San Francisco droht zur Geisterstadt zu werden: Niemand will zurück ins Büro

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Bürogebäude stehen leer, der öffentliche Nahverkehr ist rückläufig und die Innenstadt verfällt: San Francisco droht zur Geisterstadt zu werden. Homeoffice und Entlassungen bei großen Technologieunternehmen treffen das Zentrum hart.

Maral Noshad Sharifi

Es ist ruhig in der Innenstadt von San Francisco. Still wie eine Maus. Kein Hupen, keine zuschlagenden Autotüren, kein Stimmengewirr – die Geräusche, die man mit jeder Metropole dieser Erde verbindet. Aber hier hallt ein Gespräch, das auf der anderen Straßenseite geführt wird, zwischen den Steingebäuden wider. Da sitzt eine obdachlose Frau an einer Wand. Sie ist allein und redet mit sich selbst.

„Dauerhaft geschlossen“, steht auf einer staubigen Vitrine in der Nähe. „Zu vermieten“, steht an einer Tür weiter unten. „Tut mir leid, unser letzter Tag steht vor der Tür.“ Es sind leere Hüllen trendiger Salatbars, Brillenläden, einer Buchhandlung, die nach 32 Jahren ihre Pforten geschlossen hat.

Über den Autor
Maral Noshad Sharifi ist US-Korrespondentin für de Volkskrant. Sie lebt in New York.

Dann taucht Samantha Alrich (54) um die Ecke. Sie trägt eine fluoreszierende Weste. Mit Spitzhacke und Besen hält sie die leeren Straßen sauber. „Ja, hier ist es viel ruhiger als vorher“, bestätigt sie. „Man trifft auf viele Obdachlose. „Ich komme eigentlich nur hierher, wenn ich Fast Food essen möchte.“

Samantha Aldrich, seit sieben Jahren Stadtreinigerin, in der Innenstadt von San Francisco.Bild Hilary Swift für de Volkskrant

In den letzten Jahrzehnten haben die Amerikaner mehr Städte leer gesehen. Nur ist dies keine heruntergekommene Stadt in einem dünn besiedelten Staat wie Nevada, New Mexico oder Montana. Das ist San Francisco: eine der berühmtesten Städte der Welt, im äußerst beliebten Kalifornien. Eine Stadt, die vom wirtschaftlichen Aufschwung und den technologischen Fortschritten des Silicon Valley geprägt ist. Und wo die Golden Gate Bridge noch immer in ihrer ganzen Pracht steht.

„Der Innenstadt von San Francisco geht es noch schlechter, als Sie denken“, lautete die Schlagzeile vor Ort San Francisco-Prüfer kürzlich. „Der langsame Tod der Innenstadt von San Francisco“, schrieb er El País. Noch geöffnete Bars und Restaurants werden später öffnen bzw. früher schließen. Sogar Riesenketten wie H&M, Nordstrom und Old Navy haben mittlerweile die Innenstadt verlassen.

Zurück ins Büro

„Man kann nicht den ganzen Tag im Schlafanzug zu Hause sitzen“, warnte New Yorks Bürgermeister Eric Adams im vergangenen Februar. Er rief seine Mitbürger dazu auf, massenhaft ins Amt zurückzukehren. Die Pandemie hatte New York wie an vielen Orten auf der Welt die Lebendigkeit geraubt und musste ein Ende haben. Das geschah in New York und anderen amerikanischen Städten. Etwa 60 Prozent der Amerikaner kehren mittlerweile fünf Tage die Woche ins Büro zurück.

Kalifornien ist anders. Dort haben Tech-Unternehmen das Sagen und gehen gerne auf die Wünsche ihrer Mitarbeiter ein. Viele arbeiten lieber von zu Hause aus. Sie haben die Software selbst entwickelt, die das Arbeiten von zu Hause aus ermöglicht. Zudem scheint das scheinbar grenzenlose Wachstum der Tech-Unternehmen in den letzten Jahren ein Ende gefunden zu haben – und das spürt man in San Francisco. Unternehmen wie Google, Apple und Meta haben in diesem Jahr 200.000 Menschen entlassen. Sie lebten und arbeiteten größtenteils in und um San Francisco.

