Der zweistündige Film Tina, über das Leben von Tina Turner, muss eine der ruhigsten Musikdokumentationen aller Zeiten sein. Natürlich ziehen schrille Fragmente vorbei, von stampfenden Soulshows, Aufnahmen im Studio, Tanzproben und Stadionkonzerten, aber viel häufiger ist es totenstill.
Wenn die Hauptfigur von ihrem unfassbaren Leben und den erlebten Misshandlungen und Gewalt erzählt, muss auch der Ton verschwinden. Denn nur so kann man sich als Zuschauer der Misere bewusst werden. Und Sie fragen sich vielleicht, wie es dieser Frau gelungen ist, ihr Trauma zu verarbeiten und inzwischen zum größten Popstar der Welt zu werden.
Tinavon den Regisseuren Dan Lindsay und TJ Martin ist eher eine Missbrauchsgeschichte als eine Aufzeichnung einer glänzenden Musikkarriere. Tina Turner wurde 1939 als Anna Mae Bullock geboren und Ende der 1950er Jahre vom Rock-and-Roll-Pionier Ike Turner entdeckt. Als junges Mädchen nahm er sie in seine Band auf und die Sängerin spielte darin eine immer wichtigere Rolle. Ike Turner änderte Bullocks Namen in Tina Turner, weil es im Bandnamen gut klang, aber auch, weil der Songwriter und Gitarrist sich das Supertalent aneignen wollte.
Tina Turner ging unter Ike Turners Regime durch die Hölle. Als Angestellte war sie müde, sie musste manchmal vier Shows am Tag spielen. „Wenn es später nicht gut läuft, verprügele ich euch alle“, sagte Ike Turner zu der Sängerin, bevor sie die Bühne betrat. Aber selbst wenn es gut war – und das war es trotz allem normalerweise –, wurde Tina Turner geschlagen. Auch im Schlafzimmer, wohin die Sängerin von ihrem Oberherrn gezerrt wurde, wurde Tina Turner geschlagen und misshandelt. „Ich habe das Leben eines Toten gelebt“, sagt sie in der ersten Stunde der bedrückenden Dokumentation. „Ich existierte nicht.“
Tina basiert größtenteils auf einem alten Interview des Sängers mit dem Unterhaltungsmagazin Menschen, aus dem Jahr 1981. Turner hatte 1976 nach sechzehn Jahren des Missbrauchs und mehreren Selbstmordversuchen die Flucht vor ihrem Albtraum gewagt. Sie startete erfolgreich eine Solokarriere und wollte darüber sprechen Menschen verhöre sie. Turner beschloss, ihre Missbrauchsgeschichte als Teil des Heilungsprozesses zu teilen. Das Aufnahmegerät wurde gestartet und Turner begann ihre Geschichte.
Die Dokumentarfilmer konnten auf die Gesprächsaufzeichnungen zurückgreifen, die durch Fragmente eines aktuellen Interviews mit der 81-jährigen Sängerin ergänzt wurden. Und obwohl die Filmemacher manchmal wichtige Handlungsstränge aus den Augen verlieren und aufkommende Fragen beispielsweise zu den Kindern des Ehepaars Turner unbeantwortet lassen, werden Tinas Erfahrungsberichte mit Respekt behandelt und auf der Leinwand festgehalten.
Manchmal sieht man im Recorder kaum mehr als eine sich drehende Kassette Menschen-Nachrichtenreporter. Und wenn Turner über die Situation zu Hause spricht, über die Gewalt und das Elend, die auch die Kinder des Paares erleben mussten, wandert die Kamera durch das alte Haus von Ike und Tina Turner, das scheinbar leer und verwahrlost ist. Das macht den Dokumentarfilm sehr dramatisch. Aber das ist die Geschichte von Tina Turner.
Aber auch die musikalische Geschichte hinterlässt Eindruck. Die alten Live-Aufnahmen von Ike und Tina Turner in kleinen, heißen Clubs in den frühen 1960er Jahren sind hypnotisch. Wie unglaublich gut Tina Turner gesungen und getanzt hat. Der bittere Gedanke, der unwiderruflich aufkommt: Wie konnte sie damit umgehen? Und wie wäre sie gewesen, wenn sie wie ein Mensch behandelt worden wäre? „Ich habe nie Liebe gekannt“, sagt Turner im Interview mit Menschen, und man hört, wie sie mit der Faust auf den Tisch schlägt. „Niemand hat mich jemals geliebt.“ Es ist fast unmöglich, mit trockenen Augen zuzuhören.
Der Dokumentarfilm hat noch eine weitere äußerst tragische Seite. Als Turner 1981 ihre Geschichte gestand und versuchte, sich davon zu befreien, geriet sie in ihre schreckliche Geschichte. Auch als Turner in den 1980er Jahren zur größten Pop-Künstlerin aufstieg und als erste weibliche Rockband Stadien auf der ganzen Welt rockte, wurde sie ständig an ihre Ergüsse erinnert. Und zum Teufel mit Ike Turner. Das fand sie furchtbar, wie Archivaufnahmen von Interviews, in Talkshows und bei „Pressetagen“ zeigen. Sie war ihre eigene Chefin geworden, hatte die Welt alleine erobert und es musste immer um diesen Mann gehen. Der böse, aber unvermeidliche Teil des Films Tina: Jetzt geht es wieder um ihn.
Tatsächlich handelt es sich um eine durchgehend halbversteckte Handlung Tina: die Medien, die immer versuchen, die Erzählung des Mannes zu finden. Erstaunlich, aber wahr: die Überschrift des Artikels Menschen aus dem Jahr 1981 bezog sich nicht auf den Missbrauch der Interviewpartnerin, sondern auf den vermeintlichen Status von Tina Turner: „Die Frau, die Mick Jagger das Tanzen beigebracht hat, ist wieder auf der Jagd.“
Sie hatten einen anderen Mann gefunden, mit dem sie die Geschichte verkaufen konnten. Als ob Turners Geschichte selbst nicht beeindruckend genug wäre.
Tina
Dokumentarfilm
★★★★☆
Regie: Dan Lindsay und TJ Martin.
Mit Tina Turner, Roger Davies, Oprah Winfrey.
Verfügbar auf Netflix ab 1. Juni 2023.
Hilfe von Phil Spector
Eine große Enthüllung in der Dokumentation Tina: Tina Turner schmeckte die Freiheit und damit ein Leben ohne ihren Peiniger Ike Turner, als sie mit dem Produzenten Phil Spector an dem Album arbeitete Flusstief, berghoch aus dem Jahr 1966. Spector wollte unbedingt mit Tina zusammenarbeiten und lenkte Ike mit einem listigen Vertrag ab. Tina Turner: „Ich konnte zum ersten Mal alleine in ein Studio gehen.“ Ich habe die Freiheit gespürt.‘