Skizzen meines Lebens in Kiew: Raketendonnern und ein schmerzhafter Abschied

1653122967 Skizzen meines Lebens in Kiew Raketendonnern und ein schmerzhafter Abschied


An jenem ersten Morgen, dem 24. Februar, war ich gerade aufgewacht, als mir klar wurde, dass mein Herz so schnell schlug, als hätte ich trainiert. Zwei Minuten lang lag ich da und lauschte: das Donnern von Raketen draußen, das Pochen meines Pulses in meinen Ohren, hupende Autos und Alarmanlagen auf der Straße.

Ich weigerte mich zuzugeben, dass das Schlimmste geschah, was ich mir vorstellen konnte. In der nebligen Morgendämmerung stand ich auf und versuchte mich zu sammeln. Dann packte ich die Sachen meiner Tochter in einen Rucksack.

Sie weinte, als ich mich beeilte, ihre wertvollsten Habseligkeiten in ihre kleinen Taschen zu stecken. Kleine Schachteln mit Konfetti, Plastikfutter für die Spielzeugkatze, kleine handgemachte Notizblöcke, Legofiguren, ein paar Lieblingssteine. Ich habe auch geweint. Jetzt fühle ich mich immer noch wie am ersten Tag.

© Sergiy Maidukov

Eines Tages kam ich wenige Minuten nach Beginn der Ausgangssperre (damals war es 20 Uhr) in die Außenbezirke von Kiew zurück. Die Regeln waren streng. Die Soldaten am Kontrollpunkt winkten mich weiter, warnten mich aber, dass ich mit weniger als 10 km/h fahren sollte, mit blinkenden Notlichtern und eingeschaltetem Innenlicht und beiden Händen am Lenkrad – wenn ich lebend nach Hause kommen wollte. Jeden der nächsten Kontrollpunkte, die ich passierte, tat ich dies mit Maschinengewehrvisier, die direkt auf mein Auto gerichtet war.

Eine Illustration einer Stadt mit Gebäuden entlang einer Autobahn.  Im Vordergrund sind Soldaten in Schützengräben

© Sergiy Maidukov

Ich überquerte eine der Brücken über eine Autobahn in der Stadt. Von dort war meine Perspektive weit und ich konnte Gräben neben frischen gelben Erdhügeln sehen. Das erinnerte mich an Bilder aus dem Weltkrieg. Soldaten in den Schützengräben bereiteten sich vor, gingen in Position und blickten durch die Zielfernrohre ihrer schweren Maschinengewehre. Es ist ein sehr seltsames Gefühl, wenn man Gräben neben typischen Kiewer Wohnblöcken sieht. Diese Szene hätte beunruhigend sein sollen, aber die Ruhe und der Mut auf den Gesichtern der ukrainischen Soldaten machten mich zuversichtlich.

Eine Illustration eines leeren ausgebrannten Autos auf einer Brücke

© Sergiy Maidukov

Einsame ausgebrannte, zerschossene Autos wurden zu einem alltäglichen Anblick auf Kiews Straßen.

Eine Illustration eines Staus voller Krankenwagen, Lastwagen und Busse

© Sergiy Maidukov

Auf dem Rückweg nach Kiew steckte ich mit einigen Journalisten, die ich in ein Dorf gebracht hatte, das von einem Raketenangriff angegriffen worden war, im Stau fest. Es waren ruhige und schwierige sechs Stunden, an deren Ende wir uns drei Kilometer bewegt hatten. Alle fünf oder zehn Minuten raste ein Zug aus Krankenwagen oder Militärfahrzeugen oder Bussen mit verdunkelten Fenstern und roten Kreuzen aus Tesafilm vorbei und machte hupend Platz. Mir wurde klar, wie viele verwundete Soldaten direkt neben uns vorbeigegangen sein mussten, während wir uns langsam vorwärts bewegten.

Eine Illustration von Soldaten, die vor einem Gebäude stehen

© Sergiy Maidukov

An dieser Szene bin ich oft vorbeigekommen, viel häufiger als an den anderen. Es liegt auf dem Weg zu dem Pool, zu dem ich gehe. Es wurde Anfang April für eine kleine Anzahl von Menschen, mich eingeschlossen, inoffiziell eröffnet. Später hörte ich, wie Soldaten zueinander sagten: „Oh, da sind unsere Schwimmer“, und auf mich und einen Freund von mir deuteten.

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