Europa befindet sich auf der Karte des saisonalen Prognostikers ECMWF im grauen Bereich. Frühere Prognosen trafen gelegentlich ein, oft aber auch nicht. Dadurch überschreitet die Vorhersagekraft der Prognose in Europa nicht die Grenze des Zufalls. „Das Wetter wird hier stark von der Windrichtung bestimmt“, sagt Klimawissenschaftler Peter Siegmund (KNMI). „Und es ist schwer vorherzusagen.“
Dennoch sorgte die neue ECMWF-Prognose (das Akronym steht für European Centre for Medium-Range Weather Forecasts) in der vergangenen Woche für Schlagzeilen. ‚Zittern vor strengem Winter wegen Energiekrise“, überschrieben Der Telegraph. ‚Wettervorhersage: Wir werden einen kalten Winter haben“, stellte fest Libelle Fest. ‚Europa steuert auf einen ungewöhnlich warmen Winter zu“, war die Überschrift des französischen Nachrichtensenders France24 verwirrend richtig, basierend auf genau der gleichen Prognose. Es gibt sogarungewöhnlich hohe Temperaturen“, so das Wirtschaftsmagazin Reichtum.
„Solche Meldungen sieht man jedes Jahr“, sagt Siegmund. „Solche Prognosen hört man gerne. Und jeder Anbieter, insbesondere kommerzielle Parteien, hat ein Interesse daran, sie bekannt zu geben. Aber gerade in der aktuellen Gaskrise sollte man meiner Meinung nach eigentlich Zurückhaltung üben und keine falschen Erwartungen wecken.‘
Der Reporter der Nachrichten in unserem Land war die Wetteragentur Weeronline, die sagt, dass die Prognose für Dezember zu 60 Prozent sicher ist. Diese Prognose: Über Europa wird sich ein Hochdruckgebiet befinden, das die Wahrscheinlichkeit von Nachtfrösten und weniger Niederschlägen als im Durchschnitt erhöht. Ob es zu echter Winterkälte kommt, hängt davon ab, wo genau das Hochdruckgebiet liegen wird.
Aber diese Prognose deckt nur den Dezember ab, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie wahr wird, ist nur 10 Prozentpunkte größer als die Wahrscheinlichkeit, räumt der Meteorologe Jaco van Wezel von Weeronline ein. „Trotzdem denken wir, dass wir darüber nicht schweigen sollten“, erklärt er die Entscheidung, ihm eine Nachricht im Internet zu widmen. „Wir haben unser Bestes getan, um die Botschaft nuanciert zu übermitteln. Doch dann entwickelte es ein Eigenleben. Die Nachfrage nach Berichten über den Winter, vorzugsweise mit Kälte und Schnee, ist immer sehr hoch.‘
Warmes Wasser im Pazifischen Ozean
Der Ausgangspunkt vieler Vorhersagen liegt eine halbe Erdkugel entfernt im Pazifischen Ozean. Dort wird die Meeresströmung in den kommenden Monaten mit 75-prozentiger Sicherheit zum dritten Mal in Folge ein La Niña erleben, eine Phase, in der erwärmtes Meerwasser Richtung Australien gedrückt wird, während sich das Meer vor Chile abkühlt. Die Folge: Hitze und Feuchtigkeit in Australien, Dürre und Tiefdruckgebiete in Südamerika.
Wie ein Wasserbett, auf das jemand schiebt, kräuselt es Tausende von Kilometern entfernt in den Druckgebieten, die das Wetter prägen. Für die USA erwartet der US-Klimadienst NOAA einen „typischen La-Niña-Winter“ mit viel Schnee und Kälte im Norden und besonders mildem Wetter und Trockenheit in den Südstaaten und entlang der Ostküste. Dort und besonders um den Äquator herum sind die Vorhersagen ziemlich genau.
Für Europa wird ein warmer, trockener Winter erwartet, bis zu 2 Grad wärmer als normal. Wodurch die EZMW-Notizen: ‚Wir beobachten jedes Mal, wenn wir das Modell ausführen, eine hohe Variabilität über Europa, was die geringe Gewissheit des Einflusses von La Niña auf Europa unterstreicht.‘ Trotzdem geraten die Models regelmäßig in eine „Blockade“ in Europa. Das ist ein anhaltendes Hochdruckgebiet, das die vorherrschende Windrichtung von West nach Nord zwingt und somit für kalte Polarluft sorgen würde. Obwohl die Modelle „nicht ganz auf einer Linie“ sind, wird es auch hier betont.
Eiskalt in der Ukraine
Auch über den Winterverlauf in der Ukraine, wo die Bevölkerung bange ist, wie kalt es werden wird, konnten die Modelle der vergangenen vierzig Jahre keine bessere Prognose aufstellen, als wenn man sie auf den Tisch werfen würde Tropfen eines Hutes, Münze würde bestimmen. Abgesehen von dem bereits Bekannten: Die Ukraine hat ein kontinentales Klima, mit anhaltender Eiseskälte im Winter. Die wackeligen Prognosen des EZMW deuten jedenfalls auf einen Winter mit bemerkenswert wenig Schnee. In der Ukraine, aber auch in den unteren Wintersportgebieten Polens, Tschechiens und Frankreichs.
Ob es jemals gelingen wird, den holländischen Winter in einer halbwegs genauen Vorhersage festzuhalten, wagt Siegmund zu bezweifeln. Bestehende Wettermodelle sehen nicht mehr als zwei Wochen voraus. Weiter in die Zukunft zu blicken ist schwierig, weil sich die Möglichkeiten so schnell häufen, dass Computer sie nicht bewältigen können. „Die Unberechenbarkeit des Wetters kann man mit seinen Prognosen nicht überwinden“, meint Siegmund.
Wischen Sie alle Berechnungen und Prognosen vom Tisch, sagt Van Wezel, und das bleibt übrig: ein wärmerer Winter als der Durchschnitt, weil sich das Klima erwärmt. Seit dem Jahr 2000 waren drei Viertel aller niederländischen Winter wärmer als der langjährige Durchschnitt von 3,9 Grad Celsius. „Allein diese Tatsache macht eine 75-prozentige Chance auf einen überdurchschnittlich warmen Winter“, begründet er.
Van Wezel verweist auf den Winter 2020-2021, als das Eis Anfang Februar fast überall dick genug wurde, um ein paar Tage Schlittschuh zu laufen. „Daran erinnert sich jeder. Aber eigentlich war es viel ungewöhnlicher, wie heiß es danach wurde, in der zweiten Hälfte dieses Monats“, sagt Van Wezel. „Daran sieht man: Die Erderwärmung hat unsere Wahrnehmung dessen, was gewöhnliche Winterkälte ist, verändert.“