Mazedoniens wird auch seit Jahren von Griechenland blockiert. Es ist sehr wichtig, dass NATO-Mitglieder mit guten Beziehungen zur Türkei, wie Deutschland und das Vereinigte Königreich, Ankara ansprechen. Aber auch die Unterstützung von Ländern wie Dänemark und den Niederlanden hilft. Wir dürfen nicht vergessen, dass Schweden alle Vereinbarungen erfüllt hat. Am Ende muss sich Erdogan im Juli allen Verbündeten stellen.“