Visionär mit explosivem Charakter hat sich bei Volkswagen sein eigenes Grab geschaufelt

Visionaer mit explosivem Charakter hat sich bei Volkswagen sein eigenes


Herbert Diess bei der Präsentation des neuen Elektro-VW ID.3 in Frankfurt.Bild EPA

Zwei Stunden, nachdem er seinen Mitarbeitern via Twitter einen „schönen Feiertag“ gewünscht hatte, kam die Meldung, der Aufsichtsrat habe genug von dem eigenwilligen Volkswagen-Chef. Er hatte viele Misstrauensanträge aus den eigenen Reihen überstanden. Allerdings war sein Imperium in den letzten Jahren zerbröselt, sodass Diess immer weniger der Chef des größten Industriekonzerns Europas war.

Es grenzt an ein Wunder, dass Herbert Diess überhaupt noch am Ruder war. Der Betriebsrat könnte sein Blut trinken. Die Arbeiter misstrauten seinem Bestreben, aufzuräumen. Und dass er dem Aufsichtsrat zuvor kriminelles Verhalten vorgeworfen habe, habe seine Position nicht besser gemacht.

Jeder in Wolfsburg, der Heimat des Volkswagen-Konzerns, schien Diess zu hassen. Doch die mächtigen Familien Porsche und Piëch, die hinter den Kulissen das Sagen haben, schützten ihn. Bis letzten Freitag hat es ihnen offenbar auch gereicht.

Der Knochenbrecher

Wie so oft wurde der Coup in Abwesenheit des Chefs vorbereitet. Während Diess in den USA war, um eine Elektroautofabrik zu inspizieren, wurden die Klingen geschärft und sein Sturz vorbereitet. Diesmal mit Erfolg.

Es überrascht nicht, dass Diess wenig geliebt wurde. In Wolfsburg mag man keine Außenseiter, und Diess kam von BMW. Dort hatte er als gnadenloser Desinfektionsmittel Karriere gemacht. Vor allem Lieferanten wurden von ihm abgekniffen; er hat es geschafft, Milliarden zu sparen. Das brachte ihm den Spitznamen Knochenbrecher ein.

Im Norden könnten sie eine solche Johannisbeerwaage verwenden. Volkswagen Patriarch Ferdinand Piëch holte ihn Ende 2014 persönlich nach Wolfsburg, kurz bevor er selbst nach einem Streit mit Vorstandschef Martin Winterkorn stürzen würde. Wenige Monate später stolperte er wiederum über den im Sommer 2015 ausgebrochenen Dieselskandal.

Aus dieser Reihe von Ereignissen ging Diess als neuer Chef hervor. Unter seiner Führung würde der Konzern vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb wechseln.

Elon Musk

Diess ist ein Bewunderer von Elon Musk, dem Unternehmer, der die Autoindustrie erschütterte, indem er als Erster begehrte Elektroautos baute. In Musks Fußstapfen wollte Diess als Erster das Elektroauto bezahlbar machen, wie es sich für einen Volkswagen gehört.

Auch Diess wollte sich vom Diesel verabschieden, der seinem Konzern so viel Imageschaden zugefügt hatte. 89 Milliarden Euro Investitionen waren nötig, um seinen Traum zu verwirklichen, während Volkswagen noch immer unter den Folgen des Skandals stöhnte, der den Konzern mindestens 33 Milliarden gekostet hatte. Eine weitere Herausforderung: Auch Elektroautos sind wegen der teuren Batterien teurer.

Also mussten Abstriche gemacht werden. Das war relativ einfach, dachte Diess. Denn für die Herstellung von Verbrennungsmotoren und Getrieben, die aus Hunderten von Teilen bestehen, werden keine Arbeiter benötigt. Batterien werden von Robotern zusammengebaut, sodass auch dort keine menschlichen Hände benötigt werden. Der kalte Mathematiker Diess hatte die Rechnung schnell gemacht. Er kam zu dem Schluss, dass mindestens 30.000 Beschäftigte Volkswagen verlassen müssten.

