„Gestern Neapel, heute Rom. Wohin fahren wir morgen?“, Ron Cicchinelli (72, „out Hinterland New York‘) von einer weißen Marmorbank zu seiner Reisegruppe, die wie hunderte andere Touristen darauf konzentriert ist, das perfekte Foto vor dem Trevi-Brunnen zu schießen. „Pisa oder nicht Florence?“ antwortet einer seiner Freunde zögernd.
Als die Münze über die Schulter geworfen wird, verschmelzen Cicchinellis türkisfarbene Baseballkappe und Rucksack wieder mit der Touristenmenge. Der gut gelaunte amerikanische Rentner ist nicht der Einzige, der nach zwei Jahren Pandemie nach italienischer Luft schnappt. Seit Ostern nähern sich die Besucherzahlen in Städten wie Rom, Venedig und Florenz langsam wieder dem Niveau vor der Pandemie.
Günstige Karten
Inzwischen hat Olivier Müller (53, aus Nordbrabant) seine Tochter vor dem Brunnen auf den Rücken gehoben. So kann sie eine schier endlose Gruppe polnischer Senioren mit passenden Schlüsselbändern überblicken und durch einen Dschungel von Selfie-Sticks immer noch etwas von dem weltberühmten Kunstwerk sehen.
Unter den Straßenverkäufern, die versuchen, die mageren Jahre auszugleichen, indem sie lautstark ihre gelben Schleimkugeln und gefälschten Burberry-Schals anpreisen, würde man fast vergessen, dass viele Menschen zu Beginn der Pandemie von guten Absichten überströmten, hingerissen vom strahlend blauen Himmel ohne Flugzeugstreifen. Nach Covid-19 wäre der Massentourismus Vergangenheit, wir würden den Urlaub wieder richtig wertschätzen und das Reisen würde nachhaltiger und weniger oberflächlich, hieß es oft. Auch in Italien, das wirtschaftlich stark auf den Tourismus angewiesen ist, aber gleichzeitig Innenstädte zugrunde gehen sieht.
Nun, so Müller abschließend, während andere Touristen links und rechts an ihm vorbeigehen, sieht der neue Tourismus, wenn man sich umschaut, dem alten tatsächlich verdächtig ähnlich. Er arbeitet bei der Fahrradfirma Shimano, denkt über nachhaltige Mobilität nach und würde selbst lieber weniger fliegen. „Aber solange die Fahrkarten auch für unsere vierköpfige Familie günstiger sind als Benzin und Maut, wird sich nichts ändern.“
Nachhaltigerer Tourismus
Italienische Städte können wenig gegen niedrige Ticketpreise tun, aber Venedig hat nach dem überfüllten Osterwochenende angekündigt, dass es nun einen vor Jahren ausgearbeiteten Plan gegen Overtourism umsetzt. Ab Juni experimentiert die Stadt mit Eingangstoren für Tagesausflügler, die für den Besuch des Symbols des Massentourismus ein Ticket für maximal 10 Euro reservieren müssen.
„Wir brauchen keinen Massentourismus“, sagte kürzlich Tourismusminister Massimo Garavaglia. „Was bringt uns ein Tourist, der für einen Zehner außerhalb des Zentrums schläft, abgepackte Lebensmittel und ein in China hergestelltes Souvenir kauft, außer Müll?“
Nicht die Zahlen, sondern die Qualität des Tourismus muss verbessert werden. Diese Idee wird auch im Mittelpunkt eines strategischen Plans der italienischen Regierung stehen, der im Oktober veröffentlicht werden soll. Der römische Druckverkäufer Pino (61, „bevorzugt keinen Nachnamen“) stimmt dem voll und ganz zu. In den dreißig Jahren, in denen er den Stall zwischen Trevi-Brunnen und Pantheon führt, habe er den Wandel des Tourismus vor Augen gesehen, schimpft er unter einem imposanten Bürstenbart hervor. Passen Sie auf, mahnt Pino, während der endlose Menschenstrom vorbeizieht: Kaum einer hat eine Tasche in der Hand.
Ja, sie stehen weiter oben bei McDonald’s an, trinken einen Espresso und holen sich ein Eis, aber die hochwertigen handwerklichen Produkte, die Touristen vor dreißig Jahren nach Rom kauften, werden laut dem Druckverkäufer immer weniger beliebt.
Verteilung der Touristen
„Wir befinden uns in einer Übergangsphase“, sagt Gaia Ferrara optimistisch. De Roman ist Berater in der Reisebranche und arbeitet für Simtur, eine gemeinnützige Organisation, die sich für einen nachhaltigeren Tourismus in Italien einsetzt. „Das ist das Nachbeben der Pandemie, die Menschen wollen jetzt die verpassten Reisen nachholen.“ Dennoch bleibt Ferrara positiv gegenüber einem Trend, von dem sie glaubt, dass er bereits vor der Pandemie eingesetzt hat, hin zu unbekannteren Reisezielen und lokalen, authentischen Erlebnissen abseits der ausgetretenen Pfade.
In einer Stadt wie Rom sei das größte Problem die mangelnde Mobilität, sagt Ferrara. Weil der öffentliche Nahverkehr schlecht funktioniert und der chaotische Verkehr nicht auf Radfahrer ausgelegt ist, verweilen Touristen meist um die bekannten Sehenswürdigkeiten in der kleinen Altstadt herum. Dabei ist die Gemeinde Rom flächenmäßig fast so groß wie die Provinz Utrecht und es gibt auch außerhalb des Zentrums allerlei Denkmäler. Aber wollen Touristen dorthin? „Es ist eine Frage der Beförderung“, sagt Ferrara. „Und von besseren Verbindungen.“
Am Trevi-Brunnen ist die Ausbreitung von Touristen noch Zukunftsmusik, allseits eingeholt von der harten Realität. Die nächsten Programmpunkte des Amerikaners Ron Cicchinelli sind das ebenso überfüllte Kolosseum und der Vatikan. Dabei geht es ihm nicht um Nachhaltigkeit oder Massentourismus. Zum Brunnen gestikulierend: „Ist das nicht der Ort, um gesehen zu werden?“
Ein paar Meter weiter genießen Llinos Jones (31) und Dan Lloyd (32) aus England ihren Anblick weniger sorglos. Es sei viel geschäftiger als erwartet, sagt Lloyd. Und ja, sie versuchen tatsächlich, weniger zu fliegen, sagen die Mittdreißiger schuldbewusst. „Aber wenn man in Brighton lebt, will man auch mal die Sonne sehen“, sagt Lloyd. „Und eine andere Kultur“, ergänzt seine Freundin. „Es ist ein Dilemma.“