Rutte besucht Marokko: „Die Niederlande brauchen mehr von Marokko als umgekehrt“

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Premierminister Mark Rutte bei seiner Ankunft in Pretoria während seines offiziellen Besuchs in Südafrika am 20. Juni 2023.Bild Marco Longari / AFP

Anfang dieser Woche war Premierminister Mark Rutte in Namibia und Südafrika, jetzt in Marokko. Was hat Marokko mit diesen Ländern gemeinsam, außer dass alle drei in Afrika liegen?

„Der verbindende Faktor ist, dass sie Teil einer Art Energietour von Rutte sind.“ Die drei Länder sind im Bereich grüner Energie, beispielsweise Wasserstoff, ehrgeizig. Marokko will in den kommenden Jahrzehnten Dutzende Milliarden ausgeben, um ein bedeutender Wasserstoffproduzent zu werden, investiert aber auch in traditionellere Formen nachhaltiger Energie. Wasserstoff hat sich im großen Maßstab noch nicht bewährt.

„Das ganze Land wird mit Wind- und Solarparks bebaut, vor allem in dünn besiedelten Gebieten.“ Davon hat Marokko genug, vor allem wenn man die Westsahara zu Marokko zählt. „Diese Fläche ist viermal so groß wie die Niederlande, aber dort leben nur ein paar Hunderttausend Menschen.“

Der Westen hat den Anspruch Marokkos auf die Westsahara lange Zeit nicht anerkannt. Wie sieht Europa, dass Marokko diese umstrittene Region für seine nachhaltigen Ambitionen nutzt, wovon auch Europa selbst profitieren kann?

„Offiziell erkennen die Niederlande und andere europäische Länder die Westsahara nicht als Teil Marokkos an.“ Aber man sieht, dass die Niederlande sich ein wenig bewegt haben, um die Beziehungen zu Marokko zu festigen. Marokko will die Westsahara zu einer autonomen Region innerhalb Marokkos machen. Die Niederlande haben erklärt, dass dies eine glaubwürdige Idee sei.

„Europäische Unternehmen sind auch an marokkanischen Energieprojekten in der Westsahara beteiligt. Der französische Engie und der deutsche Siemens machen dort alles Mögliche. Damit wird die Westsahara gewissermaßen annektiert auf dem Weg zu nachhaltiger Energie, die künftig auch nach Europa geliefert werden soll. Damit bekennt sich Europa zur Westsahara als Teil Marokkos.“

Die niederländischen Beziehungen zu Marokko waren jahrelang schlecht, aber die Länder sagen jetzt, dass sich die Beziehungen verbessert haben. Wie würden Sie die Beziehung jetzt beschreiben?

„Wie sehr schwierig.“ Die Beziehung könnte jeden Moment explodieren. Das Problem der Niederlande besteht darin, dass sie Marokko mehr brauchen als umgekehrt. Das hat alles mit marokkanischen Asylbewerbern zu tun, die alle Rechtsmittel ausgeschöpft haben, den sogenannten Safelandern, die in den Niederlanden für Ärger sorgen. Sie untergraben die Unterstützung bei der Aufnahme von Asylbewerbern, doch Marokko nimmt sie nur in sehr begrenztem Umfang zurück.

„Deshalb sehen Sie, dass die Niederlande seit Jahren auf diplomatischen Eiern wandeln.“ Vor einigen Jahren kritisierte der damalige Außenminister Stef Blok die langen Haftstrafen für Riffian-Aktivisten. Marokko stellte daraufhin die Rücknahme abgelehnter Asylbewerber ein. Sie sehen, dass Marokko wie andere nordafrikanische Länder Migranten als Erpressungsmittel nutzt.

„Marokko reagiert sehr empfindlich auf Kritik von ausländischen Regierungen und daher sicherheitshalber so wenig wie möglich von Seiten der Niederlande.“ Genau das will Rabat. Wenn Marokko und die Niederlande Armdrücken betreiben würden, käme der niederländische Arm fast auf den Tisch.“

Welche Rolle spielt Migration bei Ruttes Besuch?

„Es wird sicherlich diskutiert. Dass Premierminister Rutte nach Marokko kommt und mit dem marokkanischen Premierminister spricht, gilt als Zeichen des Respekts. In der Praxis tragen die Versprechen Marokkos jedoch kaum Früchte. Im Jahr 2021 wurde mit Marokko ein Abkommen über die Rücknahme von Asylbewerbern geschlossen, und Staatssekretär Eric van der Burg war letztes Jahr sehr triumphierend darüber, aber die Zahlen sind enttäuschend. „Ab einem bestimmten Punkt muss Rutte Ergebnisse für seine Wähler vorlegen.“

Wie ist es möglich, dass sich die Niederlande mit einem solchen Klumpen ins Schilf schicken lassen?

„Tropfenweise nimmt Marokko einige Asylbewerber zurück, so dass die Hoffnung der Niederlande auf eine ernsthafte Rückübernahme lebendig bleibt.“ Das Problem ist aber auch, dass die europäischen Länder keine einheitliche Asylpolitik haben und keine Front bilden. Marokko streitet sich einmal mit Frankreich, stärkt dann die Beziehungen zu Deutschland und schafft es inzwischen, Verpflichtungen wie jene in der Westsahara von links und rechts durchzusetzen. Die europäischen Länder werden einfach auseinandergespielt.

„Darüber hinaus haben die Niederlande Marokko bereits schmerzhafte Versprechungen gemacht.“ „Es würde einen Gesichtsverlust bedeuten, wenn die Niederlande plötzlich ihre Strategie ändern und eine viel härtere Haltung gegenüber Marokko einnehmen würden.“

Also ist in Marokko keine Kritik an den Menschenrechten zu erwarten?

‚NEIN. Die Niederlande sind in Bezug auf die Westsahara vorangekommen und äußern sich nicht weiter zu Marokko. Ein weiteres schmerzhaftes Thema ist das des marokkanischen Journalisten Omar Radi. Er wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, unter anderem weil er für die Niederlande spioniert hätte. Weitere Belege hierfür wurden nicht vorgelegt.

„Die Niederlande weigerten sich, bis drei Monate nach seiner Verurteilung in erster Instanz dazu Stellung zu nehmen. Erst daraufhin widersprach das Kabinett den Vorwürfen. Es scheint, als wolle Marokko mit der Klage die Niederlande auf die Probe stellen: Werden Sie sich zu Wort melden und damit unsere fragile Beziehung erneut aufs Spiel setzen?

„Die Kassation im Fall Radi steht am Mittwoch an.“ Sehr interessant, was da passieren wird. Sollte sich seine Verurteilung bestätigen, handelt es sich tatsächlich um eine Beleidigung für Rutte am Tag seines Besuchs. „Wenn Marokko sagt, dass der Fall Radi noch einmal geprüft werden muss, was ich nicht erwarte, dann wäre das vielleicht ein Geschenk.“

Ist ihr bekannt, dass Radis Fall am Mittwoch anhängig ist?

„Könnte sein, Marokko überlässt selten etwas dem Zufall.“



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