Putins Gaswaffe hat sich gegen ihn gewendet: Gazprom kämpft mit Nachfrageausfällen

Putins Gaswaffe hat sich gegen ihn gewendet Gazprom kaempft mit


Eine Ölraffinerie in der russischen Stadt Omsk.Bild Alexey Malgavko / REUTERS

Andurand gilt als maßgeblicher Energieanalyst, weil er in den letzten zwanzig Jahren viele große Preisschwankungen vorhergesagt hat. Im vergangenen Jahr machte sein Investmentfonds riesige Summen, als der Gaspreis infolge der russischen Kriegshandlungen nie dagewesene Höhen erreichte. Mittlerweile hat sich der Fonds, der mittlerweile rund 1,3 Milliarden Euro verwaltet, vollständig aus dem Gasmarkt zurückgezogen, sagt Andurand.

Sie müssen keinen erfolgreichen Investmentfonds verwalten, um zu diesem Schluss zu kommen. Europa konnte viel schneller als erwartet große Mengen verflüssigten Erdgases (LNG) importieren. Und der Gasverbrauch von Industrie und Haushalten ist stark zurückgegangen. Dies spiegelt sich seit Monaten in einem stetigen Rückgang der Großhandelspreise für Gas wider. Der führende Month-Ahead-Kontrakt an der niederländischen Gasbörse TTF erreichte im August deutlich über 300 Euro pro Megawattstunde. Seit vier Wochen schwankt er ziemlich stabil zwischen 50 und 60 Euro. Immer noch dreimal so teuer wie bis vor anderthalb Jahren üblich, aber kein Niveau, das die europäischen Volkswirtschaften ernsthaft stört.

Was vielleicht noch wichtiger ist, die Zahlen für den nächsten Sommer und Winter sind ebenfalls beruhigend. Mitte Februar waren die Gasspeicher in der EU noch zu mehr als 68 Prozent gefüllt. Dadurch wird im nächsten Sommer weniger Gas benötigt, um die Vorräte bis zum Winter aufzufüllen. Das Gas für den nächsten Winter werde bereits reichlich eingekauft, sagt Analyst Klaas Dozeman von Brainchild Commodity Intelligence. „Die Partei, die dafür sorgen muss, dass in Deutschland genug Gas auf Lager ist, hat zum Beispiel diese Woche bekannt gegeben, dass sie bereits ein Viertel des benötigten Gases gekauft hat.“

Telegrammkanal Gazprom

Damit hat Putin die Waffe verloren, mit der er im vergangenen Sommer die EU als Geisel gehalten hat. Unter immer absurderen Forderungen und Ausreden drehte Gazprom nach und nach den Gashahn zu und öffnete ihn kurz wieder. Bei jeder verrückten Nachricht auf dem Telegram-Kanal des russischen Staatskonzerns könnte sich der Gaspreis plötzlich extrem bewegen. Das unerfreuliche Ergebnis dieser Dynamik: Europa erhielt weniger Gas aus Russland, aber die Preise waren so hoch, dass Putins Kriegskasse nur anstieg.

Der Telegram-Kanal von Gazprom hat in den letzten Monaten keine Nachrichten gesehen, die zu heftigen Bewegungen des Gaspreises geführt hätten. Stattdessen scheint sich das Unternehmen hauptsächlich mit der Frage zu beschäftigen, was mit diesem Gasüberschuss geschehen soll. Gazprom hält seine Stimmung mit Berichten über neue Schritte zur „Vergasung“ Russlands aufrecht. Oft wird eine neue abgelegene Enklave an das Gasnetz angeschlossen. Manchmal wurden Fahrzeuge für den Betrieb mit Erdgas geeignet gemacht. Das Unternehmen teilt auch häufig Berichte mit, dass „Rekordmengen“ von Erdgas nach China exportiert wurden. Oder Fotos von CEO Aleksej Miller, der mit Chinesen oder Politikern aus Aserbaidschan verhandelt.

Aber die Kapazität der jetzt bestehenden Pipelines nach China und Zentralasien reicht bei weitem nicht aus, um einen wesentlichen Teil des verlorenen europäischen Bedarfs zu ersetzen, sagt die Energieexpertin Lucia van Geuns vom The Hague Centre for Strategic Studies. „Und der Bau einer neuen Pipeline dauert Jahre. Die Chinesen sind auch sehr gute Verhandlungsführer und sie werden geduldig warten, bevor sie einen Vertrag unterzeichnen, bis sie einen sehr guten Preis dafür bekommen.‘

Lng-Terminal

Ähnliches gilt für Berichte über neue Möglichkeiten zur Entsorgung von Erdgas in flüssiger Form (LNG). Die Kapazität, aus Erdgas LNG herzustellen und auf Tanker zu verladen, wurde im vergangenen Jahr leicht erhöht, unter anderem aufgrund eines neuen LNG-Terminals in der Ostsee. Aber das reicht bei weitem nicht aus, um die europäische Produktion zu ersetzen. Der Bau neuer LNG-Häfen in Sibirien ist ins Stocken geraten, weil sich viele westliche Partner, mit denen die Russen dort zusammengearbeitet haben, nach Kriegsausbruch zurückgezogen haben.

Die vorerst wichtigste Lösung für die fehlende Nachfrage ist, weniger Gas zu fördern. Die Gesamtproduktion von Gazprom ist im vergangenen Jahr von 520 auf 412 Milliarden Kubikmeter gesunken. Eine Reduzierung, die dem jährlichen Export nach Europa nahe kommt. Der Schmerz für Russland ist jetzt klar: viel weniger Export und Preise, die wieder normal sind. Das schadet der Wirtschaft.

Andurand folgt derweil der zynischen Logik des Handels: Jetzt, wo der Gasmarkt in ruhigeren Fahrwasser ist, kann er weniger verdienen. Jetzt hat er seinen Blick auf Öl gerichtet. Wenn die chinesische Wirtschaft in den kommenden Monaten aus einem Lockdown herauskommt, wird der Ölmarkt eng, prognostiziert der Händler. Wenn er recht behält, wird Europa im nächsten Sommer die Gassorgen vergessen und sich von den Preisen an der Zapfsäule verzaubern lassen.



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