Eine wachsende Zahl von Flüchtlingen aus Nordkorea hat sich in den letzten Jahren als Youtuber oder Influencer in Südkorea ein neues Leben aufgebaut. Soziale Medien bieten den „Überläufern“ finanzielle Unabhängigkeit und Freiheit, sich in ihrer neuen Heimat zurechtzufinden. Das schreibt die amerikanische Nachrichtenseite „CNN“.
Es scheint eine unwahrscheinliche Karriere zu sein: vom anonymen Dasein in einer Diktatur, in der Smartphones nur der Elite vorbehalten sind und nur Zugang zu einem zensierten Intranet gewähren, zum erfolgreichen Influencer im World Wide Web. Doch immer mehr nordkoreanische Überläufer geben ihrem neuen Leben auf diese Weise Substanz. Es geht ums Überleben, darum, eigene Entscheidungen zu treffen und zu versuchen, das Verständnis zwischen zwei Völkern zu fördern, die sich immer weniger gut kennen.
In den sozialen Medien sprechen die Flüchtlinge über ihre Not unter dem diktatorischen Regime von Pjöngjang: von alltäglichen Dingen wie Sprache, Essen und Schminken bis hin zu politisch sensibleren Themen. Und sie verdienen auch gut.
Kang Na-ra ist einer von ihnen. Der 25-Jährige floh 2014 als Teenager in den Süden. Auch ihre Assimilation war schwierig: Einsamkeit, kulturelle Unterschiede und Geldprobleme lasten schwer auf Überläufern wie Kang. Beispielsweise ist die Arbeitslosigkeit unter ihnen nach Angaben lokaler Behörden fast doppelt so hoch wie unter Südkoreanern.
Interessiert
Aber die Südkoreaner interessieren sich sehr für die Lebensgeschichten ihrer übergelaufenen nördlichen Nachbarn. Bis zum Aufkommen der sozialen Medien waren es spezielle Fernsehsendungen, in denen die Flüchtlinge über ihre Erfahrungen berichteten. Eine Art „Überläufer-TV“ sozusagen. Kang war auch Gast in einigen Sendungen und wurde dadurch einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Aber es waren vor allem die südkoreanischen Fernsehmacher, die von diesem Format profitierten.
Und so sah Kang eine Marktlücke: 2017 startete sie ihren eigenen Kanal auf Youtube, auf dem sie über ihr tägliches Leben spricht. Leichtfertig vergleicht sie beispielsweise die Schönheitsideale in Nordkorea mit denen Südkoreas: Über die Existenz von BH-Füllungen und Brustimplantaten in ihrer neuen Heimat sagt sie erstaunt: „In Nordkorea kommen große Brüste nicht in Frage!“ In anderen Videos beantwortet sie Fragen zu ihrer Flucht aus der Diktatur. Zum Beispiel darüber, was Überläufer mit nach Süden nehmen: „Rattengift, um sich umzubringen, wenn man erwischt wird“.
Kang gelang es, Schritt für Schritt eine treue Fangemeinde aufzubauen ihr Kanal zu professionalisieren. Ihr geht es gut: Mittlerweile hat sie mehr als 350.000 Abonnenten auf Youtube und ihre Videos werden von Millionen Menschen angesehen. Sie engagierte mehrere Agenturen und konnte lukrative Sponsorenverträge mit großen Bekleidungsmarken abschließen. „Ich habe jetzt ein stabiles Einkommen“, sagte Kang gegenüber CNN. „Ich kann jetzt kaufen und essen, was ich will, aber auch ausruhen, wenn mir danach ist.“
Kang ist sicherlich nicht die einzige Erfolgsgeschichte: Es gibt weitere Nordkoreaner, die sich dank Social Media ein neues Leben als Influencer aufgebaut haben. Experten zufolge sind die Flüchtlinge sehr unternehmerisch und das Arbeitsfeld lässt ihnen viele Freiheiten: Sie müssen sich nicht auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt beweisen und sind ihr eigener Chef.
Auch im Gegensatz zu den etwas oberflächlichen und sensationslüsternen Sendungen des südkoreanischen „Defector TV“ können sie die Inhalte selbst bestimmen und ihre Zuschauer beeinflussen: Sie versuchen, nordkoreanische Klischees zu widerlegen und Verständnis zwischen den beiden Völkern zu schaffen.
Dies ist den Influencern zufolge wichtiger denn je, jetzt wo die Spannungen zwischen den Regierungen der beiden Länder wieder zunehmen und die Bewohner beider Länder kaum Kontakt miteinander haben. „Ich denke, es ist hilfreich, der Öffentlichkeit über YouTube vom Leiden der Nordkoreaner zu erzählen“, sagte Gang Eun-jung, 35, die 2008 aus Nordkorea floh und 2019 ihren YouTube-Kanal startete. Sie hat auch mehr als 177.000 Anhänger.
Die Youtube-Stars werden also nicht nur von Geld und Ruhm motiviert. Tatsächlich versuchen sie, immer mehr südkoreanische Jugendliche anzuziehen, die oft wenig über Nordkorea oder das Korea vor dem Krieg wissen. Das gilt jedenfalls für Kang Na-ra, der gelegentlich noch immer unter Heimweh leidet. „Ich möchte, dass die Jugend sich auch für die Vereinigung Koreas einsetzt. Denn würde das nicht die Chance erhöhen, dass ich meine Heimatstadt noch einmal besuchen kann, bevor ich sterbe?“
Rezension:
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