Die Madras-Tagebücher
Lange Leidsedwarsstraat 37-41
Amsterdam themedrasdiaries.nl
Ziffer: 8
Südindisches Restaurant. Riesige Speisekarte mit Dutzenden von Vorspeisen, Hauptgerichten, Snacks, Desserts und Getränken. Sehr gut geeignet für Vegetarier. Montags geschlossen.
Über Schraalhans kann man viel sagen, aber nicht, dass er kein handlicher Junge wäre. Das cucina povera oder Arme-Leute-Küche, wie sie in allerlei Knappheitssituationen entstand, trumpft mit Tricks und Techniken auf, aus dem Nichts etwas zu machen – und manchmal erstaunlich viel Köstliches aus dem „Etwas“. In Süditalien, wo der Begriff geprägt wurde, findet man unzählige Nudelformen und altbackene Brotgerichte mit einer Auswahl an ebenso einfachen wie wirkungsvollen Saucen. In Südindien, wie Italien weitestgehend jenseits der Armut, finden wir bescheidene, pflanzliche Grundzutaten wie Reis, Bohnen, Erbsen und Linsen in Hunderten von Formen. Spannung und Geschmack werden durch konzentrierte Gewürze wie Chutneys, Pickles und pikante Suppen und manchmal etwas Fleisch, Fisch oder Ei hinzugefügt. Peperoni, berauschende Gewürze, Rinse-Tamarinde und funky Asafoetida (Teufelsmist, siehe Kasten) verleihen einer Küche, die sowohl interessant als auch unendlich belebend ist, spritzige Farbe, Aroma und Tiefe. Masala Dosa, ein riesiger, obszön knuspriger Reis-Linsen-Crêpe, gefüllt mit würzigem Kartoffelpüree und mindestens dreierlei Chutney an der Seite, ist wahrscheinlich das fröhlichste Gericht, das ich kenne; genauso geeignet für einen sengenden Nachmittag, an dem ein Sonnenstich droht, wie für einen Apriltag, an dem es leider plötzlich zu schneien begonnen hat.
Unbekannt
Doch diese ansteckende Küche ist hierzulande noch nahezu unbekannt. Als Indien Mitte des letzten Jahrhunderts die Unabhängigkeit von England erlangte, flohen vor allem Menschen aus den nördlichen Provinzen wie Punjab, Rajastan und Bengalen nach Europa. Was hier oft als „indisch“ bezeichnet wird, ist also nur eine eingeschränkte Repräsentation der Küche des weiten Landes: deftige, schwere Eintöpfe, großzügige Verwendung von Milch- und anderen tierischen Produkten, vieles aus dem Tandoor-Ofen, dazu Brote und Longdrinks -Korn-Basmatireis als Hauptstärkequelle. Das Amsterdamer Restaurant The Madras Diaries serviert als eines der wenigen in den Niederlanden Küche von der Spitze der indischen Halbinsel: den südlichen Provinzen Kerala, Tamil Nadu, Andhra Pradesh und Karnataka. Madras ist der alte Name des heutigen Chennai, einer Stadt, in der (als sechstgrößte Indiens) fast sechs Millionen Menschen leben.
Das Restaurant befindet sich im Herzen des heruntergekommenen Touristengribus hinter dem Leidseplein, direkt über Lil‘ Kleines Partycafé (keine Sorge, es öffnet erst um 23 Uhr). Oben an der Treppe erwartet uns ein ziemlich großer, U-förmiger Speisesaal, den Kellner betreten. Aus den Lautsprechern erklingt laute Musik, die im Laufe des Abends von quälender Filmmusik über Punjabi-Rock bis hin zum äußerst tanzbaren tamilischen Musikstil avanciert – da kann Kleine unten noch einen drauflegen Punkt ansaugen.
Die Speisekarte ist ziemlich einschüchternd groß und völlig unübersichtlich, also beschränken wir uns zunächst auf das nette Getränkeangebot. Auf der alkoholischen Seite gibt es mehrere Gin Tonics zu bestellen (lange bevor es zu einem allgegenwärtigen Hip-Getränk wurde, war es das malariaabweisende Muntermacher der britischen Kolonialarmee), einige Cocktails und Weine, indisches Cobra-Bier und Heineken aus dem Wasserhahn. Aber wir sind besonders fasziniert von der großen Liste hausgemachter alkoholfreier Getränke: sowohl salzig als auch süß Limetten-Limonaden (Sprudelwasser) und Lassis (Joghurtdrinks), frisch-würziges Ingwer-Soda mit grünem Pfeffer und Minze, ein schwefelhaltiges Kreuzkümmel-Getränk und blumige, leuchtend rosa Rosenmilch.
