Polnischer Großstädter wird ermahnt: Die Zahl der Kinder muss steigen

Polnischer Grossstaedter wird ermahnt Die Zahl der Kinder muss steigen


Arnout le Clercq

Eine neue Saison in Warschau bedeutet auch eine neue katholische Plakatkampagne. Zumindest in meiner eigenen Straße, wo ich nach meinem Sommerurlaub auf ein Plakat mit einem Text gestoßen bin. Ich brauchte eine Weile, um es zu entziffern, aber „Ehe“, „Kirche“, „Scheidung“ und „Gebet“ (unverzichtbares Vokabular für jeden polnischen Korrespondenten) war genug für mich.

Dem Poster zufolge endet die Hälfte der standesamtlichen Ehen in den Vereinigten Staaten mit einer Scheidung; von kirchlich verheirateten Paaren, die wöchentlich zur Messe gehen und gemeinsam beten, wird nur einer von tausend geschieden.

Es ist die x-te religiöse Werbung, die ich gesehen habe, seit ich in Warschau lebe. Die Botschaften reichen von relativ mild (Aussagen des polnischen Papstes Johannes Paul II.) bis hin zu geradezu morbide (ein blutiger Fötus in einem Mülleimer mit der Aufschrift „Ich bin 11 Wochen alt“). Mal sind die Plakate signiert – zum Beispiel von Fundacja Kornice, einer katholischen Stiftung mit extremen Ansichten – mal nicht.

Die Botschaften agitieren gegen Säkularisierung, Abtreibung, Scheidung und andere Neuerungen. In diesem Sommer war die Stadt mit einem Poster von zwei Mädchen auf einer Wiese und dem Text „Wo sind diese Kinder?“ bedeckt. Daneben stand die Zahl der Kinder pro Familie in den 50er, 80er Jahren und heute (Überraschung: Familien sind heute kleiner).

Abtreibungsgegner, die in Polen den politischen Wind für sich haben, nutzen gerne die sinkende Geburtenrate, um ihre Positionen zu rechtfertigen. Die Macher des Plakats schienen vergessen zu haben, dass das polnische Abtreibungsrecht in den 1950er und 1980er Jahren viel liberaler war als heute.

Ich finde solche Plakate immer in oder in der Nähe von Städten – ich habe erst letzte Woche die Mini-College-Scheidungsstatistiken auf einer riesigen Plakatwand in einem Vorort von Warschau gesehen – aber nie auf dem Land.

Vielleicht soll die Kampagne vor allem polnische Großstädter überzeugen, die in dem katholischen Land längst von der fanatisch konservativen Minderheit abdriften. Oder vorbei an ausländischen Journalisten wie mir (unverheiratet, kinderlos und ungetauft – brrr).

Ich frage mich, wer zuhört. Vielleicht die Besucher der Kirche am nahe gelegenen Plac Zbawiciela, wo sehr konservative Katholiken zu Hause sind. Es wird weniger für Besucher der Cafés auf dem gleichen Platz und anderen freien Flächen in der Umgebung ausgegeben. Oder die Plakate sollen vor allem zeigen: Wir sind noch da.

Eine neue katholische Plakatkampagne in Warschau.Statue Arnout le Clercq

Denn Polen säkularisiert sich in rasantem Tempo, wobei junge Menschen und Städte vorangehen. Es gibt Politiker und Geistliche, die in dieser Erosion polnischer Traditionen die Hand des schädlichen Westens sehen. Tatsächlich haben viele Polen genug von der religiösen Einmischung. Der große politische Einfluss der Kirche ist kontraproduktiv.

Der ‚westliche‘ Einfluss ist übrigens auch nicht so schlimm. Polen sind kreativ genug, um ihren eigenen Weg jenseits der starren Traditionsneigung zu finden, auch mit Sinn für Humor.

Zum Beispiel hat kürzlich eine Bäckerei direkt gegenüber der religiösen Plakatstelle eröffnet, die Gebäck in Form von Penissen und Vulvas verkauft. Etwas anderes als eine Waffel oder pańska skórka („Jungfrauenhaut“): Zuckersüße Süßigkeit aus Warschau und Umgebung, die traditionell um Allerheiligen gegessen wird.

Seitdem sehe ich in meiner Straße ständig junge Leute auf Stöcken mit Genitalien laufen. Während ich noch einmal den Text über Ehe und Gebet lese, strahlt ein Trio von Teenagern mit frisch gebackenen Schwänzen am Plakat vorbei.



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