Eine sympathische Idee. Aber es wird weder funktionieren noch helfen. So charakterisieren Experten den Vorschlag der SP, den niederländischen Energiesektor zu verstaatlichen. Laut dieser Partei ist es jetzt an der Zeit, die gescheiterte Privatisierung des niederländischen Energiesektors rückgängig zu machen und Energieunternehmen zu verstaatlichen.
SP-Chefin Lilian Marijnissen nannte es diese Woche unmoralisch, dass die Niederlande 23,5 Milliarden Euro an „Energiekonzerne mit großen Gewinnen überweisen, ohne dass wir als Gesellschaft im Gegenzug etwas zu sagen hätten“. Liegen die Marktfundamentalisten aus dem Kabinett, wie Marijnissen sie nennt, falsch? Wäre die niederländische Energieversorgung besser dran, wenn sie wieder in staatlicher Hand wäre? Was kostet es? Und was bringt es?
„Wir haben es hier nicht mit den Exzessen der Marktkräfte zu tun, sondern mit den Exzessen der Knappheit. Es fehlt einfach weltweit an Gas“, sagt der Groninger Professor für Energiewirtschaft Machiel Mulder. „Das wird nicht verschwinden, wenn diese Unternehmen verstaatlicht sind.“
Ein nachvollziehbarer Reflex, nennt Energieberater und Nahost-Experte Cyril Widdershoven die Idee. „Aber die Verstaatlichung auf der Nachfrageseite hat keinen Einfluss auf das Angebot. Mit anderen Worten: Der Gaspreis bleibt einfach hoch.“
Große Teile des Energiesektors seien immer noch in staatlicher Hand, sagt Mulder. Wie die Netzbetreiber und Gasunie. Nur die Produktion ist nicht mehr, was aber auch nicht ganz richtig ist, denn Vattenfall ist ein Staatsunternehmen, wenn auch schwedisch. Und wegen der Preisobergrenze gebe es schon eine Teilverstaatlichung, sagt der Professor. Nämlich das Risiko. Durch die Höchstpreise übernimmt der Staat einen Teil des Geschäftsrisikos, sodass weniger Energieunternehmen in Konkurs gehen, weil zum Beispiel Kunden nicht mehr zahlen können.
Die Neunziger
Die Frage ist, ob eine mögliche Verstaatlichung zu erheblichen Verbesserungen führen wird. In den 1990er Jahren, als die Produktionsfirmen noch in Staatsbesitz waren, habe man viele Klagen über hohe Energiepreise gehört, sagt Mulder. „Auch das Prinzip stimmt: Wer Marktkräfte zulässt, arbeitet effizienter und die Preise sinken.“ Und große Regierungsbehörden funktionieren nicht immer gut. „Schauen Sie sich nur die Steuer- und Zollverwaltung an, eine riesige Regierungsorganisation, in der viel schief geht.“
Einen ganzen Sektor an einen Eigentümer zu übertragen, ist ohnehin gefährlich. „Man läuft Gefahr, dass massenhaft Fehlentscheidungen getroffen werden“, sagt der Professor. Mittlerweile gibt es mehrere Unternehmen, die aufgrund ihrer eigenen Analysen unabhängige Entscheidungen treffen. Einige dieser Entscheidungen sind falsch und ein Unternehmen kann scheitern. In den Niederlanden ist dies bisher in begrenztem Umfang geschehen, nur etwa 100.000 Kunden waren betroffen. Liberalisierung ist daher auch Risikostreuung.
Die Verstaatlichung sei teuer und werde die 23-Milliarden-Grenze der Preisobergrenze weit überschreiten, sagt Widdershoven. Wenn der Staat für diese Unternehmen den Marktpreis zahlt, muss man mit dem Gewinn pro Aktie mal zwölf bis achtzehn anfangen. „Ich kann Ihnen versichern, dass der Betrag jetzt viel höher ist, als wir damals sozusagen die Provincial Limburg Electricity Company verkauft haben.“
Unter Zwang
Man könne es auch „saudi-arabisch“ machen und einfach sagen: Jetzt gehört alles dem Staat, sagt Nahost-Experte Widdershoven. „Also unter Zwang. Dann gelten Anwälte als reich. Und Brüssel, das für Liberalisierung ist, wird es auch nicht zulassen. Wenn die Niederlande einen solch radikalen Schritt unternehmen, kann ich Ihnen versichern, dass alle Hauptverwaltungen anderer ausländischer Konzerne die Niederlande innerhalb einer Woche verlassen haben.‘
Dennoch ist es kürzlich in Europa passiert: Deutschland verstaatlicht den Gasriesen Uniper und Frankreich übernimmt die Kontrolle über EDF. Doch Uniper drohte umzufallen und musste gerettet werden und auch EDF baumelte über dem Abgrund. Zudem hatten die Regierungen bereits kräftig die Finger im Spiel.
