Vulnerable Europe investiert Milliarden in eigene Chipproduktion

Vulnerable Europe investiert Milliarden in eigene Chipproduktion


Entscheidend für den Wohlstand Europas ist, dass es schnell unabhängiger von Chips aus Asien und Amerika wird. So wird die EU am Donnerstag mit einem Angriffsplan von 11 Milliarden Euro aufwarten. Aber ist das ambitioniert genug?

Peter Gießen

1987 bat Taiwan Philips um Hilfe beim Aufbau einer neuen Chipfabrik, TSMC. Das Eindhovener Unternehmen hatte einst einen Anteil von 38 Prozent, verkaufte aber 2008 seine letzten Anteile. Jetzt kämpft Philips mit seinen Apnoe-Geräten, während TSMC zum weltweit führenden Chiphersteller geworden ist, unverzichtbar für die Entwicklung leistungsfähiger Computer, künstlicher Intelligenz oder des selbstfahrenden Autos.

„Das ist eine schreckliche Geschichte“, sagt Bram Nauta, Professor für Chipdesign an der Universität Twente. „Hätte Philips TSMC beibehalten, hätten wir dieses Wissen inzwischen. Dann hätte es in Eindhoven Leute gegeben, die die Technik beherrschten, und wir könnten hier auch so eine Fabrik aufbauen. Dann hätten wir kein geopolitisches Chipproblem gehabt.‘

Chips sind das Lebenselixier der modernen Wirtschaft, aber Europas Marktanteil an der weltweiten Produktion dieser Halbleiter ist unter 10 Prozent gefallen. Europa ist sich seiner Verwundbarkeit schmerzlich bewusst. Wenn die Versorgungsleitungen unterbrochen werden, sei es durch Krieg, Pandemie oder geopolitische Spannungen, hat Europa nur noch wenig zu tun.

Europäisches Chipgesetz

Am Donnerstag werden die europäischen Wirtschaftsminister voraussichtlich das Europäische Chipgesetz verabschieden, ein Versuch, den europäischen Rückstand im Bereich Chips aufzuholen. Die Europäische Union wird die Forschung ankurbeln und neue Chipfabriken bauen. Bis 2030 muss sich Europas Anteil am Chipmarkt auf 20 Prozent verdoppeln. Die EU investiert rund 11 Milliarden Euro, ein Betrag, der durch private Investitionen auf 43 Milliarden steigen soll.

Das sei viel zu wenig, sagt Nauta, und ein Marktanteil von 20 Prozent im Jahr 2030 sei völlig unerreichbar. Aber es ist ein Anfang: Europa ist sich seiner Abhängigkeit von Asien bewusst und kehrt zur Industriepolitik zurück. „In den 1980er Jahren stellte ein Unternehmen wie Philips seine eigenen Chips her“, sagt Nauta. „Damals brauchte es noch viele Leute. In Asien gab es billige und disziplinierte Arbeiter. Unternehmen dachten: Warum sollten wir noch unsere eigenen Chips herstellen, wenn sie es in Taiwan besser und billiger machen können? Es war Naivität, kurzfristiges Marktdenken“, sagt Nauta.

Taiwan und Südkorea

Geopolitische Erwägungen spielten damals keine Rolle. China war immer noch ein Land armer Bauern. Es war die Zeit, in der der amerikanische Philosoph und Politikwissenschaftler Francis Fukuyama Das Ende der Geschichte argumentierte, dass es keine Alternative mehr zur liberalen Demokratie gebe. Früher oder später würden alle wie wir werden.

Asien profitierte. Asiatische Unternehmen wurden immer besser in der Herstellung von Chips. Ein kontinuierlicher Skalierungsprozess ließ nur drei große Hersteller von fortschrittlichen Chips übrig: TSMC in Taiwan, Samsung in Südkorea und mit einiger Entfernung Intel in den Vereinigten Staaten. Chips werden zwar noch in Europa hergestellt, zum Beispiel von der holländischen NXP, aber das sind vor allem einfache Chips, die in Autos oder Waschmaschinen verarbeitet werden.

zerbrechlich

An sich sei der Chip-Sektor gut ausbalanciert, sagt Nauta. Chips werden in Amerika von Unternehmen wie Apple, Qualcomm und Broadcom entwickelt und in Asien mit in Europa hergestellten Maschinen hergestellt, wobei ASML aus Eindhoven der unangefochtene Champion ist.

„Als wir alle offen, in Freiheit und Freude handelten, spielte es keine Rolle, dass wir nichts selbst gemacht hatten“, sagt Maaike Okano-Heijmans, Forscherin am Clingendael Institute. Corona und der Krieg in der Ukraine haben gezeigt, wie zerbrechlich der europäische Wohlstand ist, wenn die Lieferungen ausbleiben. In einer immer raueren Welt steigt die Wahrscheinlichkeit solcher Störungen nur noch an. Was passiert, wenn China in Taiwan einmarschiert? Kommen die Chips von TSMC noch nach Europa? Und kann man ihnen noch vertrauen oder sind sie voller Spyware?

In den USA nimmt die Tendenz zum Protektionismus zu, auch unter Präsident Joe Biden. Darüber hinaus fordert Amerika Unterstützung von Europa in seiner ständig wachsenden Rivalität mit China. Beispielsweise wird ASML unter Druck gesetzt, die Lieferung fortschrittlicher Maschinen nach China einzustellen. „Europa will in diesem Konflikt seine eigene Position bestimmen, aber es ist schwierig, dem amerikanischen Druck zu widerstehen, wenn man für seine Sicherheit so sehr auf die Vereinigten Staaten angewiesen ist, wie es jetzt wieder in der Ukraine zu beobachten ist“, sagt Okano-Heijmans. Zum Beispiel hängt die technologische Autonomie mit der militärischen Autonomie zusammen.

