Nur fröhliche Unterhaltung bei der Parade in Den Haag? „Die Leute müssen wütend das Zelt verlassen, das ändert die Meinung“

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Programmtafel beim Theaterfestival De Parade im Westbroekpark in Den Haag.Bild Lina Selg

In hässlichen rosafarbenen Hausanzügen und goldenen Helmen durchquert das Ta Mère-Trio das Gelände von De Parade in Den Haag. Zufällige Besucher werden angesprochen: Haben sie bereits eine Eintrittskarte für die Aufführung? Die sechs jungen Tänzer des Poetic Disaster Club beeindrucken derweil mit energiegeladenen, dichten Tableaus zwischen Weinbar, Poffertjes-Stand und Karussell. Und ein Stück weiter machen die Blechblasinstrumente des Interpreten Gavin-Viano auf sich aufmerksam.

Es handelt sich um eine wunderschöne Parade-Tradition, die manchmal fast genauso viel Spaß macht wie die Aufführungen selbst: Künstler, die für ihren Auftritt auf dem Gelände „paradieren“, in der Hoffnung, so viele Zuschauer wie möglich in ihr Zelt zu locken. Einige Gruppen sind besonders gut darin: De Theatertroep zog zuvor einen großen Holzkarren über das Spielfeld, auf dem die Spieler einen klapprigen Tisch hatten im Charakter mit Getränk gefüllt. Es war eine wunderschöne Szene für sich. Und Alex Hendrickx und Daniël Cornelissen lockten die letzten Zuschauer bis Minuten nach der Startzeit in ihren Auftritt Der große Tod von Siegfried und Roy.

Über den Autor

Sander Janssens ist Theaterkritiker für de Volkskrant. Er schreibt hauptsächlich über Theater, Musiktheater und Performance.

Auch ein Tropfen Regen ließ die Besucher am Freitag nicht abschrecken, das Festivalgelände im Westbroekpark in Den Haag füllte sich schnell. Das Festival lebt vom Chaos dieser geschäftigen Menschenmenge. Manche Theatermacher lassen sich von der lockeren Atmosphäre und dem ganzen heiteren Wahnsinn treiben, andere stellen sich bewusst dagegen. Mit dem kurzen, gedämpften Auftritt Fiktion über Fakten Die Macher Tommy Ventevogel und Yorke Mulder-Bhangoo betreiben bereits am Eingang Erwartungsmanagement. Ventevogel: „Sind Sie auf der Suche nach purer Unterhaltung?“ Dann würde ich weitermachen!‘

Sanne Wallis de Vries und Suzanne Mateysen von Ta Mère paradieren für ihren Auftritt.  Bild Lina Selg

Sanne Wallis de Vries und Suzanne Mateysen von Ta Mère paradieren für ihren Auftritt.Bild Lina Selg

Es gibt jede Menge pure Unterhaltung. In Mehr kann man auch nicht sagen von Eran Ben-Michaël und Jonata Taal wird die Identitätsdebatte auf eine halbe Stunde harmloser Unterhaltung reduziert, in einer Aufführung, bei der alle scharfen Kanten professionell gefeilt wurden. Ben-Michael wundert sich, demonstrativ gespielt, über die Worte, die alles nicht mehr gesagt werden sollten und über die Rollen, die er nicht mehr spielen darf. Es entsteht eine schlaffördernde „Konfliktkomödie“, die keine neuen Erkenntnisse bietet. Nur Jonata Taal hebt den Auftritt mit einigen verletzlichen Ergüssen manchmal aus der Bedeutungslosigkeit.

Es ist zwar längst bewiesen, und zwar häufig, dass Tiefe auch im Kontext einer Parade-Aufführung durchaus möglich ist (kurze Zeitspanne, lautes Publikum, viele störende Umgebungsgeräusche). Diese Leistung gelingt den jungen Machern von TG Gouden Bergen Lass es uns vergessen zum Beispiel viel besser darin. Was als Erzählung des Mythos der Kassiopeia (‚a knallhartGeschichte über einen feurigen Äthiopier Königin‚) gipfelt in einer Ode an Widerstandskämpferinnen weltweit und im Laufe der Geschichte, bis hin zu Sigrid Kaag. Die Theatermacherinnen Nina-Elisa Euson und Yeliz Dogan wollen, dass die Besucher danach wütend das Zelt verlassen, „denn Wut verändert Gedanken, Systeme und Strukturen“.

Lass es uns vergessen später muss ein abendfüllender Auftritt werden und man merkt: Es ist ein vielversprechender, aber noch etwas unausgereifter Festivalauftritt, bei dem die Macher einfach etwas zu viel Material in eine halbe Stunde packen.

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Bild Lina Selg

Erwachsen werden

In Eine Melodie für ErwachseneBei einer der schönsten und eigenwilligsten Parade-Aufführungen am vergangenen Wochenende erzählt der Darsteller Gavin-Viano, wie er zu seinem fünften Geburtstag eine Torte geschenkt bekam Die kleine Meerjungfrau. Hat er darum gebeten? Was auch immer er verlangt hatte und was er jetzt bekommen hat: Erwachsenwerden.

In einem symbiotischen Wechsel aus Anekdoten, Musik und Tanz reflektiert Gavin-Viano seinen neuen Lebensabschnitt als Erwachsener, der in vielerlei Hinsicht anders ist, als er es sich als Kind vorgestellt hatte. Er erinnert sich an wichtige Kindheitsmomente – manchmal schmerzhaft, manchmal herzerwärmend – und schöpft aus diesen Erinnerungen Kraft. Genauso wie er Kraft aus dem Tanz und der gefühlvollen Musik des Keyboarders und vier Blechbläsern an seiner Seite schöpft.

Das berührende Ende ist hoffnungsvoll und positiv, und Gavin-Viano teilt dies großzügig mit dem Zuschauer. Am Ende ist das vielleicht die beste Art zu „paradieren“: Bringen Sie Ihr Publikum dazu, sich aus dem Zelt herauszutanzen, und mischen Sie sich dann unter die Menge.

De Parade Den Haag, bis 23.7. Utrecht 28.7. bis 13.8. Amsterdam 18.8. bis 3.9.

Schweben heißt leben
Das Aushängeschild von De Parade ist „De Zwerver“, das authentische Karussell mitten auf dem Festivalgelände. Unter dem Motto „Schweben ist Leben“ wird im Laufe des Abends das Tempo gesteigert. Für erfahrene Parade-Besucher ist es der Sport, sich am Ende des Abends einen Platz im extra langen und wilden „letzten Wagen“ des Tages zu sichern.



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