„Technologie liegt in unserer Natur“, sagt Sifan Hassan. Sie meint, dass es in der Natur des Menschen liegt, immer nach Verbesserungen zu suchen. Zum Beispiel auf immer schnellere Laufschuhe. Eine Suche, von der sie in den letzten Jahren auch profitiert hat. Aber gilt das noch? Läuft der Dutch Sunday in Chicago immer noch mit dem schnellsten verfügbaren Modell?
Der Nike Vaporfly, den Hassan trägt, war jahrelang der Goldstandard für schnelle Marathonzeiten. Doch dieser Status steht seit zwei Wochen in der Kritik. Bei ihrem dritten Marathon in Berlin kam Tigist Assefa dann mit 2:11,53 ins Ziel, verbesserte ihre persönliche Bestzeit um fast vier Minuten und übertraf den Weltrekord von Brigid Kosgei: 2:14,04. Zu Füßen des Äthiopiers: ein Satz Adidas Adizero Adios Pro Evo 1.
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Erik van Lakerveld schreibt seit 2016 über olympische Sportarten wie Eislaufen, Leichtathletik und Rudern.
Für Hassan ist es keine Option, diese Adidas-Schuhe zu testen oder eine Schachtel zu kaufen. Der hohe Preis, der bei 500 Euro pro Paar liegt und nur einen Marathon aushält, ist nicht das Problem. Sie wird von Nike gesponsert und darf vertraglich nichts anderes tragen. Nach 2017 war das die beste Wahl. Dann revolutionierte der amerikanische Schuhhersteller das Gehen. Dank Sohlen mit von Schaumgummi umgebenen Kohlefaserplatten waren Sportler auf den Nike Vaporflys um Minuten schneller unterwegs.
Vertraute Schuhe
Wird die Frau, die in diesem Frühjahr die Welt mit ihrem Sieg in London überraschte, wegen des veränderten Status von Nike nervös? Überhaupt nicht, sagt sie wenige Tage vor dem zweiten Marathon ihrer Karriere. Sie verlässt sich auf ihre alten, bewährten Schuhe und glaubt nicht, dass sie gegen die Frauen verlieren wird, die in Adidas-Schuhen laufen. „Bisher ist Assefa der Einzige, der mit diesen Schuhen viel schneller gefahren ist.“
Hassan verweist auf die Kenianerin Sheila Chepkirui, die in Berlin Zweite wurde, aber nicht annähernd so schnell lief wie die neue Weltrekordhalterin. Chepkirui erreichte eine Zeit von 2:17:49. Eine gute Zeit, aber deutlich über dem alten Weltrekord.
Laut Wouter Hoogkamer ist das deutlich zu erkennen. Er ist Sportwissenschaftler an der University of Massachusetts und forscht unter anderem im Auftrag von Puma an sogenannten „Superschuhen“. „Jetzt läuft jemand sehr schnell mit einem bestimmten Schuh, aber das heißt nicht, dass es am Schuh liegt.“
Es ist wichtig zu wissen, dass der Nutzen, den ein Schuh bieten kann, von Person zu Person unterschiedlich sein kann. Vielleicht reagiert Assefa besser auf die neue Erfindung als Chepkirui. Und was es für Hassan bedeuten könnte, bleibt unklar.
Energie sparen
Eine Studie von Adidas hat gezeigt, dass es große Unterschiede in der Energieeinsparung eines Schuhs gibt. Manchmal unterschied sich die Wirkung von Superschuhen bei einzelnen Sportlern um 10 Prozent. Manchen Läufern ging es sogar in altmodischen Laufschuhen am besten. Laut Hoogkamer sei diese Forschung jedoch fehlerhaft, die Unterschiede seien tatsächlich geringer, argumentiert er. „Manchmal spart ein Schuh 2 Prozent, manchmal 4 Prozent an Energieeinsparungen“, sagt Hoogkamer. Es könnte genauso gut 42.195 Meter in Minuten zurücklegen.
Hoogkamer hält es nicht für unfair, dass einer mehr von neuen Schuhen profitiert als ein anderer. Der Sport erstickt an dieser Art von Unehrlichkeit. Der eine Sportler profitiert mehr von einem Höhenpraktikum als der andere, hat mehr Muskelmasse oder Kraft. „Dazu gehört auch, wie jemand auf einen Schuh reagiert.“
Adidas zeigt das Gewicht bei der Werbung für seinen neuen Schuh. Das sind etwa 50 Gramm weniger als bei der Konkurrenz. Untersuchungen haben gezeigt, dass 100 Gramm weniger Gewicht zu einer Energieeinsparung von 1 Prozent führen. Bei den Adizeros wären es demnach 0,5 Prozent. „Das ist so gering, dass wir es in unseren Studien meist nicht ermitteln können.“
Hoogkamer glaubt nicht, dass nur der Schuh Assefa zum Weltrekord verholfen hat. Und wenn Adidas beim Testen gemerkt hätte, dass dies ein Game Changer sein würde, hätten sie uns das zweifellos mitgeteilt. „Dann hätten sie sich vorher selbst auf die Schulter geklopft.“
Cocktail
Höchstwahrscheinlich kam beim Berlin-Marathon alles zusammen. Sie ist ein Top-Talent, hatte einen guten Tag, reagiert gut auf die Adidas Adizeros und profitierte von guten Hasen und einem perfekten Kurs. „Ein außergewöhnlicher Athlet an einem außergewöhnlichen Tag.“
Hassan gefällt, dass alle Hersteller nach neuen Geräten suchen, um Schuhe innerhalb der geltenden Regeln schneller herzustellen. „Es ist gut, jedes Mal etwas Neues auszuprobieren“, sagt sie. „Um zu untersuchen, was möglich ist.“
Sollten die teuren Adizeros unerwarteterweise mehr Athleten Zeit sparen, ist Hassan zuversichtlich, dass ihr Sponsor eine Lösung finden wird. In den letzten Jahren haben auch andere Hersteller die Lücke zu Nike geschlossen.
Hoogkamer versteht, dass Hassan sich keine Sorgen um die Schuhe macht. Abgesehen von diesem einen Rennen von Assefa sind keine größeren Auswirkungen der neuesten Adidas-Erfindung erkennbar. Und im Grunde unterscheidet sich auch die Technik des Schuhs nicht grundlegend: Auch hier übernimmt die Kombination aus Kohlefaser und Schaumgummi die Schwerstarbeit. „Ich denke, die Unterschiede sind gering.“ Es kommt darauf an, wie gut ein Athlet ist.“
Aber letztlich ist nichts sicher, weiß Hoogkamer. Der Beweis einer neuen Schuhrevolution könnte sich bei den Wettbewerben der kommenden Monate zeigen. „Vielleicht muss ich meine Worte später essen.“ Und wenn Hassan bei den Spielen Vierter wird, hinter drei Läufern auf Adidas, ist sie vielleicht auch anderer Meinung als jetzt.“