Überlassen Sie unseren Kapitalmarkt nicht dem Ausland, machen Sie die Niederlande wieder zum Meister ihrer eigenen Börse

Ueberlassen Sie unseren Kapitalmarkt nicht dem Ausland machen Sie die


Skulptur Rhonald Blommestijn

Als ich Anfang der 1980er-Jahre zum ersten Mal in meiner journalistischen Kleidung das Börsenparkett betrat, wurde ich sofort entfernt. „Da ist der Bijenkorf … man kann hier notfalls in Badehose spazieren gehen, aber in einem anständigen Hemd mit Krawatte am Oberkörper“, korrigierte mich der Listing Commissioner, die Händlerpolizei. In meiner Badehose habe ich es an diesem Wintertag nicht probiert. Ich kehrte – hundert Gulden ärmer, aber in einen eleganten Anzug gekleidet – in eine Kakophonie zurück, in der sich alle anzubrüllen schienen.

Als Journalist einer linken Zeitung fühlte ich mich wie jemand von Milieudefensie bei einem Formel-1-Rennen in Zandvoort. Zunächst sahen die Händler den aufgemotzten jungen Mann des Essigboten misstrauisch an. Aber nachdem ich mich ihnen mit einem neugierigen Blick näherte, nach einigem Zögern und einigem Hohn, fanden sie es wunderbar, ihre Arbeit zu erklären. Denn wenn sich selbst fortschrittliche Niederländer für die mysteriöse Welt des Aktienhandels interessierten, mussten sie etwas Nützliches tun.

Die Vorurteile gegenüber der Börse und ihrer jüngeren Schwester-Optionsbörse in der damaligen Beurs van Berlage waren groß. Die Kathedrale des Kapitalismus – schließlich wurde das Gebäude am Beursplein 5 vom Kirchenarchitekten Jos Cuypers entworfen – war eigentlich ein großes Casino. Nur eines, das früh morgens öffnete.

Roulette

Der Handel war wie ein Roulettespiel: Niemand wusste, wohin die Kugel fallen würde. Die Raten wurden durch eine Anhäufung von ermittelt unbekannte Unbekannte, denn wenn diese Männer – es gab kaum Frauen – etwas wüssten, stünden sie nicht hier, sondern auf den Bahamas und nippten an einem Cocktail. Doch im Laufe der Jahre wurde deutlich, dass die Messe auch eine große gesellschaftliche Bedeutung hatte.

Der Aktienmarkt war ein Indikator für das Vertrauen in die Wirtschaft. Und in der Politik. Liz Truss wurde 2022 die britische Premierministerin mit der kürzesten Amtszeit in der Geschichte. Sie musste nach nur 44 Tagen zurücktreten, weil der Kapitalmarkt ihr kein Vertrauen entgegenbrachte. Die Zinsen schossen so schnell in die Höhe, dass ihre Pläne scheiterten.

Der Kapitalmarkt bringt Käufer und Verkäufer zusammen, die nach den niedrigsten Kosten bzw. den höchsten Renditen suchen. Die Börsen spielen dabei eine Schlüsselrolle. Täglich werden dort hunderte Milliarden Aktien und Schuldtitel wie Anleihen gehandelt. Der Kapitalmarkt kann Regierungen bilden und brechen, Länder an den Rand des finanziellen Ruins treiben, Finanzsysteme zusammenbrechen und Unternehmen bankrott machen. Aber wenn sie gut eingestellt sind, können sie auch ein überschwängliches Wachstum generieren, Unternehmen florieren lassen, die Beschäftigung ankurbeln und eine optimale Kapitalallokation vorantreiben.

Transparenz

Weil die Börse Angebot und Nachfrage zusammenführt und Transparenz bietet, gibt sie die Gewissheit, dass Wertpapiere, etwa die Anlagen der Pensionskassen, zum jeweils besten Preis ge- und verkauft werden können. Rentner sind mit ihren Fonds einer der wichtigsten Kapitalgeber. Sie stellen sich gegen Menschen und Institutionen, die Geld brauchen, wie Unternehmen und Regierungen.

Unternehmen können auf die effizienteste und billigste Weise Geld für Investitionen und Wachstum anziehen, Regierungen können sich Geld zu den niedrigsten Zinssätzen leihen, um Straßen zu bauen, Bildung bereitzustellen, Krieg zu führen oder die Not in einer Pandemie zu lindern. Ohne einen Austausch müssten sich Unternehmen und Regierungen bilateral mit Zehntausenden von Kreditgebern beraten, danach wüssten sie noch nicht, ob sie den besten Preis bekommen.