Eine Verstaatlichung erscheint daher sowohl aus praktischen als auch aus finanziellen Gründen nicht praktikabel. Schauen Sie sich auch den Gasspeicher Bergermeer an, sagt Widdershoven. Seit Monaten wird über eine mögliche Verstaatlichung gesprochen, die aber nicht stattfindet. Der russische Gasversorger Gazprom und der Energiekonzern Taqa aus Abu Dhabi sind noch dabei, auch jetzt, wo die Niederlande die Gasvorräte selbst auffüllen. Der Hauptgrund sind die rechtlichen Folgen der Gründung.
Der Bau strategischer Gasreserven könnte durchaus in staatlicher Hand erfolgen, sagt Martien Visser, Dozent für Energiewende an der Hanze University of Applied Sciences Groningen. Im Gegensatz zu heutigen Gasspeichern werden strategische Vorräte grundsätzlich nur in Notsituationen eingesetzt, wenn Engpässe drohen. So wie es jetzt mit strategischen Ölaktien geschieht. Der Bau strategischer Gasreserven sei wirtschaftlich nicht interessant, weil sie viel Geld kosten und kaum genutzt würden, sagt Visser, der letztes Jahr de Volkskrant bereits gemeinsam mit den Nachbarländern für den Bau plädiert.
Sonne und Wind
Und in der Zukunft? Könnten nicht alle geplanten Windparks in der Nordsee in die Hände der Regierung gelangen? Widdershoven lacht am anderen Ende der Leitung. „Unternehmen, die Windparks bauen, sind gut geölte Maschinen, wenn es um den Einkauf von Materialien und Technologien geht. Sie beschweren sich bereits, dass sie kaum genug Stahl und Arbeitskräfte bekommen.‘ Denken Sie darüber nach, was passieren würde, wenn niederländische Beamte dies tun müssten, sagt der Analyst. »Angenommen, Sie machen eine Art NAM für Wind und Sonne. Dann gibt es Groningen 2.0 auf See, inklusive Kostenüberschreitungen und schwarzen Löchern, in denen Geld verschwindet.“
Jeroen de Haas, ehemaliger CEO von Eneco, hält es für eine verpasste Gelegenheit, dass sich die Regierung nicht stärker für Offshore-Windenergie engagiert hat. „Vielleicht wäre eine Aktiengesellschaft effektiver gewesen, aber wenn man sie jetzt starten will, führt das nur zu weiteren Verzögerungen.“ Auch die Re-Verstaatlichung bestehender Energiekonzerne nennt er zu drastisch, obwohl er sich gewünscht hätte, dass sie damals nicht alle von der Regierung verkauft worden wären.
Widdershoven hält es für das Beste, eine Weile stillzusitzen. „Jede Änderung am bestehenden System wirkt sich jetzt zugunsten Putins aus.“
Skandinavien: Der Staat ist Eigentümer
In den skandinavischen Ländern wird kaum über die Verstaatlichung von Energieerzeugern diskutiert. Ein wichtiger Grund ist, dass der Staat den Sektor nie verlassen hat. So befindet sich der Energieriese Vattenfall mit einem Marktanteil von 50 Prozent zu 100 % im Besitz des schwedischen Staates. Der Regierung gehört auch der Netzbetreiber Svenska Kraftnät, der aufgrund der hohen Nachfrage im dicht besiedelten Süden des Landes derzeit Milliarden verdient. Der Netzmanager transportiert Strom von Nord nach Süd.
Auch in Norwegen wurde bereits ein Großteil der Energieerzeugung verstaatlicht. Der Staat besitzt den Energieproduzenten Statkraft zu 100 % und besitzt außerdem drei Viertel der Anteile des Öl- und Gasproduzenten Equinor.