In San Francisco sind viele Geschäfte, Cafés und Restaurants geschlossen.  Etwa 30 Prozent der Bürogebäude stehen leer.  Bild Hilary Swift für de Volkskrant

In San Francisco sind viele Geschäfte, Cafés und Restaurants geschlossen. Etwa 30 Prozent der Bürogebäude stehen leer.Bild Hilary Swift für de Volkskrant

Die Folgen sind groß. In San Francisco mit 715.000 Einwohnern stehen etwa 30 Prozent der Bürogebäude leer, mehr als in jeder anderen amerikanischen Großstadt. In den USA liegt dieser Wert im Durchschnitt bei 20 Prozent. Durch die Abwesenheit von Pendlern gehen dem öffentlichen Nahverkehr Millionen von Dollar verloren. Das einst geschäftige Zentrum von San Francisco verwandelt sich in das leerste in den gesamten USA. Die Innenstadt verfällt. Sie sehen mit Pappe verkleidete Fenster. Geschäfte beklagen, dass Diebstähle zugenommen haben.

„Die meisten meiner Kunden sind gegangen“, sagte Reza Khosravi, 65, von SF Wraps, einem der wenigen Sandwich-Läden, die noch geöffnet waren. Um 13 Uhr hatte er erst sechs in Aluminium eingewickelte Tücher verkauft. Er wartet hauptsächlich in seiner dunkelgrünen Schürze.

Reza Khosravi in ​​seinem Sandwichladen SF Wraps.  Die Kundenzahl in seinem Geschäft sei um mindestens 60 Prozent zurückgegangen, sagt er.  Bild Hilary Swift für de Volkskrant

Reza Khosravi in ​​seinem Sandwichladen SF Wraps. Die Kundenzahl in seinem Geschäft sei um mindestens 60 Prozent zurückgegangen, sagt er.Bild Hilary Swift für de Volkskrant

Khosravi betreibt seit vierzig Jahren verschiedene Gastronomiebetriebe in der Stadt. Er musste seine Mitarbeiter bereits wegschicken. Er hat so wenige Kunden, dass er den gesamten Laden alleine betreibt. Wird er lange durchhalten? „Ich habe mit mir selbst vereinbart, dass ich nicht mehr reich in meiner Tasche sein muss“, sagt Khosravi (65), „nur noch im Herzen.“

Immer mehr Menschen verlassen die Stadt

„Amerikanische Städte entwickeln sich ständig weiter“, sagt die Planerin Sarah Kaufman, die an der New York University forscht. Es war die Erfindung des Aufzugs vor zwei Jahrhunderten, die zur Entwicklung moderner Bürogebäude führte. Jetzt ist es die technologische Entwicklung, die dafür sorgt, dass Bürogebäude leer stehen. „Sie müssen in San Francisco entscheiden, in welche neue Phase sie eintreten wollen.“

Die Zeit drängt, immer mehr Menschen verlassen San Francisco. Zwischen 2020 und 2021 verließen 116.000 Menschen die Metropole. Bürgermeister London Breed hat nun Pläne vorgelegt, das Zentrum wieder zum Leben zu erwecken. „Wir müssen überdenken, welche Optionen wir für unsere Innenstadt haben“, sagte der Demokrat. Sie möchte Bürogebäude in Wohnungen umwandeln und neue Start-ups in die Innenstadt locken. Sie hat die Universität auch gebeten, dort einen Campus zu eröffnen.

Während Breed kürzlich miterleben musste, wie sich ihr Zentrum in eine Geisterstadt verwandelte, erhielt sie letzten Monat plötzlich eine gute Nachricht: Ikea beschloss, nach San Francisco zu kommen. „Wir wissen, dass wir vor Herausforderungen stehen“, sagte ein begeisterter Breed bei der Eröffnung. „Aber wir wissen auch, dass die Leute immer noch hier sein wollen.“



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