Die Niederlande haben ein Gebäude in Damrak – Adresse: Beursplein 5 – mit dem Namen Amsterdam Stock Exchange. Aber in Wirklichkeit ist es seit der Jahrhundertwende nicht mehr der physische Ort, an dem der eigentliche Handel stattfindet. Der Handel findet auf einem Computerserver statt, der sich seit Juni 2022 im Aruba Global Cloud Data Center in der italienischen Stadt Bergamo befindet. Seit Corona ohne Krawatte und teilweise in Badehose stellen Händler hinter dem eigenen Küchentisch auf Bildschirmen Geld- und Briefkurse, danach werden die Geschäfte in der „Wolke“ abgeschlossen.

Keine Verbindung mit den Niederlanden

Was unter die Aufsicht der De Nederlandsche Bank und der niederländischen Aufsichtsbehörde für die Finanzmärkte (AFM) fällt, könnte als niederländisch bezeichnet werden. Dazu gehören immer mehr Parteien, die wenig oder gar keine Verbindungen zu den Niederlanden haben und nichts zur niederländischen Wirtschaft beitragen. Diese Gesellschaften und Vermögensverwalter sind aus steuerlichen Gründen in den Niederlanden registriert. Oder sie agieren hier, weil die Niederlande für Briten, Amerikaner oder Japaner eine Drehscheibe für den Zugang zum gesamten Euroraum sind, wie Schiphol für den internationalen Luftverkehr.

Das einzig Niederländische an der Euronext in Amsterdam sind die bestehenden Einträge von Unternehmen, die ausdrücklich eine niederländische Geschichte oder Daseinsberechtigung haben. Neue niederländische Unternehmen gehen kaum zur Euronext in Amsterdam. Seit 1945 ist die Zahl niederländischer Unternehmen an der Börse um 75 Prozent gesunken. Als Folge der Kreditkrise im Jahr 2008 ging die führende Position der niederländischen Banken in der Welt verloren. Wer als niederländisches Unternehmen an die Börse gehen will, um Eigenkapital durch Aktienemissionen zu beschaffen, muss dies über eine schweizerische, britische oder amerikanische Bank tun.

ABN Amro und MeesPierson sind kein Schatten mehr dessen, was sie vor der Krise waren. In den Niederlanden gibt es keine große Investmentbank mehr, die die Emission eines ambitionierten Unternehmers garantiert. Eine Börsennotierung ist ein umständlicher Prozess und Banken haben nicht einmal mehr die Expertise dafür. Das Ergebnis ist, dass sich in den Niederlanden 80 Prozent der Unternehmen mit Bankgeld finanzieren und nur 20 Prozent auf dem Markt nach einem Geldgeber suchen. In den USA ist es umgekehrt: 80 Prozent Markt und 20 Prozent Kredit. Das bedeutet, dass Startup-Unternehmen in den USA viel schneller wachsen können.

Durch das Nadelöhr

In den Niederlanden ist das schwierig. Ein vielversprechendes Unternehmen wie der Solarautohersteller Lightyear in Helmond kann kaum Eigenkapital auftreiben. Diese Woche kroch das Unternehmen mit einer Spritze von 8 Millionen Euro durch das Nadelöhr, aber um ein echter Autohersteller zu werden, braucht es noch Hunderte Millionen mehr. Viele ambitionierte niederländische Start-ups entscheiden sich daher für eine Notierung an der britischen oder amerikanischen Börse.

Der überwiegende Teil des Handels an der Euronext Amsterdam kommt von nicht-niederländischen Parteien, während große niederländische Institutionen den Großteil ihres Vermögens grenzüberschreitend investieren. Von den 1.500 Milliarden Euro, die Pensionskassen verwalten, entfallen nicht mehr als 10 Prozent auf niederländische Produkte, insbesondere Staatsanleihen und Immobilien. Von ihrem in Aktien investierten Kapital entfallen nur 3 Prozent auf Aktien niederländischer Unternehmen.

Es schmerzt, dass die Niederlande ihren Kapitalmarkt weitgehend dem Ausland überlassen. Nicht nur Start-ups haben es schwer, Geldgeber zu finden, die sich an den Risiken (durch den Kauf von Anteilen) beteiligen wollen, auch große Unternehmen haben ein Problem.

Investoren von außerhalb der Niederlande sind hauptsächlich an Renditen interessiert, nicht an der langfristigen Zukunft dieser Unternehmen. Oft verhalten sie sich wie Geier. Investoren, die in der Nähe wohnen, messen den Interessen von Mitarbeitern, Kunden und Umwelt tendenziell mehr Gewicht bei.