Das bedeutet nicht, dass der Markt nicht teilnimmt. Sowohl Schweden als auch Norwegen sind an den europäischen Energiemarkt angeschlossen, wodurch Verbraucher im Süden genauso viel zahlen wie in Deutschland. In Schweden sind mehr als hundert Unternehmen an der Energiebörse aktiv. Sie kaufen bei Erzeugern und verkaufen an Erzeuger. Auch hier hat der Staat seine Finger im Spiel, weil Vattenfall selbst auch an Verbraucher weiterverkauft und einen großen Marktanteil hat.
Eine weitere Verstaatlichung ist nur möglich, indem Schweden vom europäischen Markt abgekoppelt wird, aber daran sind nur die kleinen linken Parteien interessiert. Allerdings wird diskutiert, was mit den hohen Gewinnen geschehen soll. Die Regierung hat den Netzbetreiber bereits angewiesen, Nutzer im Süden zu entschädigen.
Jeroen Visser
Deutschland: keine dauerhafte Verstaatlichung
Deutschland ist noch voll drin das wollen wir kaufenModus. Auch wenn das Motto in dieser Krise und der aktuellen Bundeskanzlerin ein Küken-Englisch ist: du wirst nie alleine laufen. Seit Russland das Gas abgedreht hat und die Energiepreise in die Höhe geschossen sind, hat Berlin mindestens 40 Milliarden Euro Steuergelder in den Energiesektor gepumpt, um ihn über Wasser zu halten, 29 Milliarden davon in die Verstaatlichung des Gasriesen Uniper. Weitere 200 Milliarden Euro stehen bereit, um die Verbraucherpreise niedrig zu halten. 95 Milliarden Euro flossen in weitere Hilfspakete und viele weitere Milliarden liegen in der Luft.
Kurzfristig sorgen all diese Hunderte von Milliarden vor allem für ein angenehmes Gefühl der Sicherheit unter den Fittichen des Staates. „Wir haben in Deutschland das erfolgreiche Beispiel der Rettung der Lufthansa in der Corona-Krise, wo der Staat seinen Anteil kürzlich wieder mit einem beachtlichen Gewinn verkauft hat. Bei Uniper kann es ähnlich sein. Es könnte aber auch sein, dass sich der Staat eine Insolvenz gekauft hat. Bald werden auch andere Unternehmen gerettet oder verstaatlicht werden müssen, und dann wird auch hier die Debatte um die Zukunft der Branche beginnen.“
Nur Die Linke will eine dauerhafte Verstaatlichung. Vor allem die liberale Regierungspartei FDP und Oppositionsführer CDU drängen bereits auf eine schnelle Ausstiegsstrategie des Landes. Längerfristig will Deutschland zum alten Zustand zurückkehren: getrennte Netzbetreiber und Energieversorger, beide überwiegend privat.
Remco Andersen
Frankreich: regulierte Tarife
Französische Verbraucher können seit 2007 ihren eigenen Energieversorger wählen, aber der Staat hat immer noch Einfluss auf den Markt, hauptsächlich durch regulierte Tarife. Diese Sätze gelten nur für das Energieunternehmen EDF, aber Wettbewerber passen ihre variablen Sätze im Allgemeinen entsprechend an.
Seit vergangenem Herbst schützt die Regierung französische Haushalte mit Höchsttarifen für Gas und Strom vor explodierenden Energiepreisen.
Um die Kontrolle zu stärken, beschloss die Regierung, die ehemalige staatliche EDF wieder zu verstaatlichen. Das hat diesen Monat angefangen. EDF ist einer der wichtigsten französischen Energieproduzenten und verwaltet unter anderem die Kernkraftwerke. Doch das Unternehmen steckt tief in den roten Zahlen; Schätzungen zufolge könnten die Schulden bis Ende dieses Jahres 65 Milliarden Euro erreichen.
Die finanziellen Probleme wurden durch die Sofortmaßnahmen der französischen Regierung noch verschärft. EDF musste mehr Strom zu günstigen Preisen an konkurrierende Anbieter liefern, während das Unternehmen selbst Energie zum hohen Marktpreis importieren musste. Zudem ist ein großer Teil des Atomkraftwerksparks wegen Wartung und Korrosion stillgelegt, wodurch EDF schätzungsweise 18 Milliarden Euro entgehen.
Mit der Verstaatlichung will die Regierung Investitionen in ambitionierte Langzeitprojekte wie den Bau von sechs neuen Atomkraftwerken ermöglichen und neue Maßnahmen zur Preisdämpfung vereinfachen.
Eline Huismann