Niederlande – Argentinien: der Konflikt zwischen den netten Jungs von Orange und der Mentalität der Straße

Niederlande Argentinien der Konflikt zwischen den netten Jungs von


Die Flamme trifft auf die Pfanne. Virgil van Dijk überreicht Leandro Paredes einen Bodycheck, nachdem der Mittelfeldspieler aus Argentinien den Ball hart in die Bank der Niederlande geschossen hatte. Aufgrund dieser Aktion standen bereits alle Reserven von Orange an der Seitenlinie.Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Das Feuer im Viertelfinale schwelt schon länger, eigentlich seit einigen Tagen, als der eingewechselte Leandro Paredes in der 88. Minute bei der 2:1-Führung Argentiniens aufflammt. Die Niederlande haben noch ein paar Minuten plus Verlängerung, um das Spiel auszugleichen und eine Verlängerung zu erzwingen. Paredes macht einen wilden Tackle auf Nathan Aké, nahe der Seitenlinie, und tritt den Ball dann hart in die Bank der Niederlande, gegen einen Lederstuhl, auf dem niemand sitzt.

Die Bank springt massenhaft vor Wut auf, viele rennen aufs Feld und verlieren sich im Kampf. Der aufstrebende Kapitän Virgil van Dijk gibt einen Bodycheck, wie man ihn selten sieht. Paredes stürzt zu Boden. Schiedsrichter Antonio Mateu Lahoz lässt Paredes und Van Dijk die Rote Karte entgehen, Paredes bekommt Gelb. Die Unfreundlichkeit, die bis dahin aufgrund des flachen, zurückhaltenden Spielstils kaum zum Vorschein gekommen ist, kommt voll zur Geltung.

Hände!

Van Dijk, normalerweise selbst ruhig, ist sowieso damit fertig. Das gilt seit einem markanten Moment in der 55. Minute, als der argentinische Kapitän Lionel Messi den Ball mit der Hand trifft und keine Gelbe Karte bekommt. Hände absichtlich, das sollte gelb sein. Wie ist das möglich, sieht man Van Dijk denken, wenn er sich an Lahoz wendet. Ist das eine mehr als das andere? Messi ist schlau, er tut so, als hätte Aké ihn gefoult und deshalb seine Hand benutzt. Gab es nicht schon einen Pfiff?

Messi entwischt, genauso wie einen Tag zuvor der Brasilianer Neymar gegen Kroatien, der wegen offener Tritte keine Rote Karte bekommt. Haben Spieler wie Neymar und Messi einen Vorteil als Schiedsrichter? Van Dijks bestürzter Blick ist später auch auf den Gesichtern von Steven Berghuis und Frenkie de Jong zu sehen. Was kann man dagegen tun?

Schiedsrichter Antonio Mateu Lahoz gibt Gelb für den Argentinier Leandro Paredes.  Kapitän Virgil van Dijk setzt sich durch.  Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Schiedsrichter Antonio Mateu Lahoz gibt Gelb für den Argentinier Leandro Paredes. Kapitän Virgil van Dijk setzt sich durch.Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Kartenaufzeichnung

Mit fünfzehn gelben Karten (ausschließlich für Trainer) und einer roten Karte (Dumfries, nach zwei gelben Karten) ist das Freitagsspiel die Nummer 1 der WM-Spiele mit Rekorden auf Karten. Portugal – Niederlande (WM 2006) und Niederlande – Spanien (Finale 2010) liegen auf 2 und 4, obwohl es im Spiel gegen Portugal mehr Rote Karten gab (vier, jeweils nach zwei Gelben), aber Gelb wird als Startschuss genommen Punkt für den ersten Platz.

Zwischen den Duellen gibt es große Unterschiede. Portugal – Niederlande, mit denen die Orange die WM in Deutschland unrühmlich verließ, war ein Duell von beispielloser Härte, begonnen mit Khalid Boulahrouz, der den noch jungen Ronaldo aus dem Feld kickte. In den Niederlanden – Spanien gaben die Fouls von Mark van Bommel und Nigel de Jong den Ton an, der Xabi Alonso das Bein voll auf die Brust setzte. Spanien war genauso stark beteiligt. Bei der internationalen Pressekonferenz nach dem Endspiel lautete die erste Frage an Bundestrainer Bert van Marwijk, ob De Jong an der Fußball-Weltmeisterschaft oder an der Kung-Fu-Weltmeisterschaft teilnehme.

Diese beiden Duelle sind, genau wie am Freitag, blass im Vergleich zu den Fouls während der Niederlande – Brasilien im Jahr 1974. Dann warfen die Spieler mit der Orange des totalen Fußballs den Reporter Ben de Graaf van de Volkskrant im Pool, weil er hartem Fußball zu kritisch gegenüberstand. Aber schauen Sie sich diese Karten jetzt an? Jurriën Timber ist der einzige mit einem Foul, das man als einigermaßen ernst bezeichnen kann, als er Acuna hart von sich wegdrückt, nachdem er Dumfries mit der Ferse getreten hat und Timber den Ball schnell zurück haben will.

