Polys monströse Kraft überraschte auch das KNMI: „Es ist ein sehr kompliziertes Spiel“

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In der Molijnstraat in Haarlem wurden fünf Häuser durch umgestürzte Bäume des Sturms Poly zerstört.Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Wer am Dienstagabend ins Bett ging, konnte bereits wissen, dass am nächsten Tag heftiger Wind wehen würde: Die KNMI hatte den Code Gelb ausgegeben und vor abgeblasenen Ästen und umherfliegenden Gartenmöbeln gewarnt. Dass es so intensiv werden würde – mit eingestelltem Zugverkehr im halben Land, geschlossenen Schulen und Code Rot in einigen Provinzen – wurde erst am Mittwochmorgen gegen 8 Uhr klar. Der Sturm, der damals Poly hieß, war zu diesem Zeitpunkt bereits fast an Land.

Rob Sluijter, Programmleiter des Frühwarnzentrums des KNMI, hätte gerne früher gewarnt, sagt er. Doch so komplex die Wettermodelle und wie ausgereift die Messinstrumente auch sind, Wetterphänomene bleiben selbst für erfahrene Meteorologen manchmal schwer zu ergründen. Vor allem, wenn es zu Sommerstürmen kommt.

Ein Bewohner der Molijnstraat in Haarlem schaut geschockt nach draußen, der Baum hat das Dach zerstört.  Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Ein Bewohner der Molijnstraat in Haarlem schaut geschockt nach draußen, der Baum hat das Dach zerstört.Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Solche Stürme sind relativ kompakt: Hätten sie sich einige Dutzend Kilometer westlich gebildet, wären sie größtenteils an den Niederlanden vorbeigezogen, erklärt Sluijter. Außerdem tauchen sie innerhalb weniger Stunden auf, und selbst kleine Unterschiede in den Luftströmungen können einen großen Unterschied in der Schwere des Sturms machen.

Beispielsweise ist es möglich, dass die Wettermodelle des KNMI für Dienstagmorgen starke Windböen in den Niederlanden vorhersagten, sie jedoch zu sehr unterschiedlichen Erwartungen hinsichtlich der Stärke kamen. Das KNMI entschied sich für den gelben Code („Gefahr gefährlicher Wetterbedingungen“) und blieb am Nachmittag dabei. „Um Ihnen eine Vorstellung zu geben: Der ganze Sturm existierte noch nicht“, sagt Sluijter. „Es lag nur an den Wettercomputern.“

Worst-Case-Szenario

Nach Angaben des Meteorologen gab es bereits am Dienstag Modelle, die darauf hindeuteten, dass es zu einem außergewöhnlich heftigen Sturm werden könnte. Ein Worst-Case-Szenario, bei dem auch die kommerziellen Wetterunternehmen die Wahrscheinlichkeit für gering hielten, sagt er.

Dennoch hat Estofex, eine Gruppe europäischer Meteorologen, die freiwillig extreme (Gewitter-)Wetterwetter überwachen, am späten Dienstagabend für die Niederlande auf die höchste Alarmstufe umgestellt. Laut Sluijter ist der KNMI im Vergleich zu Estofex häufiger zurückhaltend. „Sie müssen für ihre Warnungen im Nachhinein keine Rechenschaft ablegen.“ „Wir haben eine Regierungsaufgabe.“

Im nordholländischen Dorf Wogmeer werden umgestürzte Bäume beseitigt.  Skulptur Loek Buter

Im nordholländischen Dorf Wogmeer werden umgestürzte Bäume beseitigt.Skulptur Loek Buter

Das KNMI ist besorgt über Fehlalarme, aus Angst, dass Menschen umsonst drinnen bleiben und Wettercodes ihren Warnwert verlieren. „Es ist ein sehr kompliziertes Spiel: Was ist der richtige Zeitpunkt? „Wir haben immer kommuniziert: Behalten Sie unsere Nachrichten im Auge, das ist ein explosives System, es könnte einfach passieren, dass wir den Wettercode doch noch hochskalieren.“

Das geschah in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, gegen 3 Uhr morgens, als das KNMI den Code Orange herausgab. Erst gegen 07:15 Uhr, wenige Stunden bevor der Sturm ausbrechen sollte, schienen die Messungen in der Nordsee nahezu nahtlos mit dem Worst-Case-Szenario übereinzustimmen. Die Entwicklung ging so schnell voran, dass das KNMI auf das „Notbremsverfahren“ umstellte und für Teile der Niederlande den Code Rot einstellte, ohne wie üblich vorher Parteien wie Rijkswaterstaat zu konsultieren.

