Es ist mit Wachsfiguren wie mit Zuversicht: Sie kommen zu Fuß und gehen zu Pferd. Zwischen dem Moment, in dem Annemiek Dolfin, Marketingleiterin bei Madame Tussauds, mit dem Gedanken spielt, erstmals einen neuen niederländischen Promi zu verewigen, und dem Moment, in dem das Bild tatsächlich enthüllt wird, liegt mindestens ein Jahr – monatelange Beratung, Publikumsbefragungen und Posing-Sessions. Doch als Sänger Marco Borsato an einem Donnerstag während der Ausstrahlung regelwidriges Verhalten vorgeworfen wurde VerärgertSeine Wachsfigur war bereits am Freitag verschwunden.
Tatsächlich waren sie bei Madame Tussauds nie so empfänglich für Druck von außen. Denn in der Cancel-Kultur verhalten sich Diskussionen oft wie ein Feuerwerk: viel Aufhebens, viel Krach, aber auch schnell ausgelöscht. So werden zum Beispiel das Bild von Michael Jackson wieder so viele Selfies gemacht wie für jenen Dokumentarfilm von 2019, in dem ihm Pädophilie vorgeworfen wurde. Außerdem glauben sie im Museum in Amsterdam, dass die Öffentlichkeit entscheiden sollte, wer in den Galerien ausgestellt wird, nicht die Missionare des guten Anstands.
Doch Dolfin, der das Team leitet, das entscheidet, welche Statuen wo ins Museum kommen, bemerkt, dass der Statuen-Sturm, der in den letzten Jahren weltweit wütete, nun auch in Wachsmuseen durch alle möglichen Ecken und Winkel weht. „Besonders in den letzten zwei Jahren ist es schlimmer geworden“, sagt sie.
Die Ernte der letzten Monate: Donald Trump, der aus der Sammlung eines amerikanischen Wachsfigurenkabinetts verschwand, weil er ständig zerkratzt und gelocht wurde. Das Auge von Wladimir Putin drückte sich in einem römischen Museum aus. Derselbe Putin, der in Paris präventiv ausgesondert wurde. Und natürlich Marco Borsato und Rapper Lil‘ Kleine, die beide in Amsterdam vom Platz mussten.
Das sind unangenehme Momente, sagt Dolfin. Sie wollen nicht zu schnell mit der Zeit gehen. Auch weil die Herstellung einer Wachsfigur etwa zweihunderttausend Euro kostet, gibt es ein Budget für nur sechs neue Statuen pro Jahr. Gleichzeitig will das Museum nicht riskieren, selbst Gegenstand eines Mediensturms zu werden. „Wir mussten schnell reagieren, besonders bei Marco“, sagt Dolfin. „Wir haben uns dann gesagt: Leute, wir stellen es auf vorübergehende Wartung.“
Ihr Reporter dieses Artikels (Hallo, ich habe mich an dieser Stelle nie richtig vorgestellt. Ich bin Jarl van der Ploeg, war bis vor kurzem Italien-Korrespondent und darf diese Kolumne in den kommenden Monaten schreiben) kennt sich aus seiner früheren Position aus dass die Annullierung von Statuen etwas aller Zeiten ist. Im alten Rom wurde nach dem Tod verhasster Kaiser wie Nero eine damnatio memoriae ausgesprochen, ein Fluch der Erinnerung, was bedeutete, dass ihre Namen aus den Archiven gelöscht und ihre Statuen von ihren Sockeln entfernt werden mussten.
Ein noch illustrer Statuensturm fand nach dem Konzil von Trient im 16. Jahrhundert statt, als die versammelten Kardinalsherren entschieden, dass dargestellte Nacktheit fortan gegen die guten katholischen Sitten verstieß, wonach alle gemeißelten Genitalien durch Feigenblätter ersetzt werden mussten. Der Überlieferung nach befindet sich irgendwo tief in den Tiefen der Vatikanstadt noch eine Truhe voller kastrierter Hähne aus Carrara-Marmor.
Ich denke an diesen Sarg, als ich Dolfin frage, was das euphemistische „in Wartung“ von Marco Borsato bedeutet, und sie antwortet, dass Wachsfiguren selten zerstört werden, aber nachdem sie aus dem Museum entfernt wurden, werden sie fast standardmäßig in einen Schuppen gebracht, in dem die Leichen aufbewahrt werden Leichensäcke und die sehr empfindlichen Köpfe und Hände werden in Kisten gesteckt.
Das bedeutet, dass es irgendwo in den Niederlanden einen Raum voller Kisten gibt, in dem die Köpfe von Lil‘ Kleine, Ali und Marco B. derzeit auf Rehabilitierung, ein Comeback oder eine zweite Chance warten. Ein Fegefeuer der Abbruchkultur, wenn man so will, mitten im Land.
Es muss toll sein, in diesem Aktenschrank vergangener Berühmtheit herumzustöbern, diesem Friedhof vergangener Berühmtheit, dessen Standort Madame Tussauds leider geheim hält, weil Weltstars ihre körperlosen Köpfe lieber nicht von Journalisten fotografieren lassen würden de Volkskrant†
Der Raum ist gefüllt mit Köpfen von Prominenten, die für ein zunehmend internationales Publikum nicht mehr interessant genug sind, wie Epke Zonderland, Jan Peter Balkenende, Pim Fortuyn, Jim, Jamai und Michiel de Ruyter. Leider liegt Hugo de Groot nicht in einem Sarg – was eine verpasste Gelegenheit ist – genauso wenig wie Mark Rutte, sagt Dolfin, weil er nie die Erlaubnis zur Herstellung einer Wachsfigur gegeben hat.
Vielleicht war das ein genialer Schachzug des fast dienstältesten Premierministers der Niederlande. Schließlich wurde nie verewigt nie abgesagt.