Für den Rest? Wout Weghorst für Protest, wenn er noch auf der Bank sitzt. Memphis Depay fürs Reden. Steven Bergwijn für seine Rolle in einer Schlägerei, als er bereits eingewechselt wurde, Berghuis für die Behinderung von Messi, Denzel Dumfries und Noa Lang für die unsportliche Ablenkung von Gegnern, die in der Serie einen Elfmeter ausführen wollen.

Unsportlich wird Weghorst auch später, als er Messi mit einem kräftigen Klopfen auf die Brust erwischt, worauf sich der Kapitän kurz hinlegt, und kurz vor Ende der Verlängerung, als er Messi mit der Hand auf der Brust blockt, nah der Kehle, und Messi reagiert wütend.

Stimmung machen

Schwerwiegende Fouls sind dagegen von Romero, Otamendi und vor allem von Ersatz- und Wiederholungstäter Paredes zu verzeichnen. Der Nachgeschmack ist bitter. Frenkie de Jong kritisiert Schiedsrichter Lahoz, während er ihn in Spanien mag. Bundestrainer Louis van Gaal bezeichnete Lahoz am Tag vor dem Spiel als hervorragenden Schiedsrichter. Er hat seine Zweifel an der Ernennung eines spanischsprachigen Schiedsrichters im Duell mit dem spanischsprachigen Argentinien nicht geäußert, obwohl er sie hatte.

Der Bundestrainer hat vor dem Spiel Aussagen gemacht, mit denen die Argentinier die Stimmung bestimmen, zur Motivation. Van Gaal ist ein erfahrener Trainer mit langjähriger Erfahrung, einer Meinung zu allem und einer gemeinsamen Vergangenheit mit vielen. Er hat zum Beispiel mehrfach gesagt, dass Messi nicht verteidigt und dass die Mannschaft wichtiger ist als der Einzelne. Messi erinnert ihn später daran, als Co-Trainer Davids einen Arm um die Schulter des wütenden Argentiniers legt und Van Gaal fassungslos zuschaut.

Van Gaal machte in seiner zweiten Amtszeit bei Barcelona wenig Gebrauch von Juan Roman Riquelme, einem etwas langsamen, anmutigen Spielmacher. Messi feiert den Sieg mit einer Geste, die auch Riquelme nach einem Tor machte. Riquelme ist eines von Messis ehemaligen Idolen. Und Van Gaal hat vorher über Ángel Di Maria gesprochen, den er für 75 Millionen zu Manchester United geholt hat, der sich aber für den schlechtesten Trainer aller Zeiten hält.

Das niederländische Team mischt sich in das Spiel der scheinbar recht guten Havisten gegen Straßenkämpfer ein, wobei der Schiedsrichter nichts dagegen zu haben scheint, wenn die Straßenkämpfer die Schuljungen schlagen. Auch Messi reagiert danach, teilweise aufgrund des Sprachproblems, sauer auf Weghorst wegen der „Strangulation“ („du siehst doof aus“), während Weghorst ihm nur die Hand schütteln und nach dem Trikot fragen will.

Diego Maradona

Messi ist fast nicht wiederzuerkennen. Was ist in ihn gefahren? In Argentinien lieben sie das. Endlich ist der Maradona in ihm auferstanden, der Rebell, der um jeden Preis alleine siegen wollte. „Maradona schaut vom Himmel aus zu“, sagt Messi. Er ist heftig, auch über Van Gaal. Er redet von schönem Fußball, aber die Orange spielt nur in der Schlussphase hohe Bälle. Er lobte den wissenschaftlichen Ansatz beim Elfmeterschießen, während man in Argentinien weiß, dass man darin sehr gut ist.

Die Orange trainiert seit einem Jahr am Elfmeterschießen. Der Spieler musste endlos an seinem regulären Tritt üben. Der wissenschaftliche Ansatz bezog sich hauptsächlich auf den Torhüter. Er musste auf Motorik achten, auf Bewegung, nicht zu schnell abtauchen. Die Elfmeter der Argentinier sind hervorragend, bis auf Enzo Fernandez (nächster).

Andries Noppert hingegen schüchtert vor allem Messi auch mit dem Elfmeter in der regulären Spielzeit ein, indem er ihn an der Stelle aus der Konzentration holt. Vergeblich. Dumfries läuft zweimal mit einem Argentinier aus dem Mittelkreis, redet mit ihm, zuletzt mit Lautaro Martinez.

Torhüter Emiliano Martinez ist der Held. Er schreit auch unfreundliche Texte über Van Gaal, mit seinem Gerede über Elfmeterschießen. Die Fifa kündigt am Tag nach dem Spiel eine Untersuchung an, auch als Reaktion auf ein Foto, auf dem vor allem Paredes und Otamendi jubelnd davonlaufen und sich über die geschlagenen Niederländer lustig machen. Einen Tag später gibt die FIFA das Ergebnis der Untersuchung bekannt: Niemand wird bestraft.

Der Wiederaufbau wurde in Zusammenarbeit mit Sytze de Boer realisiert



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