Es ist weniger als einen Monat her, seit Olena Moroz (39) ihren letzten Kunden in Kiew beschnitten hat. Sie hatte die Haare der Teenagerin vor ihrer Geburtstagsfeier an jenem Abend mit besonderer Sorgfalt zu Locken geföhnt. Dann schloss sie den Salon, holte ihre beiden Kinder von der Schule ab und aß mit ihrer Familie. Sieben Stunden später fielen die ersten Bomben.
Nach einer zweiwöchigen Wanderschaft, die über Moldawien nach Rumänien, Ungarn, Österreich und Deutschland führte, steht Moroz nun in einem Friseursalon im Amsterdamer Rotlichtviertel, über einen holländischen Teenager mit langen, steilen Locken gebeugt. Heute ist ihr Probetag. Es ist immer noch ein bisschen Arbeit, so ein neues Geschäft, in dem sie die Leute und Menschenmassen nicht kennt. Aber alles ist besser, als zu Hause zu sitzen und nichts zu tun, denn dann kann sie nur an eines denken, und das ist der Krieg.
Mit dem Probetag ist Moroz der Lockerung der Arbeitsmarktregeln für ukrainische Flüchtlinge klar voraus. Aufgrund ihres besonderen Aufenthaltsstatus müssen Arbeitgeber ab April keine Arbeitserlaubnis mehr beantragen, wenn sie einen Ukrainer beschäftigen wollen. Auch der sogenannte Arbeitsmarkttest, mit dem der UWV zunächst prüft, ob sich geeignete Kandidaten für eine Stelle im europäischen Raum finden lassen, entfällt.
Brechen Sie mit der strengen Richtlinie
Der freie Zugang ukrainischer Flüchtlinge zum niederländischen Arbeitsmarkt ist einzigartig. Es ist ein Bruch mit der strengen Politik der Niederlande gegenüber Flüchtlingen aus anderen Ländern. In den ersten sechs Monaten ihres Aufenthalts dürfen sie überhaupt nicht arbeiten. Nach dieser obligatorischen Wartezeit benötigen sie eine Arbeitserlaubnis, mit der sie dann für maximal 24 Wochen arbeiten dürfen. Außerdem müssen sie einen großen Teil ihres Einkommens an ihren Aufnahmeort abführen.
Laut Monique Kremer, Professorin für Bürgerschaftskunde (auch Vorsitzende des Beratenden Ausschusses für Einwanderungsangelegenheiten), wurden diese Hindernisse erhöht, um zu verhindern, dass Asylmigranten während ihres Asylverfahrens Arbeitslosenunterstützung aufbauen und schwierig zurückkehren können. Darüber hinaus müssen die Schwellenwerte einen „Drain-Effekt“ verhindern, der zu einer Verdrängung auf dem Arbeitsmarkt führen könnte. Doch diese Politik geht oft nach hinten los: Weil Asylmigranten lange ausgegrenzt werden, sind sie häufiger auf Sozialhilfeleistungen angewiesen. Zudem ist der Arbeitsmarkt so angespannt, dass es kaum zu Verdrängungen kommt.
Im Gegenteil: Jetzt, wo es mehr offene Stellen als Arbeitslose gibt, suchen die Arbeitgeber händeringend nach zusätzlichen Arbeitskräften. Kaum eine Woche war der Krieg Anfang März alt, da freuten sich die Arbeitsagenturen darüber NOS-Nachrichten vor der Ankunft der Flüchtlinge. Die Fähigkeiten von Moroz sind auch im geschäftigen Amsterdamer Barbershop von Lu Araujo sehr nützlich. Der Saloninhaber sucht schon länger nach einem geeigneten Kollegen, doch viele Kollegen haben während der Corona-Krise zu Hause aufgehört oder angefangen zu schneiden. Und das, während die Haare seiner Kunden weiter wachsen.
Dass Moroz kein Niederländisch spricht, nimmt der gebürtige Brasilianer Araujo schmunzelnd hin. Kunden haben auch nichts als Verständnis. Schließlich lässt sich der Unterschied zwischen Schere und Schere auch leicht in Gesten und unterstützenden Sounds festhalten („Olena, not bzz-bzz please“). Sie haben auch keine Angst vor einem rasierten osteuropäischen Coupé. Zwar zeigt Stammkunde Tim (37) etwas Angst, als Moroz ihre Schere in seine volle Haarpracht stecken will. „Olena, hast du eigentlich auch in der Ukraine als Friseurin gearbeitet?“
Ausbeutung
Professor Kremer hofft, dass die neuen Arbeitsmarktregeln für Ukrainer bald auch für andere Flüchtlingsgruppen gelten. „Denn die Arbeit ist für alle ein Ort, an dem man sich ablenken und das Gefühl haben kann, wichtig zu sein.“ Sorgen bereiten ihr aber auch all die Zeitarbeitsfirmen, die sich mit tausenden neuen Arbeitskräften bereits „reich rechnen“.
Schließlich landen nicht alle ukrainischen Flüchtlinge, die in die Niederlande kommen, in einem so sicheren Netzwerk wie das von Moroz, der bereits Bekannte in den Niederlanden hatte. Außerdem sprechen sie nicht immer Englisch und haben langfristig wenig Gewissheit über ihren Aufenthaltsstatus. Infolgedessen lauert Arbeitsausbeutung, wie sie beispielsweise von osteuropäischen Arbeitsmigranten in der Landwirtschaft und im Gartenbau bekannt ist. Es ist eine Sorge, die auch die Gewerkschaft FNV Anfang dieser Woche geäußert hat.
Daher sei es laut Kremer von großer Bedeutung, dass die Empfehlungen des Römer-Ausschusses, der im Auftrag des Vorgängerkabinetts Missstände in der Arbeitsmigration untersucht habe, vom aktuellen Kabinett forciert würden. Außerdem müsse in die Flüchtlinge investiert werden, so der Professor, auch in die Bildung. „Wir müssen über die kommende Tomatenernte hinausblicken, wir müssen dafür sorgen, dass diese Menschen eine menschenwürdige Arbeit haben und dass ihre Talente genutzt werden, sonst fließen sie einfach wieder ab.“
In dieser Hinsicht hat Moroz ein gutes Geschäft mit Salonbesitzer Araujo. Geduldig demonstriert sie, wie man überschüssiges Haar mit einem Rasiermesser entfernt und wie man Haare wäscht, ohne den Kunden einen Bruch im Nacken zu geben. Moroz versucht gewissenhaft, alle Informationen aufzunehmen und sich zu merken. Denn sie ist zwar fest entschlossen, in die Ukraine zurückzukehren, wenn Frieden herrscht, aber sie weiß auch, dass es einige Zeit dauern kann. „Ich kann die Situation in meinem Land nicht ändern“, sagt sie mit einem schwachen Lächeln. „Aber ich kann zumindest versuchen, etwas daraus zu machen.“