Unterhaltsam, aber flach: Hollywood hat erkannt, dass es ein Bon-Ton ist, die Elite zu kritisieren

Unterhaltsam aber flach Hollywood hat erkannt dass es ein Bon Ton


Journalistin und Philosophin Doortje Smithuijsen, auch Fernsehkritikerin von de VolkskrantSie freut sich, dass die Kritik am aus dem Ruder gelaufenen Kapitalismus über Filme die breite Öffentlichkeit erreicht. Sie sieht aber auch, dass genau das, was kritisiert wird, auf vulgäre Weise zum Geldverdienen verwendet wird.

Doortje Smithuijsen

Ende 2021 war ich zu Gast in einer Radiosendung, um über den Erfolgsfilm von damals zu sprechen: Schau nicht nach oben. „Das ist so ein lustiger und gleichzeitig konfrontativer Film“, sagte ich im Vorgespräch zum Redakteur. ‚Lustig, weil es wahr ist.‘ Das dachte er auch. Es würde ein schönes Stück werden.

Schau nicht nach oben handelt von zwei Wissenschaftlern, die zufällig entdecken, dass ein Meteorit auf die Erde zusteuert. Die beiden schlagen über die Medien Alarm, aber zu ihrer großen Überraschung ist das Ergebnis dieser Ankündigung keine totale Panik, sondern ein politisches Spiel, bei dem es darum geht, die öffentliche Meinung zu spielen und so viel Publicity und finanziellen Profit wie möglich zu erzielen. Der Komet wird in einer polarisierenden Medienlandschaft spaltend, wobei die Anti-Kometen gegen die Menschen, die nicht an den Kometen glauben, von Plattformen in beide Richtungen gedrängt werden, die ihre Frustration monetarisieren. Anstatt den Kometen seine Umlaufbahn ändern zu lassen, beschließt der Präsident – ​​​​unter dem Einfluss eines Elon Musk-ähnlichen Tech-Tycoons –, den Himmelskörper in Stücke zu sprengen, um wertvolles Lithium abzubauen.

Lange Rede kurzer Sinn: Der Komet schlägt ein und jeder ist da, um ihn mit seinem Handy zu filmen. Moral der Geschichte: Wir sind durch den Kapitalismus und die daraus resultierenden sozialen Medien so egozentrisch geworden, dass wir keine Krise mehr gemeinsam lösen können. Die ganze Welt ist krank, nichts kann uns retten.

Jonah Hill spielt in „Don’t Look Up“ den Sohn des US-Präsidenten und betrügt ihren Stabschef Jason Orlean.

Und das war der Weihnachtsfilm des Jahres 2021. Und die Manifestation eines breiten Trends. In den letzten Jahren wurde ein antikapitalistischer Blockbuster nach dem anderen veröffentlicht: Das Menü, der weiße Lotus, Glas Zwiebeln und natürlich der Oscar-Nominierte für den besten Film Dreieck der Traurigkeit von Ruben Östlund – ein großer Teil der kinematografischen Hitparade wird derzeit von Filmen und Serien angeführt, die die Zuschauer und das System um sie herum lächerlich machen. Sitzen Sie im Kino oder vor Ihrem Laptop, ein Glas Wein in der Hand oder ein IPA, und beobachten Sie Menschen, die es genauso gut haben wie Sie, auf Kosten anderer? Sollte wirklich anders sein, eh, mit dieser Ungleichheit. Aber ach, der Film ist vorbei.

In Schau nicht nach oben Eine der Wissenschaftlerinnen – Kate Dibiasky, gespielt von Jennifer Lawrence – ärgert sich über die Bitte einer Talkshow, ihre Botschaft etwas gemütlicher zu halten, denn es ist Hauptsendezeit und Kinder schauen zu. Was ist daran lustig, antwortet Kate. „Wir werden alle verdammt noch mal sterben!“ Eine Szene später sitzt sie mit einer Tasche über dem Kopf in einem Taxi: Für ihre Art von Durchsagen ist kein Platz im Fernsehen.

Im Radio habe ich gesagt, wie ironisch das ist: Es ist ein Lachen, so eine Farce, aber in der Praxis gehen wir mit allen Krisen um uns herum mehr oder weniger gleich um. An einem Talkshow-Tisch darf kein Problem länger als 8 Minuten diskutiert werden; alles muss unterhalten, sonst zappeln die zuschauer ab. Schau nicht nach oben ist ein Zerrspiegel: Wir schauen hinein und sehen uns selbst – wenn hier tatsächlich ein Komet einschlagen würde, würden wir nicht viel anders reagieren.

Aber was können wir dagegen tun, fragte einer der Moderatoren gegen Ende des Gesprächs. „Weniger auf unser Handy schauen?“ „Alle Systeme um uns herum sind so verfault“, sagte ich, „die Lösung ist nicht so einfach.“ Der andere Moderator schloss sich an: „Aber im Großen und Ganzen ein netter Film zum Anschauen.“ Ja, sagte ich, ein schöner Film. Artikel beenden.

