Totgeborene, Krebs: Dutzende Frauen verklagen den Chemiekonzern DuPont

Totgeborene Krebs Dutzende Frauen verklagen den Chemiekonzern DuPont


Romy Hardon (links) mit ihrer Anwältin Daphne van Doorn (rechts) vor dem Gericht in Dordrecht.Bild Raymond Rutting / Volkskrant

Der Prozess läuft seit mehr als sechs Stunden, als sich Romy Hardon (62) an den Richter wendet. Im Gegensatz zu den oft emotionalen Geschichten ihrer ehemaligen Kollegen spricht Hardon bescheiden und ohne sichtbare Emotionen über ihre Fehlgeburt. „Wesley war ein sehr schönes Kind. Ich habe es mir angesehen, sie haben es genommen und ich habe es nie wieder gesehen. Seitdem hatte ich keine sorgenfreie Schwangerschaft mehr.“

Hardon ist einer von fünfzehn ehemaligen Mitarbeitern, die gegen den amerikanischen Chemiekonzern Dupont vor Gericht ziehen. Zwischen 1964 und 2006 produzierte das Unternehmen Lycra-Garn, eine elastische Kunstfaser, aus der allerlei Kleidungsstücke wie Strümpfe, Dessous oder Radlerhosen hergestellt werden. Doch die Herstellung der Garne entpuppte sich als weniger harmlos. 2016 entdeckt Eines heute dass Dutzende Fabrikarbeiterinnen ernsthafte gesundheitliche Probleme hatten. Sie hatten Totgeburten, Fehlgeburten, Gebärmutterhalskrebs oder Kinder mit Anomalien. Ursache soll ein im Herstellungsprozess verwendetes giftiges Lösungsmittel DMAc sein. Verbraucher kommen damit kaum in Berührung, für Fabrikmitarbeiter sieht das anders aus. Der Wirkstoff wird schnell über die Atemwege und die Haut aufgenommen und kann in der Folge die Fortpflanzung beeinträchtigen.

Falsche Sicherheit

Am Montag musste sich der Chemiekonzern erstmals vor Gericht verantworten. Dort trafen die ehemaligen Mitarbeiter auf hartnäckige Anwälte und Unternehmensvertreter. Während das Unternehmen anerkennt, dass die Substanz schädlich ist, haben die Mitarbeiter zu geringe Mengen eingenommen, um Schaden anzurichten. Mitarbeiter hätten sich beispielsweise nur mit eingeatmeten DMAc-Dämpfen auseinandersetzen müssen, hätten die Substanz aber nicht mit der Haut berührt. „Es ist sachlich falsch, dass flüssiges DMAc im Spiel war.“

Das Unternehmen soll regelmäßig Luftmessungen durchgeführt und Urinproben untersucht haben. Darüber hinaus behauptet DuPont, strukturelle Informationen über die Arbeit mit gefährlichen Stoffen bereitgestellt zu haben. Außerdem sei die Fabrikarbeit nur „einer der Faktoren“, die zu den gesundheitlichen Schäden der ehemaligen Mitarbeiter beigetragen hätten. Es lehnt daher jegliche Haftung ab.

Diese Verteidigung stößt auf einige Skepsis. Simone (59, will ihren vollen Namen wegen ihres jetzigen Jobs nicht in der Zeitung nennen) kam 1988 ins Unternehmen und erlitt kurz darauf eine Fehlgeburt. Sie hält ein Foto ihrer totgeborenen Zwillinge hoch. „Habe ich mich in der Fabrik jemals unsicher gefühlt? Neu. Wurde ich über die Folgen dieser Droge aufgeklärt? Nein, definitiv nicht. Sonst hätte ich dort nie gearbeitet. Es war ein falsches Sicherheitsgefühl, und dafür gebe ich DuPont die Schuld.“

Auch die Behauptung von DuPont, das Personal sei niemals über die Haut mit dem Lösungsmittel in Berührung gekommen, wird in Frage gestellt. Nicht nur von dem Wissenschaftler, den die ehemaligen Mitarbeiter mitgebracht haben, sondern auch von dem flämischen Experten, der in das Chemieunternehmen selbst eingeflogen ist. Beide räumen ein, dass flüssiges DMAc beteiligt war. Jahrzehnte später ist es schwieriger zu rekonstruieren, inwieweit dies den Mitarbeitern geschadet hat.

Unverantwortlich

Offen bleibt die Frage, warum das Unternehmen überhaupt junge Frauen mit Kinderwunsch in der Fabrik arbeiten ließ. Laut a. wurden seit den 1960er Jahren Bedenken über die schädlichen Wirkungen von DMAc geäußert Historischer Überblick des RIVM. Ab den 1980er Jahren häuften sich die Beweise immer schneller, sagt der emeritierte Professor für Toxikologie Martin van den Berg (Universität Utrecht), der nicht in den Rechtsstreit verwickelt ist. „Damals war völlig klar, dass es für Schwangere oder Frauen, die es werden wollen, gefährlich ist. Mit diesen Stoffen ohne Mund- und Hautschutz zu arbeiten, ist unverantwortlich, das wusste man damals schon, das geht sogar aus Studien von DuPont selbst hervor.“

In den kommenden Wochen wird der Richter beurteilen, ob DuPont seiner Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeitern nachgekommen ist. Aber selbst wenn das Unternehmen fahrlässig gehandelt hat, müssen die Frauen nach wie vor beweisen, dass ihre Fehlgeburt durch die Fabrikarbeit verursacht wurde, so das Unternehmen. „Die Kläger müssen jeweils einzeln nachweisen, dass sie einer schädlichen Menge ausgesetzt waren.“

eisige Stille

Dieser Rechtsstreit ist für die anwesenden ehemaligen Mitarbeiter schwierig. Victor de la Fosse (62) steht mit verhaltener Wut an der Kanzel. Seine Frau Jane (60) wollte gerade von ihren beiden Fehlgeburten erzählen, brach aber in Tränen aus. De La Fosse: „Meine Frau hat sich für die Fehlgeburten entschuldigt. Sie sagte: „Ich kann dich nicht glücklich machen“. Das schneidet dir durch die Seele. Sie sagen, Sie kümmern sich um uns, aber die Anwälte führen hier einen semantischen Kampf um die Korrelation. Gibt es nicht ein Fünkchen Menschlichkeit, das sagt: Wir sind ein Multi-Milliarden-Dollar-Unternehmen, wir rechnen ab? Oder sagt DuPont: Wir haben so viele Ressourcen, wir haben so einen langen Atem, wir machen eine Dose renommierter Anwälte auf? Geld ist mir egal. Es geht darum, deine Rolle zu erkennen.“

Zu solchen Gesten war der Chemiekonzern noch nicht sehr geneigt. Der niederländische CEO von DuPont, Maarten Verburg: „Wir versuchen, alle Fakten so gut wie möglich zusammenzubringen. Sie bringen Ihre Erfahrungen mit, wir kommen mit kalten Informationen, Fakten aus alten Akten. Aber leider haben wir keine mehr. Die Fabrik in Dordrecht wurde leider 2004 verkauft und 2006 stillgelegt und abgerissen. Und wir haben kein vollständiges Archiv. Es fehlt einfach an Informationen.“

Die darauffolgende eisige Stille, in der viele ehemalige Mitarbeiter direkt zu Boden blickten, wurde vom Richter unterbrochen. An die Opfer: „Ich verstehe, dass es für Sie schwierig ist, dieses Rechtsgerangel zu hören. Ich habe ein Auge für die Trauer, und ich denke, DuPont auch.“

Unter Mitarbeit von Tonie Mudde



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