Als Nestor verpasste Thomas Müller dem begeisterten Talent Jamal Musiala einen aufmunternden Klaps auf den Kopf. Etwas weiter war Leroy Sané mit den Händen auf den Knien vornübergebeugt, den Kopf zwischen die Schultern geklemmt. Und eine Kameraeinstellung hielt den leeren Blick in den Augen von Kai Havertz fest, der auf dem Feld kauerte.
Die Bilder der Verzweiflung symbolisierten die Ernüchterung der deutschen Fußballer. Trotz des 4:2-Erfolgs über Costa Rica schied Die Mannschaft nach dem frühen Ausscheiden Russlands 2018 zum zweiten Mal in Folge aus der Gruppenphase der WM aus. Dazwischen scheiterte es unrühmlich im Achtelfinale bei der EM, als Beleg für den Niedergang des Weltmeisters von 2014.
Die Täuschung in Katar bedeutet, dass der deutsche Fußball den Boden erreicht hat, schloss boulevardkrant Bild, anderthalb Jahre vor der Europameisterschaft im eigenen Land. „Am 1. Dezember 2022 wurden wir Zeugen des Endes einer einst großartigen und stolzen Fußballnation.“ Um hinzuzufügen: „Früher haben wir die Fußballwelt erschreckt. Wir wurden als Turniermannschaft gelobt. Jetzt ist Deutschland nur noch ein Fußballzwerg.“
Im Trend
In der katarischen Küstenstadt Al Khor, rund fünfzig Kilometer von der Hauptstadt Doha entfernt, wurde die Zeit um mehr als vier Jahre zurückgedreht, als Deutschland in der Gruppenphase im russischen Kasan sein Waterloo fand, obwohl beide Rückzugsorte ihre eigene Geschichte erzählten. Mit Bundestrainer Hansi Flick als Nachfolger von Joachim Löw hoffte Deutschland auf eine neue Ära. Doch die vorzeitige Abschaltung entsprach eher dem Trend der letzten Jahre.
Ab 2006 prägte Löw fünfzehn Jahre lang das deutsche Team und erlebte 2014 mit dem WM-Titel seinen Höhepunkt. Unter seiner Führung wurde Die Mannschaft auch für die Niederlande zum leuchtenden Beispiel des modernen Fußballs. Schnelligkeit und Dynamik wurden mit fußballerischem Einfallsreichtum verknüpft. Doch in seiner letzten Zeit wurde Löw Opfer seines eigenen Erfolgs. Er habe zu lange an volljährigen Spielern festgehalten, die ihm Erfolge gebracht hätten, lautete die Kritik.
Deutschland hatte am Donnerstag das Pech, im anderen Gruppenspiel gegen Spanien durch ein umstrittenes Tor (Ball über die Abwehrlinie hin oder her) von Japan teilweise ausgeschieden zu sein. Aber es konnte nicht über die Probleme hinwegtäuschen, mit denen Deutschland während der Weltmeisterschaft konfrontiert war. Sowohl auf als auch neben dem Platz.
Der 57-jährige Flick, der mit Bayern München in anderthalb Jahren zwei nationale Titel gewann, die Champions League und die Weltmeisterschaft für Vereinsmannschaften, wurde in Bayern dafür gelobt, dass er die Defensivorganisation niedergeschlagen hatte. Er musste in Katar zusehen, wie sein Team hauptsächlich defensiv schoss. Deutschland kassierte in drei Spielen fünf Gegentore, davon vier gegen Japan und das schwache Costa Rica, als Flick in seinem Team weiter abrutschte. „Er hat in seinen achtzehn Monaten als Bundestrainer keine starke Achse aufgebaut“, sagte er Bild.
Kein Topstürmer
Es überschattete das Überangebot an offensiver Qualität unter anderem mit Serge Gnabry, Leroy Sané und dem Supertalent Jamal Musiala, obwohl das Fehlen eines Top-Stürmers schwer wog. Deutschland hat zeitweise guten Fußball gespielt. Es war das Land mit den meisten Torschüssen in der Gruppenphase und hätte gemessen an der Qualität der Chancen (erwartete Tore) die meisten Tore erzielen müssen: 10,5 statt sechs.
In einer breiteren Perspektive sagte es wahrscheinlich etwas über die Metamorphose aus, die Deutschland in den letzten Jahren durchgemacht hat: spektakulärer, aber weniger ergebnisorientiert. Laut Ex-Nationalspieler Bastian Schweinsteiger waren andere Nationen siegreicher als Deutschland. „Es gab Situationen, in denen mir bei den Spielern fünf Prozent Konzentration gefehlt haben“, sagte er als Analyst der ARD. „Man muss auch mental bereit sein.“
Nach dem dritten vorzeitigen Abgang in vier Jahren konzentrierte sich die Kritik der mächtigen deutschen Medien nicht nur auf Spieler und Trainer, sondern auch auf den Fußballverband. In Deutschland liefen die enttäuschenden Ergebnisse parallel zu moralischen Bedenken wegen der umstrittenen Weltmeisterschaft in Katar, wobei die Diskussion um das OneLove-Kapitänsamt das heikelste Thema war. „Anstatt das Problem frühzeitig zu lösen, hat die Gewerkschaft nur zugelassen, dass sich das Problem verschlimmert. Bis es der sportlichen Vorbereitung im Wege stand und für Unruhe im Team sorgte“, schrieb das Magazin Der Kicker.
Das Mannschaftsfoto vor dem ersten Gruppenspiel gegen Japan, auf dem sich die Spieler aus Protest gegen das FIFA-Verbot, die OneLove-Kapitänsbinde zu tragen, den Mund zuhalten, wird im kollektiven Gedächtnis mit der gescheiterten WM verbunden bleiben. „Das Ergebnis passt zum großen Durcheinander“, titelte der Süddeutsche Zeitung über die Abschaltung.
2006 war die Weltmeisterschaft im eigenen Land der Auftakt zu einer erfolgreichen Zeit, in der sich Deutschland neu erfand. Die Frage ist, ob die Europameisterschaft in anderthalb Jahren die gleiche Wirkung haben kann.