Vertrauliche Kontrolleure: „Es handelt sich nicht um einen Kratzer, sondern um schwere Verletzungen“

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Die Polizei informiert Schülerinnen und Schüler der berufsvorbereitenden Sekundarstufe zum Thema Sexting.Bild Marcel van den Bergh / de Volkskrant

Ein Anruf bei der Geheimdienst-Hotline beginnt oft mit den Worten: „Ich weiß gar nicht, ob ich Sie anrufen soll.“ Der Kommissar: „Sagen Sie mir einfach, warum Sie anrufen.“ Dann kommen die Tränen. Ein Elternteil erzählt von seinem Kind, das lange Zeit gemobbt oder geschlagen wird. Manchmal ist es auch ein Schulleiter, der in einem sachlicheren Ton eine ernste Meldung macht: dass an seiner Schule der Verdacht auf sexuellen Missbrauch oder Übergriff besteht.

In allen Fällen haben die vertraulichen Inspektoren der Bildungsinspektion ein offenes Ohr und begleiten den Reporter bei den nächsten Schritten, die unternommen werden können und manchmal sogar müssen. Denn wenn ein Verdacht auf sexuellen Missbrauch eines minderjährigen oder handlungsunfähigen Schülers durch einen Mitarbeiter besteht, ist die Schule zur Anzeige verpflichtet. Ab dem nächsten Jahr gilt dies auch für Formen sexueller Belästigung, etwa für das Versenden sexuell anzüglicher Nachrichten (Sex-Chats) oder anstößiger Fotos (Sexting) durch Erwachsene an Kinder.

Im vergangenen Schuljahr (2022–2023) waren die rund fünfzehn vertraulichen Kontrolleure beschäftigter denn je. 2.152 Dateien wurden erstellt, Das geht aus einem am Montag vorgelegten Inspektionsbericht hervor. Das sind 409 Akten mehr als im vorangegangenen Schuljahr und sogar 856 mehr als im Schuljahr 2020-2021.

Die meisten Akten (992) betrafen psychische Gewalt zwischen Schülern, etwa schweres Mobbingverhalten. Auch in den Bereichen körperliche Gewalt (560 Akten), sexuelle Belästigung (318), sexueller Missbrauch (152) und Diskriminierung (116) gingen mehr Anzeigen ein als in den Vorjahren.

Der Anstieg bedeute nicht zwangsläufig, dass es mehr Vorfälle an Schulen gebe, betont Joke Schuur, Koordinatorin bei der vertraulichen Besichtigung. Auch die größere Sensibilisierung der Meldestelle und die gesellschaftliche Diskussion über unangemessenes Verhalten – etwa durch die Sendungen über Die Stimme – können häufiger als bisher zur Berichterstattung beitragen.

Nach Angaben der Aufsichtsbehörde scheint es jedoch, dass die soziale Sicherheit an Schulen seit der Corona-Pandemie unter Druck geraten ist. Lehrer schlagen zunehmend Alarm wegen unbeugsamer Klassen, zunehmendem Mobbingverhalten und schwerer Gewalt. „Man sieht, dass sich das Klima an den Schulen verhärtet“, sagt Joke Schuur, die sich seit 18 Jahren mit Meldungen dieser Art beschäftigt.

Sie steht kurz vor dem Ruhestand. Gemeinsam mit ihrer Nachfolgerin Jeanette Wolleswinkel spricht sie im Büro der Bildungsinspektion in Utrecht über ihre Anliegen. Denn nicht nur die Zahl der Meldungen wächst, auch die Art der Meldungen scheint sich zu verändern. Beispielsweise sind zunehmend Kinder unter 13 Jahren beteiligt. „Manchmal ist die Sicherheit eines Kindes so gefährdet, dass es nicht mehr zur Schule gehen möchte“, sagt Schuur. „Das Risiko eines Scheiterns ist dann sehr hoch.“

In dem Bericht heißt es, dass es eine sichtbare Verschiebung in der Schwere der Gewalt gibt: vom Stoßen und Ziehen hin zu fahrlässigen Verletzungen und schweren Körperverletzungen. Und vor allem im Grundschulbereich.

