Ruanda will die Asylsuchenden von den Briten übernehmen. Wieso den?

Ruanda will die Asylsuchenden von den Briten uebernehmen Wieso den


Möbel für die Hallmark Residences in Kigali, einem der wahrscheinlichen Orte für Asylsuchende, die Großbritannien nach Ruanda schickt.Bild AP

Warum nimmt Ruanda Asylbewerber aus Großbritannien auf?

Weil wir helfen wollen, erklärte Präsident Paul Kagame (64) im April, kurz nach Bekanntgabe des Asylbewerber-Deals mit der Regierung von Premierminister Boris Johnson. Asylsuchende, die „Opfer“ von Menschenschmugglern sind, finden in Ruanda eine würdige Zuflucht. Außerdem helfe Ruanda laut Kagame seinem „Partner“ Großbritannien aus dem Feuer.

Kagame machte seine Erklärungen während eines Abendessens mit ausländischen Diplomaten. Dabei verwies er explizit auf eine Vereinbarung, die Ruanda bereits 2018 mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR getroffen habe. Laut Kagame zeigt dieses Abkommen, dass Ruanda hilft, internationale Probleme in Bezug auf Migration und Asyl zu lösen.

Im Rahmen dieses Abkommens mit dem UNHCR sind in den letzten Jahren mehr als tausend Asylsuchende aus Afrika und dem Nahen Osten von Libyen nach Ruanda geflogen. Dort wurden sie in einem speziellen „Übergangszentrum“ mehr als fünfzig Kilometer von der Hauptstadt Kigali entfernt untergebracht. Eine Mehrheit wäre inzwischen in Länder wie Kanada oder Schweden umgesiedelt.

Diese Asylsuchenden hatten Libyen weitgehend freiwillig verlassen, wo sie sich auf ihrer erhofften Überfahrt nach Europa unter unmenschlichen Bedingungen befanden. Das ist ein großer Unterschied zu Asylsuchenden aus Großbritannien. Sie gehen überhaupt nicht freiwillig nach Ruanda. Der UNHCR lehnt das neue Asylabkommen daher entschieden ab.

Hat Präsident Kagame mehr Motive?

Es sieht so aus. Ruanda-Beobachter gehen davon aus, dass Kagame versucht, die Gunst mächtiger westlicher Länder zu erlangen. Einer gängigen Analyse zufolge erwartet Kagame im Gegenzug für seine Rolle als Subunternehmer bei schwierigen Jobs, dass die internationale Gemeinschaft einen Teil ihrer Kritik an Ruandas interner Repression hinnimmt.

Diese Repression geht weit: Die politische Opposition wurde praktisch zum Schweigen gebracht, die Presse ist an der Leine und die verbleibenden Gegner „verschwinden“ mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Gegner von Kagame sind auch im Ausland nicht immer sicher. In sieben Jahren wurden Ruander in sieben Ländern – von Deutschland bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten – gejagt und angegriffen, berichtete die Organisation Freedom House im vergangenen Jahr. Das alles schadet ernsthaft dem Ruf von Kagame, der von vielen als ehemaliger Rebellenführer gefeiert wird, der den Wiederaufbau Ruandas nach dem Völkermord von 1994 mitgestaltet hat.

Vor diesem Hintergrund zeigt Kagame gerne seine Bereitschaft, dem Westen zu helfen. In der gewaltgeplagten Zentralafrikanischen Republik etwa liefert Ruanda die meisten Blauhelme für die UN-Mission Minusca. In Mosambik schritt Ruanda im vergangenen Jahr für französische Interessen ein: Ruandische Truppen verjagten dschihadistische Kämpfer von einem Mega-Gasprojekt des französischen Energieriesen Total. Letztes Jahr akzeptierte Ruanda auch einen Antrag der USA, eine Gruppe afghanischer Schulmädchen aufzunehmen, nachdem die Taliban Kabul übernommen hatten. „Für den Westen versucht Ruanda, sich unentbehrlich zu machen“, sagte Ruanda-Beobachter Kris Berwouts im belgischen Magazin MO

Wo landen die „britischen“ Asylsuchenden?

