Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj hat an diesem Wochenende seinen ohnehin schon wackeligen Ton weiter verschärft. Er schlug auf europäische Führer ein, die mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu zufrieden gewesen waren. Besonders hart traf es die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und den ehemaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy.
Selenskyj beschuldigte Deutschland und Frankreich, seit 2008 den NATO-Beitritt der Ukraine blockiert zu haben, und lud Merkel und Sarkozy am Sonntagabend zu einem Besuch in Butja ein, um sich selbst davon zu überzeugen, „was für vierzehnjährige Zugeständnisse an Russland“. Selenskyj: „Sie können die gefolterten ukrainischen Männer und Frauen dann selbst sehen.“
Vor 14 Jahren beschlossen die Führer der Nato-Staaten in Bukarest, der Ukraine und Georgien nicht den formellen Status von angehenden Nato-Mitgliedern zu verleihen. Es wurde festgelegt, dass die beiden Länder „Mitglieder der NATO werden“, aber hinter diesem Satz stand die Zurückhaltung, dies tatsächlich zu tun. Damals seien es Berichten zufolge vor allem Deutschland und Frankreich gewesen, die den Beitritt der beiden Länder blockiert hätten – um den russischen Präsidenten Putin nicht zu beleidigen, sagte Selenskyj.
Graue Zone
Damals, so Selenskyj, habe die Nato eine Gelegenheit verpasst, die Ukraine aus der Grauzone zwischen Europa und Russland herauszureißen, einer Grauzone, in der Putin glaubte, tun zu können, was er wolle. Die Samthandschuhe Europas hätten ihn ermutigt, das zu tun, was er jetzt tue, sagte der ukrainische Präsident. Nach dieser „Fehlkalkulation“ habe die Ukraine „eine Revolution, acht Jahre Krieg im Donbass und jetzt kämpfen wir im schrecklichsten Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg um unser Leben“ überstanden.
Dann lud er Merkel und Sarkozy ein und bemerkte, dass er den Westen nicht für das Geschehene verantwortlich mache: „Wir geben niemandem die Schuld, außer den russischen Streitkräften, die unserem Volk das angetan haben. Und diejenigen, die es ihnen befohlen haben.“
Merkel hat bisher geschwiegen, nun aber durch einen Sprecher gesagt, dass sie immer noch hinter der Entscheidung von 2008 stehe, die Ukraine nicht in die Nato aufzunehmen. Sie unterstützt jedoch alle internationalen Bemühungen zur Beendigung des Krieges. „Angesichts der Gräueltaten in Butya und anderswo haben alle Bemühungen der deutschen Regierung und der internationalen Gemeinschaft, die Ukraine zu unterstützen und die russische Barbarei und den Krieg zu beenden, die volle Unterstützung des Sprechers der ehemaligen Bundeskanzlerin Merkel.
Auch Polens Ministerpräsident Morawiecki glaubt, dass es gerade Merkels sanfter Politik zu verdanken ist, dass Russland so stark geworden ist. Er verglich Putin mit den alten Diktatoren der Geschichte: „Niemand hat je mit Hitler, mit Stalin oder Pol Pot verhandelt.“ Er nannte die Gräueltaten in der Ukraine auch unverblümt „Völkermord“. Beeinflusst von Merkels Politik sei Europa und insbesondere Deutschland so abhängig von russischem Öl und Gas geworden, dass Russland die EU damit erpressen könne, sagt Morawiecki. Deshalb seien seiner Meinung nach jetzt „klare und entschlossene Sanktionen“ erforderlich, da die derzeitigen Sanktionen nicht ausreichen.