Wenige Freunde sind geblieben

So kam es zum ersten Streit mit dem Betriebsrat. Dabei würde es nicht bleiben. Die neue Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo könnte sein Blut trinken.

Vermutlich beruhte das auf Gegenseitigkeit; Vor zwei Jahren sickerte durch, dass es bei der Produktion des ersten Elektro-Volkswagens große Probleme gab. Diess war wütend. Er beschuldigte Mitglieder des Aufsichtsrats (bei denen er offenbar das Leak vermutete) kriminellen Verhaltens. Dies führte zu einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen und Diess musste sich öffentlich entschuldigen. Es würde nie besser werden.

Seine Mitarbeiter mochten ihn nicht, Betriebsrat und Gewerkschaften mochten ihn nicht und auch im Aufsichtsrat hatte Diess nur noch wenige Freunde. Er musste einige seiner Spitzenpositionen im Unternehmen aufgeben, wurde aber jedes Mal von den Familien Piëch und Porsche gerettet.

Trost

Inzwischen häuften sich die Probleme. Aufgrund eines Mangels an Computerchips konnte Volkswagen weniger Autos als die Nachfrage liefern und vergrößerte den Abstand zu seinem größten Konkurrenten Toyota. Auch Diess‘ Plan, aus Volkswagen ein Softwarehaus zu machen, scheiterte. Im Gegensatz zu Tesla war die Software von Volkswagen klapprig und altmodisch. Mehrere neue Modelle verzögerten sich, weil die Programmierer nicht rechtzeitig fertig waren.

So verzögerte sich beispielsweise die Einführung des Elektro-Vorreiters ID.3 („der Käfer und der Golf unserer Zeit“) vor drei Jahren erheblich, und auch der wichtige neue Volkswagen Golf wurde nicht rechtzeitig fertig. Jetzt wird der neue Porsche Macan erneut von Software Malheur getroffen.

Inzwischen war das Fazit innerhalb der Gruppe: Diess hat eine Vision, aber er kann seine Pläne nicht verwirklichen. Offenbar drang diese Erkenntnis auch bei den Piëchs und Porsches ein, und das Schicksal von Diess war besiegelt. Er kann sich darüber trösten, dass er nicht der Einzige ist, der es nicht geschafft hat: Zwanzig Jahre lang hat es keiner seiner Vorgänger geschafft, seine Amtszeit abzusitzen.

Trost kann Diess auch aus seinem Gehalt schöpfen. Die wird bis zum Ende seiner Amtszeit im Jahr 2025 gezahlt. Laut Automotive News könnte die Summe auf 30 Millionen steigen.

3 X Herbert Diess

Nachfolger von Herbert Diess wird CEO Oliver Blume von Porsche. Er gilt als Teamplayer, der besser versteht, wie die Hasen in Wolfsburg laufen. Blume (54) ist sanfter und weniger brisant als Diess und würde weniger geneigt sein, den Konflikt zu suchen. Dass er sich in die Schlangengrube in Wolfsburg wagt, ist nicht weniger als mutig, schätzt die Süddeutsche Zeitung.

In Wolfsburg mögen sie Außenseiter nicht so sehr. Vor allem, wenn sie zur Sanierung kommen, ein Vorgänger von Diess, Wolfgang Bernhard, der sich zuvor als harter Kostensparer bei Daimler einen Namen gemacht hatte. Er wollte kurz nach der Jahrhundertwende mehrere VW-Werke schließen, was ihn in Konflikt mit dem Betriebsrat brachte. „Die Mitarbeiter des Konzerns sind nicht bereit, für die Fehler des Managements zu zahlen“, sagte der damalige Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh, der Bernhards Abgang forderte. Was ist passiert.

Auch der Chef vor Herbert Diess kam von Porsche: Matthias Müller wurde 2015 berufen, kurz nach dem Ausbruch des Dieselskandals und dem plötzlichen Ausscheiden von Vorstandschef Martin Winterkorn. Auch Müller hielt nicht lange durch: 2018 wurde er ausgewechselt.



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