Theo Faron (Clive Owen) und Kee (Clare-Hope Ashitey) in „Children of Men“.  Bild

Theo Faron (Clive Owen) und Kee (Clare-Hope Ashitey) in „Children of Men“.

Seit diesem Interview fühle ich mich in einer ständigen Wiederholung dieser absurden Szene: Wir sind in die Ära der Systemkritik als Unterhaltung, des Antikapitalismus als kulturelles Erlösmodell eingetreten. Diese Entwicklung begann vermutlich irgendwann um 2006 herum mit dem Erscheinen von Kinder der Menschen – für drei Oscars nominiert. Nicht ein herannahender Meteorit, sondern der kollektive Fruchtbarkeitsverlust wird in diesem Film zur Metapher für die erstickende Realität, die der Neoliberalismus mit sich bringt. „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal Hoffnung hatte“, verkündet die Hauptfigur Theo Faron – gespielt von Clive Owen – zu Beginn des Films, umgeben von einem düsteren, abgespeckten Set; Bladerunner kombiniert mit Die Geschichte der Magd. „Und ich kann mich auch nicht erinnern, wann es jemand anderes getan hat.“

In seinem Buch Kapitalistischer Realismus: Gibt es keine Alternative? Philosoph Mark Fisher bemerkt das Kinder der Menschen als einer der ersten Hollywood-Filme, der keine erfundene Welt erschafft, um eine Dystopie zu erschaffen, sondern eine Variation des aktuellen neoliberalen Status quo darstellt. Kinder der Menschen stellt eine Welt dar, in der, schreibt Fisher, Krisen zugunsten der Gewinnschaffung normalisiert werden; eine Welt, in der die Politik nur dem Namen nach demokratisch ist, aber in Wirklichkeit ein Vehikel einer totalitären Elite ist, die an der Macht bleiben will. Kinder der Menschen veranschaulicht, was Fisher „kapitalistischen Realismus“ nennt: die Idee, dass der Kapitalismus als Ideologie so weit verbreitet ist, dass es unmöglich ist, unsere Lebenswelt anders zu betrachten. Wir können uns das Ende der Welt jetzt besser vorstellen als das Ende des kapitalistischen Systems.

Das Ergebnis dieses kapitalistischen Realismus sind Filme, die unsere eigene konkrete Situation parodieren. Die wirtschaftliche Ungleichheit gerät derzeit so spektakulär aus dem Ruder, dass man nicht viel hinzufügen muss, um ein absurdes Szenario zu entwerfen.

Woody Harrelson (rechts) als Kreuzfahrtkapitän in „Triangle of Sadness“.  Bild

Woody Harrelson (rechts) als Kreuzfahrtkapitän in „Triangle of Sadness“.

In Dreieck der Traurigkeit alles dreht sich um die Vermögensungleichheit, die daraus resultierende Klassenspaltung und vor allem um den Selbstbetrug, mit dem sich die Elite von ihrer Gerechtigkeit überzeugt. Höhepunkt ist die Szene, in der das Schiff untergeht und die reichen Passagiere buchstäblich in ihrer eigenen Kotze treiben: die Oberschicht der Gesellschaft, reduziert auf ihre menschlichste Form. Als das Schiff sinkt, spricht der betrunkene marxistische Kapitän (Woody Harrelson) über die Gegensprechanlage zu ihnen: „Während Sie im Überfluss schwimmen, geht der Rest der Welt in Elend unter.“ Aber der Kapitän selbst ist nicht viel besser als diese reichen Bastarde auf seinem Schiff, sinniert er. „Ich kann kein richtiger Sozialist sein, ich besitze zu viel.

Dieser Kapitän stellt sich den Zuschauer eines Films gewissermaßen vor Dreieck der Traurigkeit, der Zuschauer, der ins Kino gekommen ist, um über die Superreichen zu lachen, inzwischen aber auch das Gefühl hat, selbst nicht viel besser zu sein. Auch ich wünsche mir ein gutes Einkommen, ein gutes Leben, ein Haus zum Kaufen, eine überdurchschnittliche Bildung für alle Kinder. Und ja, es ist alles schrecklich mit dieser Ungleichheit. Aber wenn es um unseren eigenen Wohlstand geht, wer ist bereit, etwas zu opfern, um die Lücke zu schließen?