Zunächst in Hotels und Bungalows in Kigali, hat die ruandische Regierung angekündigt. Die ruandische Hauptstadt ist bekannt für ihre Ordnung: Plastiktüten sind verboten, Mopedfahrer müssen Helme tragen und Lärmbelästigung kommt nicht in Frage. Ein ganz anderes Umfeld als die „traditionellen“ Flüchtlingscamps in Ruanda, in denen sich mehr als 125.000 Flüchtlinge aus Nachbarländern wie Burundi und Kongo aufhalten.

Die erste Gruppe von Asylbewerbern aus Großbritannien könnte laut ruandischen Medien in einem Hostel namens Hope untergebracht werden, das 2014 speziell für ruandische Studenten eröffnet wurde, die seit dem Völkermord von 1994 zu Waisen geworden sind. Der Standort, der im April von der britischen Innenministerin Priti Patel inspiziert wurde, hat bereits Kontroversen ausgelöst. Britischen Medienberichten zufolge sollen ruandische Genozid-Waisen den Asylbewerbern weichen.

Die Rechnung wird vom britischen Steuerzahler bezahlt; Mehr als 140 Millionen Euro hat die Regierung von Boris Johnson bereits bereitgestellt. Mit diesem Geld soll Ruanda auch andere Einrichtungen wie (Berufs-)Bildung organisieren.

Sowohl für Ruanda als auch für Großbritannien kann es immer noch eine ziemliche Aufgabe sein, mit der ganzen internationalen Medienaufmerksamkeit fertig zu werden. Beide Länder setzen sich dafür ein, ihr Asylprojekt so ordentlich wie möglich aussehen zu lassen. Beispielsweise hat Ruanda versprochen, dass die Asylsuchenden nicht in ihren neuen Unterkünften „eingesperrt“ werden. Gleichzeitig sind ausländische Journalisten bei der Ankunft der Asylbewerber nicht willkommen und dürfen sie wegen der „Würde“ und „Privatsphäre“ der Neuankömmlinge auch nicht in ihrer neuen Unterkunft besuchen.

Was passiert längerfristig mit den Asylsuchenden?

Das ist die große Frage. Ruanda und Großbritannien betreten mit ihrer Asylkooperation in vielerlei Hinsicht Neuland. Klar ist, dass „britische“ Asylsuchende, denen in Ruanda offiziell der Flüchtlingsstatus zuerkannt wird, weiterhin nicht nach Großbritannien reisen können. Die Reise nach Ruanda ist nachdrücklich ein One-Way-Ticket, ein Punkt heftiger Kritik von Menschenrechtsorganisationen, die argumentieren, dass London die Asylregeln missachtet.

Grundsätzlich kann jeder, der in Ruanda den Flüchtlingsstatus erhält, hingehen, wohin er will. Anerkannte Flüchtlinge dürfen auch arbeiten, obwohl Ruanda eine sehr bescheidene Wirtschaft hat. Etwa drei Viertel der rund 13 Millionen Einwohner leben von der Subsistenzlandwirtschaft und fast die Hälfte der Bewohner des „Landes der tausend Hügel“ lebt in tiefer Armut.

Das Antragsverfahren für den Flüchtlingsstatus dauert offiziell 45 Tage, in der Praxis kann es laut UNHCR jedoch „ein bis zwei Jahre“ dauern. Wird ein Asylantrag abgelehnt, kann nach dem Gesetz Widerspruch eingelegt werden. Scheitert ein Widerspruchsverfahren, bleibt für Asylsuchende die bekannte Frage: „freiwillig“ ausreisen – zum Beispiel in ein Nachbarland Ruanda – oder bleiben und den informellen Weg suchen.



ttn-de-23

Schreibe einen Kommentar