Und dann reichte es dem VVD plötzlich: Wie die Asylpolitik von Rutte IV fatal wurde

1689049276 Und dann reichte es dem VVD ploetzlich Wie die Asylpolitik


Premierminister Rutte macht ein Foto während eines Arbeitsbesuchs bei Asylbewerbern im Aufnahmezentrum in Ter Apel. Die Asylbewerber werden vorübergehend in einer Filiale des Holland Casinos untergebracht.Bild ANP

Es war ein markanter Moment während des VVD-Kongresses am 3. Juni. Der örtliche Parteivorsitzende Teun Heldens von Peel en Maas brachte die Frustration zum Ausdruck, die unter vielen Liberalen herrscht. „Ich höre die Geschichte, der ich zustimme, seit zehn Jahren, aber wir können den Einwanderungsstrom nicht kontrollieren.“ „Das Problem ist eigentlich nur noch größer geworden.“

Ruth I

Aus liberaler Sicht begann es so vielversprechend. Nach seinem ersten Wahlsieg und seiner ersten Aufstellung versprach Rutte „ein Kabinett, in dem sich die rechten Niederlande die Finger lecken können“. Im Oktober 2010 einigten sich VVD, CDA und Toleranzpartner PVV unter anderem auf die Kriminalisierung von Illegalität und den schnelleren Entzug befristeter Aufenthaltstitel. Bei der Präsentation fasste PVV-Chef Geert Wilders zusammen, was das Kabinett erreichen konnte. „Ein Viertel weniger Asylbewerber, 30 Prozent weniger Familienmigration und ein Rückgang des Zustroms der Zahl nichtwestlicher Einwanderer auf 50 Prozent.“

Der Mann, der das erledigen musste, war Gerd Leers vom CDA. Genau dieser ehemalige Bürgermeister von Maastricht hatte sich in der Vergangenheit negativ über die „Drecksspritze“ von Wilders geäußert. Ein Versöhnungstreffen war notwendig, bevor Leers seine Mission als Minister für Einwanderung und Asyl antreten konnte.

Das Ergebnis ist bekannt. Das Kabinett stürzte im April 2012 aufgrund der sogenannten Catshuis-Krise. Wilders konnte sich nicht damit abfinden, wie die notwendigen Kürzungen Gestalt annehmen würden. Er zog seine Unterstützung für das Toleranzabkommen zurück. Leers sei „der schwächste Minister im Kabinett“, urteilte der PVV-Chef. Seine Bemühungen in Europa, die Einwanderung zu begrenzen, hatten sich als erfolglos erwiesen – so sehr Wilders auch hinter ihm her war.

Ruth II

Im zweiten Rutte-Kabinett wehte ein ganz anderer Wind. Der VVD begann mit der PvdA zusammenzuarbeiten. Tatsächlich ist dies der Keim der Unzufriedenheit, die am Freitag ausgebrochen ist. Der VVD verfügte nun über einen eigenen Staatssekretär für Asylangelegenheiten (zuerst Fred Teeven, später Klaas Dijkhoff), allerdings musste die Partei gegen ihren Willen eine Kinderbegnadigung gewähren und von einem Gesetzentwurf zur Kriminalisierung von Illegalität absehen.

Es folgten zwei Krisen. Im April 2015 einigten sich die Parteien nach schwierigen Diskussionen auf eine neue Aufnahme abgelehnter Asylbewerber. Die Bett-Bad-Brot-Regelung, die der VVD abschaffen wollte, blieb jedoch bestehen. Der Kompromiss bestand darin, dass dies nur in fünf Großstädten (heute bekannt als National Immigration Facilities) umgesetzt wurde.

Später in diesem Jahr folgte der große Zustrom syrischer Flüchtlinge, der im Türkei-Deal gipfelte: Im Gegenzug für finanzielle Unterstützung kümmerten sich die Türken ab 2016 um die Aufnahme der Flüchtlinge, die dort ankamen. Trotz dieser Vereinbarung beantragen bis heute viele Syrer Asyl in den Niederlanden: mehr als 12.000 im vergangenen Jahr. In 96 Prozent der Fälle erhalten sie eine Aufenthaltserlaubnis.

Ruth III

Nach der großen Niederlage der PvdA bei den Wahlen im März 2017 bildete sich in der Formation ein „Motorblock“ aus VVD, CDA und D66 heraus. Für eine Mehrheit musste noch eine weitere Partei hinzukommen. GroenLinks schied zweimal aus. Die Partei sah keinen Sinn in Vereinbarungen mit afrikanischen Ländern nach dem Vorbild des Türkei-Deals. Schließlich trat die Christenunion ein. Asyl und Migration folgten „einem langen Prozess des Schiebens und Ziehens“, sagte damals eine beteiligte Person. Auch hier erreichte der VVD nicht die gewünschte Kriminalisierung der Illegalität.

Im Januar 2019 wollte die CDA noch die neue Kinderbegnadigung, die von der VVD aus dem Koalitionsvertrag gestrichen worden war. Es folgten Verhandlungen. Der VVD stimmte zu und erhielt im Gegenzug die Abschaffung der Ermessensbefugnis des Staatssekretärs – ein häufig genutztes Ventil für abgelehnte Asylbewerber, dennoch eine Aufenthaltserlaubnis zu beantragen.

Im Sommer 2020 kam es zu schwierigen Verhandlungen über die Abholung von Asylbewerbern aus dem vom Feuer zerstörten Lager Moria auf Lesbos. Letztendlich waren es etwa hundert, was der VVD auf Kosten der fünfhundert jährlich eingeladenen UNHCR-Flüchtlinge leisten musste.

Ruth IV

Kein Wunder, dass die Bildung des aktuellen Kabinetts mit denselben Parteien so lange gedauert hat. Und kalt aus den Startlöchern zeichnete sich bereits die erste Krise ab, als Asylbewerber in Ter Apel draußen schlafen mussten. Die Krise konnte durch die Zustimmung des VVD zum Verteilungsgesetz im Gegenzug für die Aussetzung der Familienzusammenführung für sechs Monate abgewendet werden. Mit letzterem machte der Richter kurzen Prozess. Das Schicksal des Verteilungsgesetzes liegt nun in den Händen des Repräsentantenhauses.

Nachdem Rutte acht Monate lang über weitere Maßnahmen gesprochen hatte, ließ er am Freitag zum ersten Mal ein Kabinett zum Thema Migration scheitern. Die nahe Zukunft wird zeigen, ob ein geflügeltes Wort des JA21-Abgeordneten Joost Eerdmans richtig ist: „Der VVD ist alle vier Jahre rechts: kurz vor den Wahlen.“



ttn-de-23

Schreibe einen Kommentar