Putin hat keine Alternative zu seiner großen Lüge

Der Westen sollte sich darauf konzentrieren die Putin Clique zu spalten
Thomas von der Dunk

Laut Putin-Propaganda, die von Tag zu Tag absurder wird, dreht sich der „militärische Spezialeinsatz“ um die „Entnazifizierung“ der Ukraine, was zwischenzeitlich die totale Vernichtung der Bevölkerung, denn jetzt Israel, als Antisemiten erfordert Erbe des Juden Hitler, steht auch hinter dem Zelensky-Regime, das von den CIA-Plutokraten in Kiew installiert wurde. Ich hoffe, dass dies einigermaßen angemessen zusammenfasst – was anders ist als: verständlicherweise – was derzeit anscheinend die offizielle Sichtweise von Putins Kreml auf die Weltgeschichte geworden ist, wie sie von Seiner Meisterstimme, Seiner Exzellenz Minister Lawrow, artikuliert wird.

Morgen kann es natürlich etwas anders aussehen, wenn etwa – ich nehme nur ein paar – Orbán beschließt, dass es für seine Zukunft etwas bequemer wäre, Putin nicht komplett einzuschließen, Erdogan nimmt mehr Abstand oder Xi mit Blick auf den für China wichtigen westlichen Absatzmarkt etwas stärker kompromittiert. Dann werden in Moskau die Habsburger, Türken oder Mongolen wahrscheinlich als die teuflischen historischen Feinde Mutter Russlands bezeichnet.

Und vergessen wir den Vatikan nicht, sollte Papst Franziskus erneut scharfe Kritik an Putins Schlächterpraktiken äußern: Die katholische Kirche hat es immer geschafft, die Hysterie unter den Orthodoxen in ungeahnte Höhen zu treiben, denn seit dem Schisma von 1054 gilt Rom als die größte Gefahr, die seit tausend Jahren bei allen antirussischen Komplotten im Spiel ist.

Gunst des Diktators

Lawrow, einst angesehener Diplomat, ist, um in der Gunst des Diktators zu bleiben, auf den Weg der Lüge geraten, dass vor mehr als einem dreiviertel Jahrhundert auch viele ehemals angesehene deutsche Diplomaten unfehlbar als Hitlers Sprechtelefon vorbeigingen .

Jedenfalls werden die Parallelen zwischen Putin und Hitler von Tag zu Tag deutlicher: einen Krieg zu beginnen aus missverstandenem Größenwahn, gepaart mit der Bereitschaft, ein ganzes Volk auszulöschen, wenn dies dem Ehrgeiz im Wege steht, zu führen zu einer zunehmenden Radikalisierung.

Seit Hitler hat es nicht nur keinen so dreisten Überfall auf ein souveränes Land in Europa gegeben; Auch der bewußt von oben angestiftete barbarische Besatzungsterror zur Zerschlagung aller Widerstände kommt direkt aus der Nazi-Schule. Genau das macht den russischen „Entnazifizierungs“-Diskurs so brutal. Aber nur die große Lüge wird geglaubt, das wusste schon Goebbels.

Nicht weniger als Hitlers Naziregime basiert auch Putins im konkreten Fall der Invasion von 1939 und 2022 auf solch großen Lügen: dass nicht Deutschland oder Russland, sondern Polen bzw. die Ukraine der Aggressor seien. Das russische Volk wird seit Jahren vom Kreml aus mit der Botschaft vergiftet, die Ukraine sei eine Bedrohung.

In einer Hinsicht sogar: für die Macht der Putin-Clique im Kreml selbst. Die Tatsache, dass sich die Ukraine nach einem fast gleichberechtigten Start mit der Selbstauflösung der Sowjetunion allmählich in eine demokratische Richtung und Russland in eine diktatorische Richtung entwickelt hat, macht den Russen auch deutlich, dass auch für Russland eine Alternative möglich sein könnte ihre Diktatur.

Eine vorbildliche Rolle

Letzteres gerade wegen der wahrgenommenen kulturellen Verbundenheit, wobei das baltische Trio als zu „anders“ gilt, um automatisch eine überzeugende Vorbildrolle im Diskurs der russischen Gegner zu erfüllen. Dieses Gefühl der Verwandtschaft wird seit Jahren von Putin betont, um die Behauptung zu legitimieren, die Ukraine gehöre nicht zum Westen, sondern zu Russland, und nun, um die Ukraine gewaltsam in das Lager zurückzubringen, in das sie gehört. Die gefährliche Alternative muss zerstört werden.

Eine erfolgreiche demokratische Ukraine ist nicht nur eine Bedrohung für Putins innenpolitische Machtposition. Sie schränkt auch – und das ist die zweite Bedrohung – den Aktionsradius Moskaus ein, weil eine solch demokratische Ukraine lieber zum europäischen als zum russischen Einflussbereich gehören würde, wie auch Selenskyjs EU-Beitrittsstreben deutlich wird. Russland isoliert sich zunehmend auf der Westseite, nachdem die alten sowjetischen Satellitenstaaten und dann die Balten umgeschaltet hatten. Es wird selbst zum Frontstaat und verliert seinen alten Puffer.

Russland selbst hätte diese Isolationsgefahr vermeiden können, wenn die Elite nach 1989 zu dem gleichen Schluss gekommen wäre, zu dem die Deutschen nach 1945 gezwungen waren: nämlich von nun an ein anständiges Land zu werden. Nur hätte das bedeutet, dass diese Elite viele ihrer Privilegien aufgeben musste, und dieses Opfer war zu groß: nicht das Interesse Russlands oder des russischen Volkes, sondern das Eigeninteresse für die KGB-Kongsie der alten Nomenklatura und der neuen Oligarchie war von größter Bedeutung.

Putins Machtergreifung ging also in die entgegengesetzte Richtung – und in diese Richtung hat Russland selbst potenzielle Partner verprellt. Auch in Russland sitzt die Fäulnis zu tief, um das Land von außen desinfizieren zu können, und das wird auch eine Entnazifizierung Russlands nach Putins Sturz deutlich schwieriger machen als damals die Deutschlands nach Hitlers Sturz.

Dass der Kreml weiterhin an seinem Entnazifizierungsmythos erstickt, ist aus einem Grund logisch: Er hat keine Alternative, um seine eigene Aggression zu legitimieren. Der Kampf gegen Hitler ist so ziemlich das Einzige, was Russland in den letzten tausend Jahren politisch getan hat und worauf es stolz sein kann. Die russische politische Geschichte bietet kaum mehr als Unterdrückung und Aggression.

Thomas von der Dunk ist Kulturhistoriker.



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