Snacks und Gerichte
Wir beschließen, die Karte kreuz und quer zu durchqueren und beginnen mit ein paar Tiffin, Snacks, die zwischen einem Snack und einer Mahlzeit sitzen und oft ein Frühstück oder ein leichtes Mittagessen im sengenden Süden bilden. Die bekanntesten sind Idli (gedämpfte Reiskuchen, 7,50 €), das bereits erwähnte knusprige Dosa Masala (8 €), Uthappam (ein dickeres, wolligeres Dosa, 7,50 €) und Vada, frittierte herzhafte Donuts aus Hülsenfruchtmehl, die in In den Niederlanden durch die surinamischen Hindustani sind sie besser als Bara bekannt. Dazu kommen allerlei Gemüsekrapfen, die knusprig und sehr heiß auf den Tisch kommen. Die Gerichte werden alle mit reichlich Gewürzen serviert: Dal (milde Spaltlinsensuppe) und Sambhar (würzige Hülsenfrucht-Gemüsesuppe mit Koriander und Tamarinde), verschiedenen hervorragenden Dips wie Kokos- und Tomaten-Chutney und Schießpulver (kein Pulver, sondern ein Art trockener, körniger, säuerlich scharfer Tamarinden-Paprika-Dip). Am Wochenende bietet Madras Diaries auch eine Reihe umfangreicher und verlockend aussehender Thali an: vegetarische oder nicht-vegetarische Kombinationsgerichte mit allerlei kleinen Gerichten, die um Reis herum serviert werden. Der Eierbraten (€ 7,-) sind hartgekochte Eier, überzogen mit einer sehr duftenden und auch recht würzigen Soße, mit viel süßer Zwiebel und warmen Gewürzen wie Piment, Nelken und Zimt. Begeistert sind wir auch von dem relativ trockenen, aber zarten und auch sehr scharfen Lamm-Curry aus der Stadt Usilampatti (usilampatti kari chukka, 14 €).
Wo im Norden Indiens Langkornreis verwendet wird, isst man im Süden den superkurzen, eiförmigen Reis. Jeeraga-Samba etwa ein Drittel der Länge eines Basmatikorns, hat einen ziemlich neutralen Geschmack und einen relativ hohen Stärkegehalt. Dies ist auch der Reis, der hier im Biryani nach Kongu-Art (17 €) auf der Speisekarte mit Huhn, Ei, frischer Minze, Koriander und grünem Pfeffer verwendet wird. Der Reis ist lecker, aber es ist kaum Hähnchen drin, die frischen Kräuter wurden vergessen, und weil das Gericht mit Ghee getränkt und mit Röstzwiebeln belegt ist, ist das Ganze etwas umständlich.
Als Nachtisch wählen wir die Karottenhalva (7€), eine fast mandelpastenartige Delikatesse aus geriebenen Karotten mit Kardamom und gerösteten Cashewnüssen, confiert in süßer Milch. Malai Kulfi (4 €) ist indisches Eis aus reduzierter Milch, das am Stiel serviert wird. Kaffee ist ein wesentlicher Bestandteil der Mahlzeit in Südindien, und The Madras Diaries serviert traditionellen indischen Filterkaffee. Dazu wird zunächst ein sehr starker Kaffee mit Chicorée aufgegossen, der dann mit kochender süßer Milch vermischt und in eine traditionelle Metalltasse mit Untertasse mit hohem Rand (Dabarah) serviert. Beim Servieren wird der Kaffee mehrmals zwischen Tasse und Untertasse hin und her gegossen, um ihn abzukühlen und das Getränk zum Schäumen zu bringen. Festlich!
Kurz gesagt, The Madras Diaries ist ein großartiger Ort, um die südindische Küche kennenzulernen.
Teufelskot
Als ich kürzlich mit Paulami Joshi, der Autorin der sehr interessanten und vollständigen Bibel der indischen Küche, indische Reiscrepes mit grünem Kokosnuss-Chunkney zubereitete, reichte sie mir einen kleinen kanariengelben Lieferwagen in ihre Küche. „Schnupper mal“, sagte sie, „aber keine Sorge: Es riecht nach Fürzen.“ Asafoetida oder hung heißt auf Niederländisch nicht umsonst Teufelsmist: Das stinkende Zeug wird aus dem Harz einer Doldengewächse, Familie der Engelwurz und Bärenklau, hergestellt. Es ist ein Geschmacksverstärker in Currys und Eintöpfen und verleiht Gerichten mit Hülsenfrüchten Herzlichkeit und Tiefe, indem es einen zarten Geschmack annimmt, der an Röstzwiebeln und Knoblauch erinnert; eine perfekte ‚Hintergrundschicht‘ für andere Gewürze wie Kreuzkümmel, getrocknete Paprika, Curryblätter, Senfkörner und so weiter. Außerdem würde es laut ayurvedischer Gesundheitstheorie trotz des Geruchs, wenn man es unverarbeitet riecht, eigentlich Blähungen verhindern.