Ein Film wie Parasit von Bong Joon-ho – über eine arme Familie aus Südkorea, die sich in das Leben einer reichen Familie manövriert – wirkte bei seinem Erscheinen 2019 besonders innovativ. Das liegt im Nachhinein wahrscheinlich daran, dass dieser Film von einem Regisseur gedreht wurde, der sich eigentlich Sorgen um die wachsende wirtschaftliche Ungleichheit in seinem Land macht, und daran, dass der Film außerhalb Hollywoods produziert wurde und damit etwas losgelöst von dem zwingenden Anspruch, möglichst viele Menschen anzusprechen wie möglich. In Bongs Film geht es nicht nur um die Schurken der kapitalistischen Oberschicht, sondern auch darum, wie weit die Menschen gehen werden, um selbst zu dieser Oberschicht zu gehören. Derselbe konfrontative Unterton findet sich beispielsweise auch in der französisch-britisch-belgischen Sprache Entschuldige, wir haben dich vermisst (2019), zu den menschlichen Kosten der kostenlosen Paketzustellung. Die wenigsten Zuschauer werden beim Anschauen des Films nicht an ihr zuletzt bestelltes Paket gedacht haben und ob die 0 Euro Versandkosten tatsächlich normal waren.

Pater Kim Ki-taek (Song Kang-ho, zweiter von links) in „Parasite“ von Bong Joon-ho.  Bild EPA

Pater Kim Ki-taek (Song Kang-ho, zweiter von links) in „Parasite“ von Bong Joon-ho.Bild EPA

Dreieck der Traurigkeit – eine Koproduktion von neun Ländern, darunter Schweden, Deutschland und die Türkei – bewahrt eine ähnliche Integrität wie Parasit Und Entschuldige, wir haben dich vermisst, indem sie die Superreichen nicht nur als Karikatur darstellen, sondern zeigen, wie jeder Charakter, ob reich oder arm, von neoliberaler Egozentrik durchdrungen ist. Von einer der peinlichen Anfangsszenen, in denen sich ein Modelpaar darüber streitet, wer die Rechnung bezahlen soll, bis hin zum „Geld, Geld, Geld!“-Mantra, mit dem sich die Kreuzfahrtschiff-Crew gegen die ausgefallenen Forderungen der Gäste behauptet Board – genau wie in Parasit jeder ist entschlossen, aus dem kapitalistischen Spiel als Sieger hervorzugehen. Und das macht jeden zum Komplizen seiner bizarren Regeln.

Die Produktionen mit antikapitalistischer Botschaft, die an der Peripherie dieser Art von Filmen auftauchen, scheinen jedoch nicht auf eine solche Selbstkritik oder einen Systemwechsel abzuzielen, sondern vor allem darauf, aus einem Gedankengut Kapital zu schlagen derzeit in Mode. Es sind Blockbuster im marxistischen Gewand: Filme, die wirtschaftliche Ungleichheit anprangern, aber auf eine Weise, die vor allem alle ansprechen sollte. Hollywood und die großen Streaming-Dienste haben erkannt, dass es ein Bon-Ton ist, die Wirtschaftselite zu kritisieren. Es produziert Inszenierungen, die unterhaltsam sind, aber auch Kapitalismuskritik platt machen, bis nur noch ein Meme übrig bleibt: ein lustiges Bild, über das man schmunzeln kann, und dann sein Leben weiterleben und genau das System aufrechterhalten, über das wir gerade gelacht haben.

Ein beliebter Film wie Das Menü zeigt zum Beispiel scharf, wie sich eine selbstgefällige Elite kulturelles Fine Dining aneignet. Doch die Parodie auf ein exklusives Sternerestaurant, in dem sowohl Gäste als auch Köche buchstäblich ihren eigenen Ansprüchen erliegen, bleibt im schrillen Durchdringen von Klischees stecken, sodass es nie wirklich kritisch wird. Das gleiche Problem hat Netflix getroffen Glas Zwiebeln, der einen narzisstischen Tech-Unternehmer à la Elon Musk oder Jeff Bezos karikiert. Sehr witzig, aber es kommt nicht viel weiter als darauf hinzuweisen, wie problematisch diese Typen sind.

Margot (Anya Taylor-Joy) in „Das Menü“.  Bild

Margot (Anya Taylor-Joy) in „Das Menü“.

Massensatire ist ein Widerspruch in sich. Einerseits ist es lobenswert, dass Kapitalismuskritik durch solche Filme die breite Öffentlichkeit erreicht. Andererseits betreten wir mit der immer krasseren Parodie auf Ungleichheit eine humorvolle, aber auch gefährliche Landschaft: die Landschaft, in der ernsthafte Probleme so als Status quo hingenommen werden, dass wir darüber lachen müssen. Eine drängende Situation wie das aktuelle Wohlstandsgefälle verlangt nach Produktionen, die den Kulturkonsumenten tatsächlich konfrontieren. Wie die Wissenschaftlerin Kate ausruft Schau nicht nach oben: „Vielleicht sollte es gar nicht gemütlich sein. Vielleicht soll es verdammt beängstigend sein!‘



ttn-de-23

Schreibe einen Kommentar