Schuur: „Das schockiert uns auch.“ Dabei handelt es sich nicht um einen Kratzer am Knie, sondern um Verletzungen, die einen Arztbesuch erfordern, beispielsweise eine Gehirnerschütterung. Es beginnt oft mit Mobbing, und wenn das nicht gelöst wird, führt es in manchen Fällen zu körperlicher Gewalt.“

Wolleswinkel: „Bei psychischer Gewalt haben wir seit der Corona-Zeit viel mehr Meldungen über digitales Mobbing gesehen.“ Das fängt schon in der Schule an, geht aber natürlich auch nach der Schule weiter.“

Intervenieren Schulen ausreichend?

Schuur: „Schulen haben eine Fürsorgepflicht, aber wie damit umgegangen wird, ist von Schule zu Schule sehr unterschiedlich.“ „Wir hören regelmäßig, dass Eltern nicht wissen, dass es einen Sozialplan gibt oder dass es in der Schule einen Vertrauensberater gibt, an den sie sich wenden können.“

Wolleswinkel: „Wir versuchen Lehrer zu motivieren, darüber offen zu diskutieren: Welches Verhalten ist erlaubt, auf welche Probleme stößt man, wie gehen wir damit um?“ „Solche Gespräche finden nicht nur an der Kaffeemaschine statt, die Schulleitung muss sie ermöglichen.“

Die Bildungsinspektoren Joke Schuur (links) und Jeanette Wolleswinkel.  Bild Jiri Büller

Die Bildungsinspektoren Joke Schuur (links) und Jeanette Wolleswinkel.Bild Jiri Büller

Eine Anzeige bei Ihnen kann große Auswirkungen haben, insbesondere wenn die Vizepolizei beteiligt ist. Bleiben viele Vorfälle unter der Decke?

Schuur: „Wir sehen wahrscheinlich nur die Spitze von Berichten über sexuellen Missbrauch an Schulen.“ Darunter liegt ein ganzer Eisberg. Wir versuchen den Schulen immer zu sagen: Zögern Sie nicht, anzurufen und versuchen Sie nicht, selbst herauszufinden, was strafbar ist und was nicht, da Sie sonst schnell in einer Grauzone landen. „Wir hören oft von Schulleitern, Administratoren, Eltern oder Kinderbetreuern, dass sie mit großer Zufriedenheit auf die Beratung zurückblicken.“

Wolleswinkel: „Mit der Meldepflicht bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch soll auch verhindert werden, dass keine Anzeige erfolgt, wenn ein Anlass besteht, die Eltern dies aber nicht wollen.“ Zum Beispiel, wenn ihre 13-jährige Tochter unsterblich in eine Lehrerin verliebt ist und sie eine sexuelle Beziehung haben. „Vielleicht haben Eltern Gründe, die Beziehung zu ihrer Tochter nicht belasten zu wollen, und dann könnte so etwas einfach unter dem Teppich verschwinden.“

Sie haben oft mit ernsten Problemen zu kämpfen. Was macht das mit dir?

Wolleswinkel: „Man ist mit drei, manchmal auch mit vier Kollegen im Einsatz.“ Wir stehen den ganzen Tag miteinander in Kontakt. Wenn es einen Fall gibt, der unter die Haut geht, treffen wir uns.“

Schuur: „Manchmal hilft es, jemanden eine Zeit lang vom Dienst freizunehmen oder zu sagen: Geh einfach mal eine Stunde raus.“ Selbst nach achtzehn Jahren kann ein erschütternder Fall Sie noch sehr beeinträchtigen. Ein Lehrer, der beispielsweise wegen Vergewaltigung eines oder mehrerer Schüler verurteilt wurde, oder ein Bericht über schwere psychische Gewalt an einem Kind. Probleme, die langfristige Folgen haben können, auch im Erwachsenenleben. Das ist sehr traurig.‘



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