„Polen und die Ukraine sind sich auch in emotionalen Akten näher gekommen“

„Polen und die Ukraine sind sich auch in emotionalen Akten


Der ukrainische Präsident Selenskyj (Mitte) begrüßt seinen polnischen Amtskollegen Duda.Bild ANP / EPA

Hallo Arnout, was stand heute für Zelensky auf dem Programm?

„Zelensky hat heute einige Gespräche geführt. Mit Präsident Andrzej Duda, mit Premierminister Mateusz Morawiecki, mit Polen, die Ukrainern geholfen haben, und mit Ukrainern, die derzeit in Polen leben. Später am Abend wird er den Vorsitzenden des polnischen Unterhauses treffen.

Es ist Selenskyjs erster offizieller Staatsbesuch seit der Invasion im vergangenen Jahr. Zwar hat Selenskyj im vergangenen Jahr mehrfach Konsultationen mit Partnern geführt, aber dies ist ein Staatsbesuch, wie er auch in Friedenszeiten wäre. Auch Zelenskys Ehemann Olena Zelenska ist dabei. Sie hatten seit der Invasion noch nie ein anderes Land zusammen besucht.‘

Polen ist vielleicht der wichtigste Verbündete der Ukraine. Warum ist die Bindung zwischen den beiden Ländern so eng?

Dafür gibt es eine Reihe offensichtlicher Gründe. Polen ist einer der größten Nachbarn der Ukraine: Die beiden Länder teilen eine lange Grenze. Polen war das erste Ziel vieler ukrainischer Flüchtlinge. Auch etwa 1,5 Millionen Flüchtlinge sind im Land geblieben. Darüber hinaus waren polnische Regierungschefs zusammen mit Regierungschefs anderer mitteleuropäischer Führer die ersten, die Kiew im März letzten Jahres besuchten.

„Polen hat aus seiner eigenen Geschichte auch großes Verständnis dafür, was die Ukraine gerade durchmacht. In der polnischen Geschichte war Russland jahrhundertelang der Angreifer. Wachsamkeit gegen den russischen Imperialismus und die Wahrung der eigenen Souveränität sind Ideen, mit denen Polen ein starkes Gefühl hat.‘

„Polen und die Ukraine sind sich in letzter Zeit auch in schwierigen, emotionalen Fällen näher gekommen. Während des Zweiten Weltkriegs beispielsweise töteten ukrainische Nationalisten Zehntausende polnische Zivilisten bei ethnischen Säuberungen im heutigen polnisch-ukrainischen Grenzgebiet. Diese Akte war lange Zeit ein großer wunder Punkt in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Aber inzwischen hat Selenskyj gesagt, polnische Forscher seien willkommen, in Zukunft Massengräber in dem betreffenden Gebiet zu untersuchen.‘

Duda sagte heute, dass die Ukraine künftig möglicherweise alle polnischen Kampfflugzeuge einsetzen darf. Hat Polen keine Angst, dass es nicht mehr genug Ausrüstung hat, um sich zu verteidigen?

Auch Polen investiert derzeit stark in die Verteidigung. Im Januar beschloss das Land daher, den Verteidigungshaushalt auf 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Das ist das Doppelte des von der NATO vorgeschriebenen Prozentsatzes. Relativ gesehen ist Polen einer der größten Großinvestoren im Verteidigungsbereich.‘

Gleichzeitig ist heute der polnische Landwirtschaftsminister zurückgetreten, weil er sich darüber ärgert, dass die EU-Kommission die Steuervergünstigungen für ukrainisches Getreide verlängern will. Was ist da los?

Um das zu erklären, müssen wir etwas in der Zeit zurückgehen. Letztes Jahr blockierte Russland Häfen am Schwarzen Meer und zwang Alternativen zum Export ukrainischen Getreides. Eine dieser Alternativen war ein Landweg durch die Europäische Union. Die übliche Zollabgabe wurde hierfür erlassen.

„Weil ukrainisches Getreide billiger ist, hatten polnische Bauern Angst, dass der Getreidepreis sinken würde. Deshalb wurde den polnischen Bauern versprochen, dass das ukrainische Getreide nicht auf den polnischen Markt gelangt. Aber das ist trotzdem passiert. Übrigens nicht nur in Polen: Ähnliche Signale kommen aus Bulgarien und Rumänien.

„Letzte Woche haben die polnischen Bauern ihre Unzufriedenheit gezeigt. Sie sind wütend auf die Regierung, weil sie ihrer Meinung nach zu wenig getan hat, um zu verhindern, dass ukrainisches Getreide über Zwischenhändler auf den polnischen Markt gelangt. Aber heute Nachmittag sagten Morawiecki und Zelensky, sie hätten eine Lösung gefunden, die in wenigen Tagen greifen wird.‘

Der Krieg in der Ukraine dürfte sich derweil noch über Jahre hinziehen. Hat Polen vor, die Ukraine die ganze Zeit so fanatisch zu unterstützen?

‚Es ist schwer zu sagen. Die polnische Regierung glaubt, dass sie die Ukraine so weit wie möglich unterstützen muss, um den Kampf zu gewinnen. Ich habe noch keine wirklich langfristigen Ideen gesehen, obwohl sich Polen offensichtlich auf eine Welt vorbereitet, in der die Sicherheitsstrukturen radikal anders aussehen als vor dem 24. Februar letzten Jahres, mit all den Investitionen in seine Verteidigung.

„Heute stand die Zukunft der Ukraine nach dem Krieg auf der Tagesordnung. Polen und polnische Unternehmen werden beim Wiederaufbau eine wichtige Rolle spielen. Das gibt dem Besuch auch eine wirtschaftliche Note.“



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