Taschen voller Geld

Gleichzeitig bietet das, was in den Niederlanden an der Börse notiert ist, kein klares Profil. Euronext Amsterdam ist nicht das Zentrum des IKT-Handels, der Multis, der Biotechnologie oder der Optionen. Es ist höchstens der Ort für die Auflistung von Spacs – Geldbeutel von Anlegern, die noch keinen Bestimmungsort für sie gefunden haben. Kurz nach dem Brexit war Amsterdam noch siegreich, weil große Kapitalströme über die Hauptstadt gehandelt wurden. Der Grund war, dass einige Londoner Handelsplattformen eine Art Briefkasten in Amsterdam eröffnet hatten, weil sie nicht mit Aktien der Eurozone von außerhalb der EU handeln durften.

null Bild Rhonald Blommestijn

Skulptur Rhonald Blommestijn

Euronext Amsterdam tut sich schwer, sich zu profilieren. Es war nie das Liebeskind der Politik und des Establishments in Den Haag. Nach der Kreditkrise verschwand die öffentliche Unterstützung für die Besorgnis über die Lage der niederländischen Börse und des Kapitalmarkts vollständig. Äußerst unbeliebt waren Banken und Börsenmakler, die sich zu Zeiten, als die Niederlande in der Welt des großen Geldes noch eine Rolle spielten, riesige Boni zugesprochen hatten. Damit ist die Nutzenfunktion der Börse – das Bindeglied zwischen Kapitalgeber und Schuldner – in die Gefahrenzone geraten.

Die Höhen und Tiefen der Euronext Amsterdam interessieren nicht einmal die Parteien, die sie nutzen. Nach der Fusion mit den Börsen von Paris und Brüssel im Jahr 2000 zeigten niederländische Großanleger wenig Interesse an der Zeichnung von Euronext-Aktien. Auch im Vorstand von Euronext sind die Niederlande unterrepräsentiert. Nachdem Milan 2021 der paneuropäischen Austauschgruppe beigetreten ist, ist der Vorstand zu einem französisch-italienischen Treffen geworden.

Dies steht im Gegensatz zu früheren Vereinbarungen aus dem Jahr 2016 zur Lizenzierung – der sogenannten Börsenanerkennung – durch das Finanzministerium. Den Niederlanden wurde der Posten des COO (Operational Director), des zweiten Mannes im Börsenvorstand, zugesagt. Aber ein Jahr später war damit schon Schluss. Sieben Jahre später sitzt nur noch ein Niederländer im zehnköpfigen Vorstand und hat kein konkretes Ressort. Das widerspricht den Vereinbarungen. Seit der Gründung der Euronext im Jahr 2000 ist Paris am Ball.

Pionier

Amsterdam hat eine Geschichte als Pionier der Finanzinnovation. Die erste offizielle Börse wurde in dieser Stadt 1606 gegründet, mit der VOC als erstem Fonds. Im vergangenen halben Jahrhundert war Amsterdam regelmäßig führend bei der Einführung neuer Produkte wie Optionen auf Aktien und vieler anderer derivativer Produkte, sogenannter Derivate.

Jetzt scheint der Aktienmarkt zu schmachten und die Kontrolle über den Kapitalmarkt in fremde Hände zu fallen. Die Niederlande sollten das berücksichtigen. Nationale Organisationen (das Finanzministerium, VNO-NCW, De Nederlandsche Bank) sollten ein beratendes Gremium mit Euronext Amsterdam, Investorenorganisationen wie VEB (Privatanleger), Eumedion (institutionelle Investoren) und VEUO (börsennotierte Fonds) haben, um zusammenzuarbeiten und zur Wahrung von Interessen. Gemeinsam könnten sie dafür sorgen, dass das historische Potenzial Amsterdams auch ihren eigenen Unternehmen zugute kommt. Dafür müssen politische Spielräume, Kapazitäten und Budgets zur Verfügung gestellt werden.

Für KLM wird eine Lanze von Politikern im französischen Bündnis gebrochen. Nicht für die Börse. Die Niederlande müssen verhindern, dass es in fünfzig Jahren nicht mehr genug niederländische Unternehmen gibt, um ihren eigenen AEX-Index zu füllen, während eine Börsennotierung in den Niederlanden Unternehmen wie Unilever, Shell, Heineken, Ahold und am Ende des Jahres geholfen hat im letzten Jahrhundert, ASML zu multinationalen Unternehmen wachsen.

Die Niederlande haben Potenzial: ein gutes Geschäftsklima, reichlich verfügbares institutionelles Kapital – vor allem dank der Rentengiganten – und waren schon immer stark international ausgerichtet. Jetzt, da der Trend zur Deglobalisierung geht und sich auch die Aktienmärkte stärker auf die eigenen nationalen Märkte konzentrieren, wird die Nutzenfunktion der eigenen Finanzinfrastruktur immer wichtiger. Gleichzeitig muss der Kapitalmarkt Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Alterung finanzieren. Ein eigener starker Kapitalmarkt dient viel eher der eigenen Wirtschaft und Gesellschaft. Jetzt geht es darum, wer die Kontrolle hat, nicht um die Krawatte.

Dieser Aufsatz ist eine Zusammenfassung des Epilogs des neuen Buches Das Geheimnis von Beursplein 5Peter de Waard, Verleger Balans.



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