Bei der WM rechnen Schiedsrichter mit einer noch nie dagewesenen Nachspielzeit. Laut einer Studie über zeitraubende Fußballspieler zu Recht.
Das war ein kleiner Schock für Fußballfans und auch für die Spieler selbst: 27 Minuten Nachspielzeit. Noch nie hat ein Gruppenspiel bei einer WM so lange gedauert wie in dieser Woche England-Iran. Auch in anderen Spielen in Katar lief die Uhr bemerkenswert lang, so dass zum Beispiel Orange-Spieler Davy Klaassen in der 99. Minute gegen Senegal noch einen drauftippen konnte.
Der Grund dafür ist, dass die FIFA bei diesem Turnier besonders auf die reine Spielzeit achtet. Statistiker schon berechnet dass bei nationalen europäischen Fußballwettbewerben der Ball nur etwa 60 Minuten rollt, von den anderthalb Stunden, die für ein Spiel stehen. (Fun Fact: In der Premier League schneiden die Fußballer hier mit 63 Minuten reiner Spielzeit am besten ab. In Spanien sind es nur 55 Minuten.)
Der größte Schmerz dieser verlorenen Spielminuten ist die bewusste Zeitverschwendung durch die Spieler. Wissenschaftler der Universität Singapur schon auf die Sekunde herabgeschaut, wie Fußballer bei großen Wettkämpfen das machen. Die Forscher haben gemessen, wie lange Spieler brauchten, um das Spiel in einer Situation fortzusetzen, in der sie vorne (und deshalb daran interessiert waren, Zeit zu verschwenden) oder hinten (und deshalb schnell spielen wollten, um den Ausgleich zu erzielen) lagen.
Ball über die Seitenlinie und Spieler muss einwerfen? Das dauert durchschnittlich 10 Sekunden, wenn ein Spieler im Rückstand ist. Ist der Spieler vorne? Fügen Sie dann nur 4 Sekunden hinzu.
Freistoß? Ecke? Torwarttritt? Dauert auch 4 Sekunden länger, wenn ein Team vorne liegt. Mit einer Auswechslung ist es ganz schlecht: Die Partei darüber braucht zu diesem Zeitpunkt durchschnittlich 7 Sekunden länger.
Und dann haben wir noch nicht einmal über vorgetäuschte Verletzungen gesprochen. Wissenschaftler der Universität Ankara turfden behandelte in der türkischen Liga durchschnittlich 3,6 Verletzungen pro Spiel. Bei jeder Behandlung wird das Spiel für durchschnittlich anderthalb Minuten unterbrochen. Verständlich, wenn der Spieler in diesem Moment wirklich medizinische Hilfe benötigt, aber die Forscher haben ernsthafte Zweifel daran. Zunächst einmal: In 4 von 5 Fällen kann der Spieler das Spiel einfach beenden, also war das Leiden anscheinend nicht so schlimm. Noch auffälliger: Spieler, die in der letzten Viertelstunde vorne liegen, fragen mehr als viermal häufiger nach einer Verletzungsbehandlung als Spieler, die zu diesem Zeitpunkt zurückliegen.
Scheint mir ein solider wissenschaftlicher Beweis für Affektiertheit und Zeitverschwendung zu sein. Das Problem ist natürlich, dass es sich um Durchschnittswerte handelt. Bei einem Einzelspieler, der mit 1:0 in Führung liegt und bei einem Zweikampf schreiend zu Boden geht, ist es für einen Schiedsrichter schwer einzuschätzen, ob es diesmal wieder Action geben wird.
Idealerweise gibt es im Stadion auch eine Uhr, die nur läuft, wenn der Ball im Spiel ist, genau wie beim Basketball. Aber die neuen Fifa-Regeln sind bereits ein Schritt in die richtige Richtung: Spieler, die agieren oder anderweitig Zeit verschwenden, wissen jetzt, dass die verlorenen Sekunden am Ende der 90 Minuten wahrscheinlich wieder aufgeholt werden. Ist bei dieser WM doch etwas Reines entstanden: reine Spielzeit.