Tot in Haarlem

Diese Warnung war nicht umsonst. In Haarlem starb eine 51-jährige Frau, weil ein Baum auf ihr Auto gefallen war. Umgestürzte Bäume und weggewehte Äste führten in weiten Teilen des Landes zu schweren Verkehrsbehinderungen. Beispielsweise wurden Autos auf der A9 zwischen Akersloot und Uitgeest von umgestürzten Bäumen eingeklemmt. Ein Teil der Schulen schloss vorsorglich ihre Türen, Bus- und Straßenbahnfahrpläne wurden eingestellt und unter anderem der Park De Hoge Veluwe ließ keine Besucher zu.

Sturmschäden auf dem Elswout-Anwesen in der Nähe von Overveen.  Bild Staatsbosbeheer

Sturmschäden auf dem Elswout-Anwesen in der Nähe von Overveen.Bild Staatsbosbeheer

Auf Schiphol war aufgrund des starken Windes in Kombination mit schlechter Sicht und Regen mehrere Stunden lang ein eingeschränkter Flugverkehr möglich. Nach Angaben des Flughafens wurden rund 400 Flüge gestrichen.

NS und Arriva haben beschlossen, in der nördlichen Hälfte der Niederlande keine Züge zu fahren. Reisende könnten festsitzen, wenn die Strecke durch Bäume auf der Strecke oder Äste in der Oberleitung blockiert sei, erklärt ein NS-Sprecher. Darüber hinaus kann es zu gefährlichen Kollisionen kommen, wenn beispielsweise ein Baum vor einen Zug fällt. „Vor allem, weil Züge einen langen Bremsweg haben.“

Wann der gesamte Zugverkehr wieder aufgenommen werden kann, stand am Mittwoch noch nicht fest. An mehreren Stellen liegen Bäume und Äste auf der Strecke, unter anderem zwischen Leiden und Haarlem. Am Mittwochnachmittag fuhr die Niederländische Eisenbahn mit leeren „Inspektionszügen“ durch die betroffenen Gebiete, um die Schäden an der Strecke und den Oberleitungen zu begutachten.

Kritik am Verweis auf Twitter in NL-Alert

Telefonnutzer in der Sicherheitsregion Amsterdam-Amstelland erhielten am Mittwoch eine NL-Alarm mit der Empfehlung, die neuesten Nachrichten auf dem Twitter-Account der örtlichen Feuerwehr zu verfolgen. Allerdings ist es seit letzter Woche nicht mehr möglich, Twitter-Nachrichten zu lesen, ohne einen Account auf dem sozialen Medium zu haben. Unter anderem der Datenschützer Bits of Freedom beklagte: „Im Notfall sollte man unserer Meinung nach keinen Twitter-Account erstellen müssen.“

Nach Angaben eines Sprechers sei die Sicherheitsregion nicht darüber informiert worden, dass es neue Beschränkungen auf Twitter gebe. Es sei eine bewusste Politik, soziale Medien zu nutzen, sagt er, denn große internationale Plattformen seien in der Regel robuster, „als eine eigene Website zu haben, die von einem einzigen Anbieter am Laufen gehalten wird.“ Zwar leide Twitter regelmäßig unter technischen Ausfällen und habe neuerdings auch die Zahl der Tweets, die Nutzer pro Tag sehen dürfen, eingeschränkt, es stelle sich aber die Frage, wie zuverlässig das Unternehmen noch sei, räumt er ein. „Wir werden prüfen, wie wir dies in Zukunft verhindern können.“



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