Demokratie versus Autokratie

Der Kampf zwischen China und den Vereinigten Staaten ist ein Kampf zwischen zwei Systemen, Demokratie gegen Autokratie. „In diesem Kampf wollen Sie technologische Überlegenheit erreichen. Die chinesische Regierung bietet ihren Unternehmen deutlich mehr Unterstützung. Dann kann man sagen: „Unser System ist so schön“, aber dann sind unsere Unternehmen im Nachteil. Das versuchen wir jetzt zu korrigieren“, sagt Okano-Heijmans.

Seit 2015 hat China schätzungsweise 150 Milliarden Euro in die Entwicklung seines Chipsektors investiert, wenn auch mit mäßigem Erfolg. Die Vereinigten Staaten sehen in ihrem Chips Act jetzt 52 Milliarden Dollar vor, um ihre Chipindustrie zu subventionieren. Asien verteidigt derweil seine Position: Südkorea soll dank eines Pakets von 250 Milliarden Euro an öffentlichen und privaten Investitionen zur „Chip-Supermacht“ werden.

Dadurch entsteht ein globaler Subventionswettlauf. „Wir haben immer gesagt: Wir wollen die besten und günstigsten Chips. Jetzt sagen wir: Wir sollten in der Lage sein, unsere eigenen Chips herzustellen, auch wenn sie teurer und vielleicht schlechter sind“, sagt Nauta.

Protektionismus lauert, denn die subventionierte europäische und amerikanische Chipindustrie muss vor den überlegenen Asiaten geschützt werden. Die Welt droht in Blöcke zu zerfallen. Nauta: „Werden wir davon profitieren? Ich glaube nicht. Aber Europa muss sich darauf vorbereiten. Wenn wir der naivste Junge in der Klasse sind, können die Chinesen und Amerikaner bald alles und wir nichts.‘

Hindernis

Es sei schwierig, Asien einzuholen, sagt Nauta. „Die Herstellung von Chips kann mit dem Kochen verglichen werden“, sagt Nauta. „Du kannst den besten Ofen kaufen, aber das macht kein fantastisches Essen. Die Rezepte sind geheim und bestehen aus Tausenden von Schritten. Die Herstellung eines Chips dauert acht Wochen. Wenn Sie es auf 300 Grad erhitzen, geht es richtig, wenn Sie es auf 310 Grad erhitzen, geht es schief. Und das merkt man erst nach acht Wochen. Deshalb ist es so schwer, besonders am Anfang.“

Man braucht Leute mit Wissen, um Chips herzustellen, und davon gibt es in Europa nicht genug. „Ein Studium der Elektrotechnik dauert fünf Jahre und dann braucht man noch zwei Jahre Berufserfahrung, um richtig gut zu werden“, sagt Nauta. „Insgesamt sieben Jahre. Allein deshalb ist ein Marktanteil von 20 Prozent im Jahr 2030 unerreichbar.“ Außerdem gibt es in Europa kaum eine Industrie, die fortschrittliche Chips verarbeitet. „Man kann so eine Fabrik aufbauen, aber wenn man dann alle seine Chips nach Amerika exportiert, hilft einem das nicht viel“, sagt Nauta.

Kuschelberufe

Die Hürden sind enorm, aber die mentale Kehrtwende ist geschafft. Europa will wieder Industriepolitik betreiben. Die Niederlande waren immer dagegen, auch aus Angst, dass vor allem große Unternehmen aus großen Ländern von großzügigen Subventionen profitieren würden. Diese Befürchtung ist nicht ganz unbegründet, aber jetzt erkennen auch die Niederlande, dass Europa an einem globalen technologischen Wettlauf teilnehmen muss.

„Die Außenwelt zwingt uns dazu“, sagt Okano-Heijmans. „Wir sind in den letzten Jahren weniger naiv geworden. Wir schützen uns besser, indem wir zum Beispiel Investitionen aus China auf Sicherheit prüfen. Aber erst jetzt beginnen wir, an unserer eigenen Wettbewerbsfähigkeit zu arbeiten. Du musst dich nicht nur schützen, sondern dich auch größer machen.‘

Eine Geschichte über Chips wird schnell zu einer Moralgeschichte, über fleißige Asiaten und naive Europäer, über kommerzielle Amerikaner, die die Produktion von Chips zugunsten des großen Geldes der softwaregetriebenen Unternehmen wie Facebook, Google und Amazon vernachlässigt haben. „Wir haben zu viele Umarmungs- und Gesprächsberufe“, sagt Nauta. „Wir haben alle hundert Meter ein Café. Sehr schön, aber was nützt es?‘ Eine Nation von Nagellackierern, Hundefriseuren, Lifestyle-Coaches und Baristas braucht mehr Technikfreaks, sagt er, von Solarpanel-Installateuren bis hin zu Chip-Designern.

Zurück nach vorne

Aber die Entwicklung der Technik lässt sich nicht mit kulturellen Stereotypen erklären. In den 1990er Jahren arbeitete Nauta bei Philips, wo sie sich über ein aufstrebendes Unternehmen aus Korea lustig machten. „Samsung, das kann nichts sein, Plastikschrott“, erinnert er sich. Dann löschten die Koreaner ihre japanischen und europäischen Konkurrenten aus.

Wenn es also eine Strategie festlegt und stark investiert, kann Europa an die Spitze der Technologie zurückkehren. Nauta: „Wir haben genug schlaue Leute. Die Maschinen von ASML sind die komplexesten Maschinen, die die Menschheit je gebaut hat. Und sie wurden von den Holländern erfunden.“



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