Fragen Sie linke Amerikaner, was sie von Joe Biden halten, und sie zucken mit den Schultern. Niemand spricht über seine ansteckende Energie wie Barack Obama. Niemand sagt, dass der 80-jährige Präsident „Räume mit seinem Charisma erhellt“, wie es Bill Clinton hieß. Auch seine eigenen Wähler sind alles andere als wild auf Joe Biden. Und doch hoffen die Demokraten, mit ihm die Präsidentschaftswahl 2024 zu gewinnen.
Dienstagmorgen im Morgengrauen in den USA machte er per Video was viele schon ahnten: Biden kandidiert offiziell für eine zweite Amtszeit. Genau vier Jahre nach dem Tag, an dem er seine erste Kandidatur bekannt gab.
Über den Autor
Maral Noshad Sharifi ist US-Korrespondentin für de Volkskrant. Sie lebt in New York.
Vor ein paar Jahren hätten das nur wenige gedacht. Im Wahlkampf bezeichnete sich Biden damals als „Übergangspräsident“, der das Land nach vier Jahren Trump wieder auf Kurs bringen solle. Dann würde er einer neuen Generation Platz machen. „Er wird nicht mehr kandidieren“, sagte damals ein Berater Politik. Biden selbst blieb lange vage.
Auffällig ist nicht nur, dass er sich in seinem Alter bewirbt (2024 wird er 82) oder mit seinen kargen Popularitätszahlen (70 Prozent der Amerikaner wollen ihn nicht zurück). Besonders auffällig ist, dass er trotz dieser deutlichen Nachteile weiterhin die fast vollständige Unterstützung seiner Partei genießt. Kein ernsthafter Herausforderer hat sich präsentiert.
Auferstehung von Trump
Diese Unterstützung hat nicht nur mit Bidens Leistung zu tun, sondern auch mit der Wiederauferstehung seines alten Gegners. Donald Trump liegt in den Umfragen vorne und ist derzeit der unangefochtene Favorit auf die Kandidatur der Republikaner im Jahr 2024. Die Chancen stehen gut, dass der Auftritt von 2020 wiederholt wird: Biden gegen Trump. Und Joe Biden mag ein fehlerhafter Kandidat sein, aber er wird innerhalb seiner Partei immer noch als der perfekte Anti-Trump angesehen.
Trump ist dafür bekannt, seine Gegner dem Erdboden gleichzumachen. Aber Joe Biden hat sich 2020 gegen ihn behauptet und die Wahl mit sieben Millionen Stimmen gewonnen. Trotz all der Lügen, die Trump in den Jahren verbreitet hat, seitdem er der wahre Gewinner war, hat sich Biden von dem Republikaner nie beeindrucken lassen.
Joe Biden symbolisiert die Ruhe und Stabilität, nach der sich linke Wähler sehnen, wenn die Bedrohung durch weitere vier Jahre Trump zurückkehrt. „Wir brauchen Stabilität“, konterte der progressive Kongressabgeordnete Jamaal Bowman Die New York Times. „Biden kümmert sich darum.“ Aktuellen Umfragen zufolge würde Biden in einem Zweikampf von etwa 48 Prozent der Wähler unterstützt, Trump von 45 Prozent.
Ein weiterer republikanischer Kandidat ist für die Demokraten in Gefahr
Ein Risiko, das die Demokraten eingehen, ist, dass Trump keiner sein wird. Diese Chance ist nicht undenkbar. Es laufen mehrere strafrechtliche Ermittlungen gegen ihn und das Jahr 2024 ist noch weit entfernt: Für einen Mann von Trumps sprunghafter Statur ist nichts in Stein gemeißelt. Was wäre, wenn die Republikaner jemand anderen vorschlagen würden, jünger, mit vollem Haar. Jemand wie Gouverneur Ron DeSantis oder ehemalige Botschafterin Nikki Haley?
In Umfragen unter republikanischen Wählern liegt DeSantis (24 Prozent) zwar weit hinter Trump (48 Prozent), aber bemerkenswerterweise würde er im Duell mit Joe Biden besser abschneiden als Trump. Hätte letzte Woche eine Wahl stattgefunden, hätte DeSantis mit 48 zu 45 Prozent der Stimmen gegen Biden gewonnen. Ein äußerst hypothetisches Szenario, aber ein Signal, das die Demokraten ernst nehmen werden.
Die Demokraten werden die Wahlkampfzeit nutzen müssen, um zu zeigen, dass Biden mehr ist als nur ein Anti-Trump. Dafür muss die Wahlkampfbotschaft auf seine eigenen Leistungen als Präsident eingehen, die umfassender sind, als vielen Amerikanern derzeit bewusst ist.
Die Demokraten werden sowieso nervös sein
Die Demokraten werden auf die drakonischen Gesetze einhämmern, die Biden zu Infrastruktur und Klima verabschiedet hat. Sie werden sagen, dass Joe Biden 2020 gewonnen hat, aber auch ein bisschen 2022, als die Partei nur 10 Sitze im Repräsentantenhaus verlor. Seine charismatischen Kollegen schnitten weniger gut ab: Barack Obama verlor 64 Sitze, Bill Clinton verlor 54 Sitze.
Aber egal, wie einheitlich sich die Demokraten an Joe Biden anlehnen, sie werden es ein wenig nervös tun. Egal wie gut sie das heute verbergen werden.